Horrortrip – „Three Kingdoms“ begeistert bei den Autorentheatertagen im DT

„Pornographie“ von Simon Stevens in Nüblings Inszenierung  war 2008 zum Theatertreffen eingeladen. „Three Kingdoms“, beim TT 2012 vermisst, wurde nun zum gefeierten Event bei den Autorentheatertagen im DT.

Während es bei „Pornographie“ um ganz unterschiedliche Verstöße gegen moralische und ethische Regeln geht, von kleinen Peinlichkeiten bis zur mörderischen Terroraktion, beinhaltet das Stück mit dem heroischen Titel „Three Kingdoms“ eine dreckige Geschichte: Menschen, vorwiegend Frauen, werden international wie Waren gehandelt. Gelegentlich werden diese Waren beschädigt oder auch mutwillig zerstört und müssen dann entsorgt werden. Das internationale Handelsgeschäft, das der Bedürfnisbefriedigung und dem Amüsement von Menschen, vorwiegend Männern, dient, floriert.

In der Themse wird eine Sporttasche mit dem Kopf einer Frau gefunden. Detective Inspector Ignatius Stone (Nick Tennant) und Detective Sergeant Charlie Lee (Ferdy Roberts) verhören Tommy White (Rupert Simonian), einen jungen Mann mit unschuldigem Kindergesicht, der die Tasche in den Fluss geworfen hat.

Das Stück beginnt wie ein typisch englischer Krimi mit dem für die Briten typischen schwarzen Humor. Die ermordete Frau mit dem Namen Vera Petrova war eine Prostituierte, und ihr wurde der Kopf, bei zunächst noch lebendigem Leibe, mit einer stumpfen Handsäge abgetrennt. Niemand vermisst diese Frau. Eine Sexarbeiterin mit einem Rehkopf soll Hinweise geben, schweigt jedoch beharrlich.  Der hinzugezogene russische Dolmetscher (Sergo Vares) übersetzt eifrig jedes Wort und auch jedes okay des Inspectors, und kann schließlich nur feststellen, dass es sich bei der Zeugin nicht um eine Russin handelt.

Selbstverständlich ist der nette Tommy nicht der Mörder. Er hat lediglich gegen Bezahlung den Auftrag eines Unbekannten ausgeführt, die Tasche zu entsorgen ohne vorher einen Blick hinein zu werfen. Die Aufklärung des Verbrechens scheint kaum möglich. Doch Detective Inspector Stone lässt sich nicht entmutigen. Die Tote war so alt wie Stones Frau, die, wie in einer kurzen Szene erkennbar, nicht mehr viel von ihrem Mann wissen will. Mit leidenschaftlicher Verbissenheit, als könne er auf diese Weise seine Ehe retten, lässt Ignatius Stone seine grauen Zellen aktiv werden und entdeckt tatsächlich eine Spur, die nach Deutschland führt.

Welch ein Glück, dass Detective Sergeant Charlie Lee als Austauschschüler in Ulm war und seither der deutschen Sprache mächtig ist, denn dem Detective Inspector ist alles nicht Britische fremd. Deshalb verliert der kriminalistische Spürhund bei den folgenden Reisen nach München und Tallinn auch völlig die Orientierung und findet sich schließlich, wie anfänglich Tommy White, in einem Polizeirevier einem harschen Verhör ausgesetzt.

Im ersten Teil des Stücks wird englisch gesprochen mit deutscher Übertitelung. Für den zweiten Teil hatte Simon Stevens eigentlich Hamburg als Ort des Geschehens vorgesehen, weil aber das Hamburger Schauspielhaus aus finanziellen Gründen nicht am Projekt teilnehmen konnte, übernahmen die Münchner Kammerspiele den deutschen Part der Koproduktion, an dem außerdem das Lyric Hammersmith Theatre, London und das Theater NO99, Tallinn beteiligt sind, und der britische Inspector und sein Sergeant reisen nach München.

So ganz passt die bayerische Metropole nicht ins Konzept, denn vor Beginn jedes der drei Teile des Stücks säuselt der estnische Schauspieler Risto Kübar in der jeweiligen Landessprache „La Paloma“ ins Mikrofon, und zwischen dem Lied vom einsamen Seemann und München lässt sich ein Bezug nur schwer herstellen.

Es geht im Stück auch um die Klischees und Vorurteile, mit denen die drei Länder behaftet sind. So ist Steffen Dresner (Steven Scharf), Stones deutscher Kollege, kein gemütlicher Bayer, sondern einer, der unentwegt arbeitet und nie schläft. Außerdem ist Dresner, eher überregional, ein schleimiger Typ, der gern etwas mitnimmt, was er gratis bekommen kann, sich daher in Stones Hotel mit einem  Brötchenvorrat vom Frühstücksbüfett eindeckt, und er hat beste Beziehungen zum Rotlichtmilieu.

