Seit Tagen ist Jussi alleine auf dem Fjell Lapplands unterwegs. Er sammelt Multebeeren und fischt hin und wieder in plätschernden Wildflüsschen nach Forellen. Eigentlich soll er einige vermisste Rentiere suchen, doch die Freiheit in der weiten Natur lenkt ihn immer wieder von seinem eigentlichen Auftrag ab. Als er in weglosem Gelände eine Furt durch den Wildbach sucht, trifft er unerwartet eine hübsche junge Dame. Beim folgenden Gespräch stellt sich heraus, dass sie aus der weit im Süden liegenden Hauptstadt kommt und sich in der Wildnis verirrte. Mit dem sicheren Instinkt eines Naturmenschen bringt er die Verirrte ins Dorf. Der Lappe Jussi ist natürlich sehr traurig, als sie zurückfliegt nach Helsinki. Entsprechend alten Überlieferungen der Samen, wie sich sein Volk nennt, opfert er ein weißes Rentier, um sie wiederzusehen. Vier Jahre dauert es, bis der Zauber wirkt und Maarit zu einem Besuch nach Inari zurück kommt. Jetzt bleibt sie bei ihm.
Die Mehrzahl der Lappen ist heute sesshaft und wohnt in Häusern. Die Kinder werden in eine bis 70 km entfernte Schule mit dem Kleinbus gebracht, das nächste Krankenhaus kann 250 km entfernt sein, der Hubschrauber ist jedoch in Notfällen rasch zur Stelle. Strom und Fernsehen sind überall eingezogen, aber Arbeitsplätze sind knapp. Die Arbeitslosigkeit ist in Lappland sehr hoch. Der Lebensstil ist von den Angeboten der Region bestimmt, von Seen, Angelgelegenheiten und den saisonalen Sammelaktionen auf Beeren und Pilze. Im Norden Finnlands halten 7000 Besitzer in 56 Genossenschaften fast eine halbe Million Rentiere. Jeder Bezirk hat Repräsentanten, die regelmäßig im “Rentierparlament” konferieren. Ähnlich wie beim mitteleuropäischen Rotwild ist im Herbst Brunftzeit. Allerdings tragen beide Geschlechter Geweihe. Fast 150 000 Kälber kommen im Frühjahr zur Welt. Sie werden im Frühsommer durch einen kleinen Schnitt mit dem Finnendolch am Ohr gekennzeichnet. In riesigen, aber eingezäunten Arealen leben die Tiere halbwild bis zum Winter. Da Braunbären relativ selten geworden sind, bleibt neuerdings das Kraftfahrzeug als Feind Nummer eins, denn die Tiere laufen im Sommer gerne auf Fahrstraßen, da hier der Luftzug zwischen den Urwäldern die Moskitos vertreibt.
Höhepunkt des Rentierjahres ist die kalte Jahreszeit
Im tiefen Winter treibt man die Rentiere zusammen. Mit Schneemobilen und Hunden sind die Samen jetzt unterwegs. Blindlings folgen die Tiere einander. Ihr Herdentrieb ist stark ausgeprägt, zudem sehen sie schlecht. Jetzt naht der Höhepunkt des Rentierjahres. Die Männer sind mit dem Puukko, dem Finnendolch und einem Lasso ausgerüstet, um Zuchttiere auszusondern, Kälber mit Ohrenmarken zu versehen und auch um Tiere zu schlachten. Dann hängen ganze Keulen in der eisigen Winterluft an bereiften Ästen der Kiefern – Gefrierschrank Natur. Touristen werden im nächsten Sommer dann auch Felle und Geweihe kaufen, und fein gemahlenes Rentierhorn ist als potenzsteigerndes Mittel in Ostasien begehrt. Warum belächeln Finnen aus dem tiefen Süden bei Helsinki die Samen gerne, weil in jener Weite und Einsamkeit unglaubliche Geschichten den Winter begleiten, wenn für Hightech bekannte Völker solche Vorstellungen haben?
