Vom “Löwenkäfig”, in dem die Löwen sind, singen die Kinderstimmen während des Vorspanns. Doch kindlich geht es nicht zu im Leben Julias (Martina Gusman). Mit zwei Männern lebt das argentinische Mädchen aus wohlhabenden Familie in einer Dreiecksbeziehung zusammen. Von einem ist sie schwanger, von welchem, weiß sie nicht. Der Tote ist der Vater ihre Sohnes Thomas, beschließt Julia, nach der Verurteilung. Der Ermordetet und Julias und sein gemeinsamer Partner Ramiro (Rodrigo Santoro) liegen blutüberströmt in der Wohnung. Julia kann sich an nichts erinnern und diese Erinnerungslücke teilt der Zuschauer durch den Film. Nicht die Schuldfrage steht im Zentrum, sondern die Situation selbst, in Traperos titelgebenden “Löwenkäfig“.
Julia kauert hier. Erst wie betäubt, unfähig zu realisieren, was passiert ist und was nun mit ihr geschehen wird. Bis zum Prozess wird Julia in ein Frauengefängnis gebracht. In einer speziellen Abteilung werden hier Schwangerer und Mütter untergebracht. Gemeinsam mit ihren Kindern, bis diese maximal vier Jahre alt sind. Gespenstisch wirkt der Kontrast von Gittern und Spielzeug, Babyrasseln an Metallpritschen und Buntstiftbildern auf Betonmauern. Den “Löwenkäfig”, in dem Julia eingesperrt ist, verniedlicht das Drama entgegen dem Kinderlied nicht. Schmutzig, eng und ohne Privatsphäre leben die Frauen hier mit ihren Kindern. Dass dies keine geeignete Umgebung für Kinder ist, steht fest. Doch Traperos Drama wirft die Frage auf, wann man die Kinder von ihren Müttern trennen soll und ob sie unter Umständen bis dahin nicht doch gut bei den Müttern aufgehoben sind. Denn die Frauen kümmern sich trotz Gewalttätigkeiten und Beschimpfungen untereinander fürsorglich um ihre Kinder.
Mehr von den anderen Müttern und deren Verhältnis zu ihren Kindern neben Julias zärtlicher Beziehung zu ihrem Sohn Thomas hätte in dem über zweistündigen Drama Raum finden können. Doch Trapero konzentriert sich ganz auf seine Hauptprotagonistin und den Gefängnistrakt. Hier lernt Julia ihre Mitgefangene Marta (Laura Garcia) kennen. Marta behütet die Neuangekommene mit einer Mischung aus Freundschaft und Mütterlichkeit. Unter Martas eher rauer Schale verbirgt sich tiefe Wärme. Eine Wärme, welche in Julias Beziehung zu ihrer leiblichen Mutter Sofia (Elli Medeiros) fehlt. Es zeugt vom Feingefühl des Regisseurs, dass er auf die Darstellung einer idealisierte Zweierbeziehung verzichtet. Einzig in den rührseligen Begegnungen Julias und Ramiros verfehlt das Drama den Ton. Zwischen den beiden Darstellern, jeder für sich exzellent, entsteht keine Dynamik.
Dabei birgt gerade diese Beziehung der beiden einstigen Geliebten, die der Tod eines geliebten Menschen eint, welchen zudem noch einer von ihnen ermordet haben muß, starkes Konfliktpotential. Hass, Liebe und gemeinsamer Schmerz müssen die beiden Figuren bewegen, doch dies lässt “Löwenkäfig” unerforscht. Julia und ihrer Beziehungen zu anderen Frauen, zu Marta und ihrer Mutter, welche ihr das Kind schließlich wegnehmen will, interessieren Trapero mehr. Dabei handelt Sofia nicht aus Ablehnung gegenüber ihrer Tochter, sondern aus verständlicher Sorge um den Enkelsohn Thomas. Denn Spielzeug kann das Spielen im Freien nicht ersetzten, der Kontakt mit einer kleinen Gruppe Krimineller nicht normale Beziehungen zu anderen Kindern und Erwachsenen. Nun erst beginnt Julia wie eine Löwin für ihren Sohn zu kämpfen.
An die sprichwörtliche Löwenmutter lässt der Titel und die Frauengefängnisthematik sofort denken. Doch Julia muss erst dazu werden. In einer kleinen Szene schlägt sie in ohnmächtiger Verzweiflung auf ihren Bauch. Es muss viele Dramen gegeben haben im Leben dieser jungen Frau. Doch sie bleiben im Verborgenen. “Löwenkäfig” erzählt nur von seinem Handlungsort und der sensiblen Hauptfigur. Martina Gusman spielt diese Julia nuanciert, eine Komplizierte, oft Widerspenstige, mit inneren Stärke unter der äußeren Zerbrechlichkeit. Sie ist wie die eingesperrten Tiere im Zoo, die ihr kleiner Sohn bei einem Ausflug nicht sehen mag: das Essentielle hinter den einsperrenden Stäben.
Originaltitel: Leonera
Deutscher Titel: Löwenkäfig
Genre: Drama
Land/Jahr: Argentinien/Südkorea 2008
Kinostart: 18. Juni 2009
Regie: Pablo Trapero
Drehbuch: Alejandro Fadel, Pablo Trapero
Darsteller: Martina Gusman, Elli Medeiros, Rodrigo Santoro, Laura Garcia
Verleih: MFA+Filmdistribution
Laufzeit: 113 Minuten
FSK: Ab 12