Mit Steffen Dresner landet Ignatius Stone im Zuge seiner Ermittlungen in einem Pornofilmstudio .Dort wird alles inszeniert und gefilmt, was der Markt verlangt. Dort ist aber auch die deutsche Sauberkeit zu Hause.

Während in Stones Hotel die, vermutlich ausländischen, Reinigungskräfte wie schlafend ihre Kehrgeräte höchst gemächlich über den Flur schieben, wird im Pornostudio flink der Fußboden gewischt, riesige Dildos werden schnell und sorgsam gereinigt und poliert, und  ein bereitstehender Eimer mit Wasser dient einer weiß bespritzten Darstellerin dazu, sich durch gründliche Wäsche von der Schmiere zu befreien. In das Waschwasser tunkt Steffen Dresner anschließend eines seiner Brötchen und saugt dann genüsslich daran.

Nachdem die Krimihandlung schon im zweiten Teil durch Pornodarstellungen und andere Turbulenzen überlagert wird, bricht im dritten Teil, in Tallinn, das absolute Chaos herein. Gesprochen wird nun estnisch, und die deutschen Übertitelungen ermöglichen auch keinen Durchblick.

In Tallinn sind die Prostituierten mit den Rehköpfen beheimatet, und die Zuhälter tragen bösartig grinsende Wolfsköpfe. Während in London eine konventionelle Männerwelt dominiert, im deutschen Pornofilmstudio jedoch Frauen sogar für Kamera und Regie zuständig sind, gerät Inspector Stone in Estland unter die wilden Kerle.

Kraftvoll boxen die Männer gegen Wände, versammeln sich dann, nach Besuch in der Sauna, in blütenweißen Bademänteln zu einer Konferenz, bei der die lukrativste und erfolgreichste Methode des Im- und Exports von Frauen beschlossen wird.

Stone trifft den Vater von Vera Petrova der sich, wie vorher schon ihr Zuhälter und eine ihrer Kolleginnen, voller Hass, Ekel und Verachtung über die junge Frau äußert. Vor allem der Gestank aus ihrer Vagina soll entsetzlich gewesen sein. Vera Petrova war schlechte Ware, Gammelfleisch, das aus hygienischen Gründen vernichtet werden musste.

Daraufhin mag Stone zwischen der Ermordeten und seiner Frau keine Parallelen mehr herstellen. Trotzdem setzt er seine Ermittlungen fort, obwohl er in den weißen Nächten, in denen es niemals dunkel wird, keinen Schlaf findet und im Tumult der Mittsommernachtsfeste mit Schnaps zugeschüttet wird.

Der Mord bleibt unaufgeklärt, und Steffen Dresner ist wohl auch nicht der Kopf der Menschenhändlerorganisation. Am Ende erscheint, wie ein Deus ex machina, ein estnischer Kriminalbeamter, der Stone weitere Einmischungen in estnische Angelegenheiten verbietet und dem britischen Inspector mitteilt, dass ein Platz im Flugzeug nach London für ihn reserviert sei.

Das Bühnenbild  von Ene-Liis Semper ist in allen drei Teilen dassselbe: Ein großer Raum mit schmutzig hellgrünen Wänden, hervorragend geeignet für alle Lokalitäten des Stücks vom britischen und estnischen Polizeirevier über das deutsche Pornofilmstudio bis zu den Hotelhallen in den drei Ländern die, trotz erheblicher Unterschiede, in einer gewissen Art von Scheußlichkeit Übereinstimmungen zeigen.

Eine Maueröffnung in der Rückwand dient im ersten Bild als Seziertisch in der Anatomie. Die nackte männliche Leiche, die Stones Hand ergreift und für einige beklemmende Augenblicke nicht mehr loslässt, kündigt bereits das Grauen an, das dem Detective Inspector bevorsteht.

Durch weitere Maueröffnungen rechts und links fliegen Koffer oder entschwinden fliehende Menschen in artistischen Sprüngen. Die Choreographie, in der sich die SchauspielerInnen bewegen, ist sensationell. Auch die darstellerischen Leistungen sind grandios. Jede der vielen Personen ist präzise charakterisiert. Dadurch, dass einige SchauspielerInnen mehrere Rollen verkörpern, wird deutlich, dass der Inspector irrtümlich immer wieder Menschen zu sehen glaubt, die er kennt.     

Die dreistündige Aufführung ist von atemberaubendem Tempo und äußerst spannend, auch wenn das aktuelle Thema Menschenhandel hier ein bisschen zu unterhaltsam präsentiert wird.

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