Nach der Rentierscheidung klingelt die Kasse. Für ein trainiertes Tier, das in Wettbewerben beim Skijöring Rekorde aufstellen könnte, werden umgerechnet mehr als 20.000 DM bezahlt Ein männliches Tier liefert immerhin bis 60 kg wohlschmeckendes Fleisch und Abnehmer gibt es genug. Da Rentierfleisch fast kein Fett enthält, aber mehrfach ungesättigte Fettsäuren, entspricht es zunehmend den modernen Ansichten über gesunde Ernährung. Schließlich fressen die Tiere auch nur das beste, was sie in der Natur finden können
Wie schützen sich die Samen vor der Winterkälte? Noch heute nähen die Frauen traditionelle Kostüme aus Rentierfell. Die Schnabelstiefel aus Fell werden mit Schuhheu ausgestopft, das eigens im Sommer geschnitten und gedroschen wird. Diese erdfarbene Bekleidung wird mit bunten Borten verziert, auf dem Kopf tragen sie ausschweifende Mützen aus Fell, Leder oder Filz. Am Gürtel baumelt nach alter Sitte der Puukko, der Finnendolch. Neuerdings kann er aber auch im Stiefelschaft aufbewahrt sein.
Aberglauben in dunkler Zeit
Das Leben in Natur und Einsamkeit bestärkt die Menschen im hohen Norden in manchem Aberglauben, sind es in Norwegen die Trolle so glauben manche Samen an den Staalo. Wenn der Mond sein magisches Licht über das einsame, blaugraue Land ausgießt, dann ist er mit seinem Schlitten unterwegs. Er tritt in vielerlei Gestalten und Formen auf und spannt alle Tiere des Waldes, von der Maus bis zum Bären zusammen. Jetzt müssen die Samen auf ihrem Gehöft gut aufgeräumt haben, denn wenn sich der Schlitten des Staalo in Holzresten verfängt, so wird dieser böse und kontrolliert die Zustände auf diesem Hof. Hoffentlich steckt dann nach alter Väter Sitte ein Puukko im Türpfosten und es ist Schuhheu bereitgestellt, denn bald wird wieder Rentierscheidung sein.
Besuchsmöglichkeiten bieten sich z. B. in Schwedisch Lappland mit Einblick in die dortige Kultur mit den Rentieren. Infos unter www.visitsweden.com/schweden , darunter in diesem Winter das Kiruna Schnee Festival vom 29. Januar – 31. Januar und der Wintermarkt der Sami in Jokkmokk vom 31. Januar – 06. Februar.
Neuerscheinung auf dem Büchermarkt: Lappland, das Alaska Europas, ein deutsches National Geographic Buch, Poetische Bilder aus dem hohen Norden
Ein neuer Bildband von NATIONAL GEOGRAPHIC zeigt die märchenhafte Schönheit einer der einsamsten Landschaften unseres Kontinents: „Lappland – Das Alaska Europas“ präsentiert poetische Bilder der unberührten Natur zwischen Norwegen und Russland. Die preisgekrönten Fotografen Erlend und Orsolya Haarberg haben Lappland monatelang mit Zelt und Rucksack bereist. Dabei gelangen ihnen großartige Landschaftsaufnahmen von verwunschenen Wäldern, weißen Nebelbogen und rauschenden Wasserfällen sowie faszinierende Fotos aus der Tierwelt: Elche, die unter einem Regenbogen grasen, junge Polarfüchse, die durch den Schnee springen, und eine große Rentierherde, die auf Futtersuche ist. Beeindruckend ist auch die reiche Vogelwelt Lapplands mit vielen Stelz-, Sing- und Greifvogelarten. Der wunderschöne Bildband zeigt die große Vielfalt der Natur im hohen Norden und transportiert die Ruhe, die dieses Land ausstrahlt, in unseren hektischen Alltag. Das Buch „Lappland – Das Alaska Europas“ hat 256 Seiten, enhält 190 Fotos sowie Karten. Es kostet 39,95 Euro und ist ab sofort im Handel und unter www.nationalgeographic-shop.de erhältlich.