Ulrike Steglich, 1967 in Berlin geboren, gab sechzehn Jahre lang die unabhängige Stadtteilzeitung „Scheinschlag“ mit heraus und schrieb Beiträge für zahlreiche Zeitungen, Zeitschriften, Bücher und Projekte. Malerisch gebildet, wendete sie sich in ihren Zwanzigern dem Schreiben zu. Es scheint, sie kenne jeden Stein in der Mitte der Stadt, und nicht nur da. Vom kurzen Bericht bis zur melancholischen Kolumne, vom bissigen Kommentar zur knackigen Kurzerzählung reichen ihre Beobachtungsergebnisse. Jetzt legt sie eine Sammlung neuer und älterer, teilweise durch frische Anmerkungen ergänzter Texte vor, die zusammen mit den Berliner Bildreihen von vier Fotografen ein ganz eigenes „Universum“ darstellen.
Das Besondere an Ulrike Steglichs Perspektive ist ihre (Selbst)Ironie und die frappierende Aufrichtigkeit jeder Zeile. Hier wird nichts beschönigt, aber auch nicht lamentiert, die Häuser und Menschen der alten Ost-Berliner Mitte verschwinden, neue tauchen auf. Clubs und Kneipen eröffnen, ziehen um, gehen verloren. Ulrike Steglich schaut hin, hört zu und fragt nach. Ihre Texte über das „Odessa“ oder den „Club der polnischen Versager“ sind gleichzeitig Porträts von Menschen, Machern und Träumern. Sie sinniert über Ampeln, Karpfen, Fledermäuse und Poesie am Bauzaun. Pappschilder mit flüchtigen Filzstift-Gedichten darauf. Wenn sie nicht mitgeschrieben hätte, wer wüsste noch von solcher Dichtung:
„Fette Geister auf der Mauer
Luegen liegen auf der Lauer
Schmeißen Beeren Zapfen Blaetter
Spielen Rache Engel Retter
Rufen laut luis
Und leise
Achtung!
Hundescheiße,“
wie sie einst an einem der unzähligen Bauzäune hing.
Im Geschichten-Band „Universum Ackerstraße“ geht es außerdem um Heimweh und Buchnarretei, alte Druckereien und neue Schulkonzepte in der erweiterten Berliner Mitte, Architekturpläne und -Sünden, Auswanderer und Wiederkehrer. Besucher im Unterhemd, Handwerker und Schnorrer. Mal reicht der Blick der Autorin bis nach Charlottenburg hinüber, zum Alexanderplatz oder gar nach Magdeburg Olvenstedt. Im Focus stets der „kleine Mann“, über den Systeme und Gebieter hinwegfegen wie Naturgewalten.
Ergebnisse aus fünfzehn Jahren Schreiben und Fotografien aus mehr als drei Jahrzehnten haben in diesem Buch Heimat gefunden, das nur als äußerst geglückt empfunden werden kann. Die Fotografien hätten eine eigene Besprechung verdient, stellvertretend sei hier nur das Bild einer Hauswand der Linienstraße von Rolf Zöllner erwähnt. Tür- und Fensterflächen des Hauses sind vermauert. Im Vordergrund öffnet sich eine schwere Eisentür mit Guckloch auf eine dahinter geklebte Tapete, ein rechteckiges Bergpanorama mit Fichten!
Ulrike Steglich, Universum Ackerstraße, Berliner Geschichten, Mit Fotografien von Mirko Zander, Klaus Bädicker, Rolf Zöllner und Christoph Eckelt, 243 Seiten, Basisdruck Verlag, Berlin, Dezember 2011, 16,80 €