Jette Steckel hat das Stück aus heutiger Perspektive betrachtet ohne es gewaltsam zu aktualisieren. Die Mannesehre muss auch hier im Duell verteidigt werden, und Amerikareisen werden noch per Schiff unternommen. Die AkteurInnen tragen jedoch moderne Kleidung und scheitern glaubwürdig an denselben Beziehungsproblemen, mit denen die Menschen schon zu Beginn des 20.Jahrhunderts nicht zurechtkamen.
Alles dreht sich um Ehebrüche, erotische Eskapaden, die Sehnsucht, nach sexuellen Abenteuern in eine verlässliche Bindung zurückkehren zu können und, bei Friedrich Hofreiter, auch um eine handfeste Midlifecrisis.
Felix Goesers Hofreiter ist kein eleganter Schwerenöter. Er wirkt vital, unkompliziert und weiß seinen jungenhaften Charme erfolgreich einzusetzen. So wie er an seiner Frau herumfingert, scheint er ihrer durchaus nicht überdrüssig zu sein.
Zu Beginn des Stücks hat der Industrielle Friedrich Hofreiter eine Affäre hinter sich gebracht und, während er bereits die nächste anvisiert, vergewissert er sich der Vertrautheit mit der Gattin. Die hat gerade bei Franz Mauer, Hausarzt und Freund der Familie, ihr Herz ausgeschüttet und lässt die besitzergreifenden Zärtlichkeiten halbherzig über sich ergehen.
Maren Eggert als Genia Hofreiter ist der Gegenpol zu ihrem tatkräftigen Ehemann, eine sensible, nervöse Frau, die unter seinen Seitensprüngen immer noch leidet, aber da sie sich nicht zur Trennung entschließen konnte, sich damit arrangiert hat und ihrem Mann mittlerweile eher mütterliche Gefühle entgegenbringt.
Genia hat keine Affären, gilt in der leichtlebigen Gesellschaft fast als eine Heilige und wird, vor allem von jungen Männern, hingebungsvoll umschwärmt. Für Hofreiter ist diese Treue nahezu ein Ärgernis, ein permanenter Vorwurf gegen seine Unbeständigkeit. Nachdem seine Frau ihm gestanden hat, dass der scheinbar rätselhafte Selbstmord des Pianisten Alexei Korsakow aus unglücklicher Liebe zu ihr geschehen ist, wirft er ihr vor, durch ihr Festhalten an der ehelichen Treue den Tod des hochbegabten jungen Künstlers verschuldet zu haben.
Obwohl er mit Korsakow befreundet war, versinkt Hofreiter nicht in Trauer, überlässt Genia ihren widerstreitenden Gefühlen und begibt sich fröhlich mit einer kleinen Gruppe von FreundInnen auf eine Bergtour, von der er sich die Eroberung der jungen Erna Wahl verspricht.
Felix Goeser und Anna Drexler (Erna Wahl) klettern in Unterwäsche halsbrecherisch auf dem Sofaturm herum, schwören einander Liebe, und Hofreiter, der sich, durch das Beisammensein mit der jungen Frau, selbst wieder jung fühlt, erklärt, er werde sich scheiden lassen und bittet Erna um ihre Hand.
Erna jedoch lehnt Sicherheiten und Konventionen ab. Sie will den Rausch der ganz großen Liebe erleben so lange er dauert. Dass sie am Ende von Hofreiter einfach stehen gelassen wird wie ein überflüssig gewordener Gegenstand, entspricht wohl nicht ihren Erwartungen.
Auf dem Sofaturm nistet sich vorübergehend auch Genia ein, die sich nun endlich doch zu einem Seitensprung entschlossen hat und dem Werben des Marine-Fähnrichs Otto nachgibt. Noch einen jungen Mann will sie nicht auf dem Gewissen haben, und außerdem will sie es wenigstens einmal mit einem lockeren Lebenswandel versuchen.
Wie Felix Goeser erklimmt auch Maren Eggert geschickt die Turmspitze. Genia aber hat offenbar keinen Geschmack am Abenteuer gefunden. Sie beendet die Affäre und macht dem Fähnrich keine Hoffnung auf ein späteres Wiedersehen. Nachdem der schon am nächsten Tag in die Südsee abreisen muss, könnte diese Geschichte damit zu Ende sein.
