“Happy Birthday, Schmiere!“ – Die Schmiere“ in Frankfurt am Main feiert 60 Jahre Kabarett

Das Ensemble der "Schmiere" in den 50er Jahren.

Was haben sich die Frankfurter damals gestritten, sowohl über den deutliche Worte sagenden und keineswegs einfach zu handhabenden Rolfs wie auch über das Programm des politischen Kabaretts, das in einer Zeit voller Tabus stattfand, wo der Antikommunismus genauso tobte, wie die Befürworter dessen, es sei doch alles nicht so schlimm gewesen mit dem Hitler, und die Masse der Bevölkerung gar nichts von gesellschaftlichen Hinter-, gar Abgründen wissen wollte, sondern mit dem Wiederaufbau des Landes und auch dem persönlichen Wirtschaftwunder beschäftigt war: der Kühlschrank, der Fernseher, das Auto, die Wohnungseinrichtung, die Italienfahrt. Eine ideale Zeit für politisches Kabarett und so sind die Erinnerungen auch für uns, die als Kind erstmals 1955 von den Eltern mitgenommen wurden. Das sagt uns nämlich das Programm Nr. 1 aus dem Jahr 1955, wo Rudolf Rolfs als Vorwort schrieb: „Dieses Buch widme ich den Mädchen, die häßlich sind und es sich leisten können und den Mädchen, die so schön sind, daß sie es sich leisten können, dieses Buch nicht zu verstehen.“

Na ja, denken wir heute. Da hatte es seine – richtig gut aussehende und putzmuntere Tochter Effi, die auf der Bühne wie zu Hause ist, so selbstverständlich und natürlich kommen alles Gesten und Sketche – da hatte es Tochter Effi B. Rolfs sicher auch nicht immer leicht. Aber inhaltlich, da kann man sich am Vater schon begeistern, an Themen des Programms von 1955 wie „Deutsche Familie“ über „Rivalität“, „Der Backfisch“ „Himmlisches für Irdische“ bis zur „Kritik“. Mit Letzterem hat Rolfs seinem Kollegen Georg Kreisler dessen „Musikkritiker“ schon vorweggenommen:

„Kritik.

A.: Geben Sie mir bitte ein Programm.

B.: Bitte sehr.

A.: Auf Wiedersehen!

B.: Ich verstehe nicht”¦Sie nehmen nur ein Programm? Besuchen Sie denn nicht die Premiere?

A.: Nein, keine Zeit. Ich bin der Kritiker und unsere Zeitung will als erste morgen früh mit der Kritik herauskommen.“

So haben wir es nicht gemacht und gerne und mit zunehmendem Vergnügen nach langer Zeit wieder einer Schmierevorstellung angeschaut, die anläßlich des Jubiläums auch die „Früheren“ auf die Bühne brachte. Aber auch im Zuschauerraum wurde das Jubiläum honoriert. Nicht nur, daß alles total ausverkauft war, sondern es waren auch diejenigen gekommen, die politisch dem Rolfs den Rücken frei gehalten haben. Das ist in erster Linie der ehemalige Kulturdezernent Hilmar Hoffmann, der extra eine andere Premiere abgesagt hatte, um dabei sein zu können, was die Anwesenden mit besonders lautem Applaus beantworteten. Aber auch Felix Semmelroth war da, der amtierende Kulturchef und auf die Namen der übrigen Prominenz müssen wir jetzt verzichten. Zu viele! Und eigentlich müßte man auch die Akteure erwähnen, die schon 666 Vorstellungen in der Schmiere gaben oder auch „nur“ über 400, wie Dieter, der auf die Bühne kam.

Wer das alles nicht kennt, dem muß man allerdings zuvor diese Spielstätte beschreiben, die sich „das schlechteste Theater“ der Welt nennt. Die Adresse ist erst einmal erstklassig: im Karmeliterkloster! Wer weiß, wie schön dieses spätgotische ausgebaute Bauwerk mit den wunderbaren Fresken des Jörg Ratgeb ist– dem größten Zyklus nördlich der Alpen -, der weiß auch, daß verschiedene Institutionen sich unter dem großen Komplex verbergen: u.a. das Institut für Stadtgeschichte, das archäologische Museum und eben unten im Keller, durch den Eingang Seckbächer Gasse 4 zu erreichen – dieses Tonnengewölbe, das schon durch die Form und Enge eine Einheit schafft, wenn alle dichtgedrängt ins Schwitzen kommen: sei es durch die Bühne und das laute Lachen veranlaßt, sei es durch Luftnotstand verursacht. Vorne stehen sogar zwei bequeme Sofas und dahinter eine Stuhlreihe hinter der anderen, von der wir flugs für uns formulierten, daß kein Stuhl dem anderen gleiche, bis wir dann doch dreimal zwei gleiche fanden. Gemütlich und was Besonderes ist es mit zwei Worten.

