Im Reich der Süßigkeiten – Tschaikowskis “Nussknacker” in der Oper Bonn

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Warum ausgerechnet die kleinen Chinesen? Auf offener Szene und dann noch einmal im Schlussapplaus fliegen ihnen die Herzen des Publikums nur so zu. Und das, obwohl das Tanzduo mit seinem Chinesischen Tanz (Kunkun Pak, Tomoha Terada) nur den kürzesten Auftritt im Rahmen des „Nussknacker“-Divertissements vorweisen kann. Denn da erreichen auch der Spanische, der Orientalische und der Russische Tanz sowie abschließend der legendäre „Pas de trois“ allerhöchste tänzerische Qualität. In einer traumwandlerischen Sicherheit, die zu beweisen scheint, dass man auch östlich des Urals im sibirischen Jekaterinburg offenbar die Freude am Tanz bereits mit der Muttermilch eingesogen hat.
Und die Chinesen? Tapsig bewegen sie sich zu Tschaikowskys musikalischem Kabinettstückchen über die Bühne, eher unbeholfen und schon gar nicht elegant. Das sollen sie auch nicht. Vielmehr bestehen ihre Funktion und ihre Wirkung gerade darin, die in Europa bereits zu Tschaikowskys Zeiten vorherrschenden Vorurteile gegenüber dem Volk aus dem Fernen Osten zu bestätigen. Ein Trick, der bis heute funktioniert und die Lacher stets neu auf seiner Seite hat, wo doch sonst vor allem pure Bewunderung angesagt ist.
Bühnenbildnerischer Kunstgriff

Ob E.T.A. Hoffmann es sich wohl hat träumen lassen, dass er mit seiner Geschichte vom „Nussknacker und Mausekönig“ einen solchen Publikumserfolg landen würde? Der vor allem in der Vertonung von Peter I. Tschaikowsky  nach dem Libretto von Marius Petipa seinen festen Platz finden sollte im tänzerischen Weihnachtsrepertoire auf fast allen Bühnen der Welt? Auch die Jekaterinburger Choreografie von Vasili Vainonen erfüllt alle Erwartungen.

Bereits in der Einleitung, als sich die Fassade von Maschas Elternhaus mit einem bühnenbildnerischen Kunstgriff in eine festlich geschmückte bürgerliche Weihnachtsstube verwandelt. Dort wo sich Onkel Drosselmeyer (Sergej Krashchenko) vor der Bescherung als Zauberkünstler erweist, der mit seiner Kunstfertigkeit die Kinderschar vor dem großen Ereignis in seinen Bann zieht, die in ihrer weihnachtlichen Ausgelassenheit immer weitere Tricks einfordert.
Wild wirbelnde Flocken

© agenda production International GmbHGroßartig gelungen auch die Traumszene Maschas (Elena Vorobeva), als die undisziplinierte Unterwelt der Mäusebande mit dem Mäusekönig (Mikhail Rafalson) als ihrem Anführer auf die in Reih und Glied einmarschierende Pfefferkuchen-Soldatentruppe stößt. Säbel schwingend und fest gewillt, den mafiotisch anmutenden Gestalten der Gegengruppe die Grenzen aufzuzeigen. Eine bei aller Märchenhaftigkeit unglaublich realistisch gestaltete Auseinandersetzung, bei der der Sieg durch beherztes Eingreifen des Nussknackers (Ilia Borodulin) natürlich der richtigen Seite zufällt.

Dazu als Gegenpol der Schneeflocken-Walzer (Solistinnen: Ekaterina Sapogina, Elena Sharipova), die mit ihren zierlichen Schneekäppchen und ihren weißen Röckchen nur auf den ersten Blick die Wiederherstellung der Ordnung darstellen. Vielmehr ist es die choreographische Aufgabe der 16 Tänzerinnen, trotz der Einheitlichkeit ihres Auftretens, wie in einem Schneesturm in immer neuen Konstellationen wild durcheinander zu wirbeln und damit dem russischen Winter alle Ehre zu erweisen.
Weihnachtsgeschenk

Bis schließlich im Zauberschloss von Zuckerburg der Blumenwalzer die Harmonie der Bewegung und der äußeren Erscheinung wiederherstellt. Eine Augenweide im präzisen Zusammenspiel mit dem Orchester der Staatsoper Jekaterinburg unter der Leitung von Andrei Anikhanov. Bis hin zum Finale, als Mascha und der aus dem Nussknacker entstandene Prinz sich mit höchster tänzerischer Perfektion in der Apotheose vereinen, bevor Mascha aus ihrem Traum erwacht.

In der Tat ein musikalisches und choreographisches Weihnachtsgeschenk des Ballets und Orchesters der Staatsoper Jekaterinburg. Wie bereits der voran gegangene Tanzabend „La Sylphide“ () sowie die in ihrer Vielseitigkeit beeindruckende Balletgala mit „Paquita“ (Ludwig Minkus), den „Salieri Variationen“ (Antonio Salieri) und „Liebe und Tod“ (Polad Bülbüloglu). In der Tat wahre „Highlights des Internationalen Tanzes“.
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