Berlin, Detuschland (Weltexpress). Die Stimmungswogen in der Mercedes-Benz-Arena schlugen hoch. Die deutsche Handball-Nationalmannschaft stieg mit lockeren Siegen gegen Korea (30:19) und Brasilien (34:21) in die 26. Weltmeisterschaften ein. Was kann es da im dritten Spiel gegen die Russen anderes geben als einen Sieg?!
Doch erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Tatsächlich lagen die Deutschen von der dritten bis zur 59. Minuten immer in Front. Bisweilen führte das Team von Bundestrainer Christian Prokop mit vier Toren. Doch wer dachte, die Messen sind angesichts einer 16:12-Führung nach 38 Minuten gesungen, kennt die Russen nicht. Der bärtige Timur Dibirow demonstrierte plötzlich seine Wurfkünste und drehte die Kugel am verblüfften deutschen Keeper Andreas Wolff nahezu kunstvoll in die Kiste.
Acht Tore erzielte der 25 Jahre alte Linksaußen. Neun Sekunden vor dem Schlusszeichen ließ der 19 Jahre alte Sergej Kosorotow die Euphorie dann in Katerstimmung umschlagen. 22:22! Da half auch nicht mehr das Smoothie aus Mango, Haferflocken, Erdbeeren und allerhand anderen Zutaten von Teamarzt Kurt Steuer.
Das Getränk soll die deutschen Spieler bei Kräften halten. Die aber schwanden in den letzten zehn Minuten. Unsere Jungen wirkten nicht nur müde sondern auch unkonzentriert.
Der Kieler Steffen Weinhold donnerte den Ball immer wieder in die enge Deckung der Russen. Berlins Fuchs „Paule“ Drux servierte mit einem Fehlwurf dem Russen Dmitri Tschitnikow den Ball zum 21:21 direkt in die Arme.
Wer sich mit der Geschichte der Duelle zwischen Russland und Deutschland, der Sowjetunion und der alten Bundesrepublik sowie der DDR und der UdSSR beschäftigt hat, der setzte sich ohnehin mit gemischten Gefühlen vor den Fernsehapparat. „Wir haben zu viele technische Fehler gemacht“, gab Bundestrainer Christian Prokop zu. Eine ähnliche Aussage hörten wir auch schon vor zwei Jahren.
2016 waren nämlich beide Teams in Mannheim zum letzten Mal vor dieser WM aufeinander getroffen. Die Russen siegten mit 27:25. „Es war ein ziemlich haariges Spiel. Wir müssen deshalb voll konzentriert auf die Platte gehen“, hatte Christian Prokop vor dem WM-Spiel in Berlin zur Vorsicht gemahnt. Die Hoffnung: Bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen schockten die Deutschen schon mehrfach den als übermächtig erscheinenden Gegner. So feierten 13.500 Zuschauer zum Auftakt der WM in der MB-Arena die Weltmeister von 1978 mit Trainer Vlado Stenzel (83). In einem Wahnsinns-Finale bezwang die Bundesrepublik vor 41 Jahren in Kopenhagen die damalige UdSSR mit 20:19.
Geholfen hat dabei auch der damalige DDR-Rechtsaußen Wolfgang Böhme. Er kannte die russische Spielweise. So saß er abends auf dem Zimmer der Westdeutschen beim Bier und veranstalte eine Taktik-Schulung der besonderen Art.
Dem Russen-Schock der WM 1978 in Dänemark ließen die DDR-Handballer bei den Olympischen Spielen in Moskau 1980 den nächsten Hammer folgen. Die Ostdeutschen gewannen 23:22 und damit Olympiagold in der Verlängerung dank eines überragenden Torwarts Wieland Schmidt.
Zum letzten Mal als Weltmeister verließen die Russen 1997 das WM-Turnier. Vor genau 20 Jahren standen sie als Silbermedaillengewinner zum letzten Mal auf dem WM-Podest.
Den Weg dorthin wollen die Russen auch bei dieser WM gehen. Sie können dabei auf einige taktische Informationen vom zwei Meter großen Sergej Gorpischin zurückgreifen. Der 19-Jährige spielt in der Bundesliga beim HC Erlangen. Er ist in Deutschland geboren und aufgewachsen, weil Vater Wjatscheslaw als zweimaliger Olympiasieger ebenfalls in Erlangen spielte. Natürlich nutzte der russische Trainer Eduard Kokscharow den kleinen Vorteil.
Übrigens: 52 Länderspielen zwischen Deutschland und Russland nach der Wiedervereinigung gewann die Deutschen nur 14mal und spielten zweimal unentschieden.