Der Vorhang. Alles beginnt mit dem Vorhang und als ihn Theaterleiterin Effi B. Rolfs, die mit ihren Kollegen Klaus Tessnow und Matthias Stich ein sehr harmonisches Führungstrio abgibt, zu heißer Musik hochhebt, da findet das Lachen kein Ende. Eine allerliebste rund geschnittene und total vergilbte Pappe, auf der deutliche lesbar VORHANG steht und an dessen unterem Rand verschlissene und lose bommelnde Troddeln hängen – oder sagt man Quasten oder Püschel dazu?, Bommel auf jeden Fall nicht! – und der zu Beginn und Ende der Vorstellung jeweils hochgehoben wird und Geschichte schreibt, denn auf ihm klebt noch das Verzollungszeichen, das nötig war, als die Schmiere in Venedig auftrat und den Zoll passieren mußte. Nicht schlecht so ein Vorhang, dessen Funktion als wunderbare Gedächtnisstütze einem dann Effi B. Rolfs vorführte: Nachdem sie das folgende Programm verkündet und die vielen Künstler vorgestellt hatte, drehte sie den Vorhang um, auf den ihr Spickzettel geheftet war.

Zum Jubiläum gehört erst einmal, sich die Vergangenheit zu vergewissern, die man gut überschreiben könnte: „Wenn der Vorhang erzählen könnte”¦“. Der würde nämlich die Vorgeschichte bringen, wie der Autor und Kabarettist Rudolf Rolfs der pragmatischen Empfehlungen des Eugen Kogon folgte(Mitbegründer der Frankfurter Hefte und Autor des „ Der SS-Staat“, ein Buch, das er schreiben konnte, weil er sechs Jahr im KZ Buchenwald überlebte): „Fangen Sie an, um alles andere wird sich schon die Behörde kümmern!“ Zum 9.9.1950 würde der Vorhang dann für Frankfurt dazusagen: „erster Neckermannkatalog mit 12 Seiten und 133 Textilangeboten, die immerhin 100 000 Millionen DM brachten“, oder, daß mit 45 Metern der AEG Turm der höchste Frankfurts war. So brachte Effi B. Rolfs im Rundumschlag die Zeiten nahe, ging die 50er Jahre weiter durch, wobei der Name und der Fall Rosemarie Nitribitt nicht fehlen dar, die 60er und die weiteren Jahrzehnte, von denen sie seit 1990 verantwortliche Theaterleiterin ist.

Und dann kam er. Er, dessen Auftritt ganz schwer zu schildern ist, weil das unnachahmliche Hessisch-Französisch sich nicht wiedergeben läßt, mit dem Zauberer Michael Leopold in die Rolle des Monsieur Brezelberger schlüpfte. Den gab es nämlich schon zuvor auf der Bühne, den Pretzelberscher – im heimatlichen Idiom -, aber erst er machte ihn zum Monsieur Brécel Bergè, der direkt aus dem „Libido“ aus Paris kommt. Sind wir so leicht zu unterhalten? Denn wir kamen aus dem Lachen nicht heraus, aber gleichzeitig auch nicht aus dem Staunen, wie es einer fertigbringt, vor unseren Augen aus drei unterschiedliche langen Seilen gleichlange zu machen, die am Schluß auch noch ein Rundseil ergeben. Und gegen Ende des Abends kam dann auch seine zersägte Jungfrau, die gelungen war, denn sie schlug zurück und setzte dem Brécel Bergè die Füße direkt an den Rumpf. Sagenhaft.

Dazwischen haben die vier Benannten und Klaus Donald Berkenhoff, Klaus Dengler, Anne Georgio, Uwe Gerritz, Melina Hepp, Franka Klein, Linda Krieg, Stefani Kunkel, Bernd Krieg, Manfred Paech (der nächste tolle Zauberei mit dem Flaschentrick), Edda Rössler, Gudrun Schnitzer, Julia Stolze, Christiane Stiller, Dieter Voss, Gabrielle Ziegler und Jörg Zick die Programme wiederbelebt: „Sie sind ein Ferkel, Exzellenz!“ oder „Die tote Ratte in der Limonadenflasche“ oder „Dornröschen im Mistbeet – mit 1189 Vorstellungen Rekordinhaber des meist gespielten Programmes in deutscher Sprache! – und insgesamt ein Potpourri von guter Laune und Witz versprüht, der einem klarmacht, die Zeiten ändern sich, der Kabarettstil mit ihnen. Subtiler muß man heute Dinge bringen in einer Zeit, in der angeblich alles gesagt werden darf. Deshalb erwarten wir im nächsten Programm der Schmiere eine kabarettistische Reflektion auf die politisch-gesellschaftliche Schmierenkomödie unserer Tage: Den Fall Sarrazin.

Am 21. Oktober gibt es die nächste Premiere!

www.die-schmiere.de

Vorheriger ArtikelAm verbotenen Berg
Nächster Artikel91 Prozent aller Jugendlichen nutzen das Internet