Hofreiter aber, dem doch angeblich an der Treue seiner Frau gar nichts liegt, ist in der Nacht von seinem Ausflug zurückgekommen, hat sein Haus beobachtet und Otto am frühen Morgen aus dem Schlafzimmerfenster steigen sehen. Eifersucht ist ihm, nach eigener Aussage, fremd, aber der „Hopf“ zu sein, behagt Hofreiter ganz und gar nicht, und so fordert er den Fähnrich zum Duell. Was sich undramatisch abwickeln ließe, wird zu blutigem Ernst, als die beiden Männer einander gegenüber stehen. Otto verkörpert die Jugend, die für Hofreiter unwiederbringlich vorbei ist, die er dem anderen missgönnt, den er deshalb mit einem gezielten Schuss tötet.
Das Duell findet nicht auf der Bühne statt, aber durch Felix Goesers Bericht und Maren Eggerts entsetzte Reaktionen erscheint es wie etwas tatsächlich Gesehenes. Hofreiter wirkt zunächst gefasst und ist sich keiner Schuld bewusst. Erst durch Genias Vorwürfe begreift er die Ungeheuerlichkeit seiner Tat. Reue empfindet er deshalb nicht, sondern wird von tiefstem Selbstmitleid überfallen. Ganz selbstverständlich sucht er Trost bei seiner Gattin, die ihm jedoch die Schulter zum Ausweinen verweigert.
Auch seinen langjährigen Freund Mauer hat Hofreiter verloren, denn, wie er wusste, war Mauer in Erna verliebt und wollte sie heiraten.
Die Spannung in dieser Inszenierung ergibt sich durch die präzise gezeichneten unterschiedlichen Charaktere. Ein paar Nebenfiguren und Nebenhandlungen sind gestrichen, was der Konzentration auf die Handlung zugute kommt. Dabei wird gar nicht gehandelt, sondern, bis auf die Kletterpartien, ausschließlich geredet, aber den SchauspielerInnen gelingt es, mit Worten Aktionen und Bilder zu vermitteln, und Maren Eggert versteht sich auf die Kunst, beredte Pausen zu setzen, in denen sich Genias Zerrissenheit offenbart.
Wunderbar handfest ist Simone von Zglinicki als Frau Wahl, die nicht ganz in die Upperclass-Gesellschaft hineinpasst, sich dort aber umso entschiedener behauptet. Was sich zwischen ihrer Tochter und Hofreiter anspinnt, bemerkt sie entweder nicht, oder sie mutmaßt, dass sich ihrer Erna dadurch beachtliche Zukunftsaussichten eröffnen könnten.
Erna Wahl (Anna Drexler), Franz Mauer (Ulrich Matthes), und Otto (OleLagerpusch) sind die einzigen ganz aufrichtigen Menschen unter lauter Verlogenen und Verunsicherten. Während Ole Lagerpusch dem zurückhaltenden jungen Liebhaber poetischen Zauber verleiht, wirkt Franz Mauer eher ein bisschen langweilig in seiner Integrität. Kein Wunder, dass Erna ihn zwar achtet, aber nicht ehelichen will. Außerdem ist sie seit ihrer Kindheit in Hofreiter verliebt. Anna Drexler gestaltet Erna als emanzipierte junge Frau, die sich rückhaltlos in die große Liebe hineinstürzt.
Dass die so elegant und mühelos erscheinende Kletterei auf dem Sofaturm nicht ungefährlich ist, musste Katrin Klein erleben, die sich während der Proben dabei verletzte, weshalb Natali Seelig die Rolle der Adele Natter übernommen hat. Mit lässiger Koketterie treibt die Bankiersfrau von einer Affäre zur nächsten, während ihr Mann (Helmut Mooshammer) sich höchst unmännlich durch die Verleumdung der Liebhaber rächt.
Es ist nicht so einfach, mit dem Betrogenwerden umzugehen. Die Schauspielerin Anna Meinhold-Aigner hat schon vor vielen Jahren einen Schlussstrich unter ihre Ehe gezogen. Was eigentlich in ihr vorgeht, verbirgt Almut Zilcher unter manieriertem Komödiantinnengehabe.
Ihren zum Teufel geschickten Ehemann verkörpert Bernd Stempel. Doktor von Aigner ist, trotz ständig wechselnden Liebhaberinnen ein Einsamer, der es sich nicht verzeihen kann, die einzige Verbindung, die ihm wichtig war, leichtfertig aufs Spiel gesetzt zu haben.
Arthur Schnitzler hat in seinem Stück den Untergang der pervertierten Feudalgesellschaft thematisiert. In Jette Steckels Inszenierung zeigt sich auch der Untergang der zeitgenössischen rücksichtslosen Spaßgesellschaft.
„Das weite Land“ von Arthur Schnitzler ist seit dem 12. Dezember im Deutschen Theater zu erleben. Nächste Vorstellungen: 8. und 15. Februar 2015.