Thomas Leyendecker, der bei den Berliner Philharmonikern die Posaune bläst, kann vieles. Er kann sogar Sir Simon Rattle. Das hat er kürzlich beim Schulorchestertreffen bewiesen, wo er anstelle seines von der Grippe geplagten Chefs zum Taktstock griff und das Schlußkonzert der Bläser dirigierte. Was er, wie er betonte, »normalerweise freiwillig nie getan hätte«. Aber es wäre ja sonst nicht weitergegangen im Programm. Und gut war er auch.
Im dritten Familienkonzert – weil es im vorigen Jahr so schön war, wurde »Der Sängerkrieg der Heidehasen« wiederholt – gab Thomas Leyendecker den leicht vertrottelten Direktor Wackelohr vom Hasenmusikverein. Der hat es bekanntlich auf die heiratslustige Hasenprinzessin abgesehen und schreckt auch – im Bunde mit einem figelanten Minister – vor einer Intrige nicht zurück, um den Sängerkrieg zu gewinnen. Was Voraussetzung für die Hochzeit ist. Das Ganze ist anstrengend. Zumal er zwischendurch immer wieder zur Posaune greifen muss, um gemeinsam mit seinen philharmonischen Kollegen die Handlung der Hasenoper voranzutreiben.
Und damit nicht genug: auch die Moderation der wie immer sehr gut besuchten Veranstaltung für die ganze Familie hatten die Musiker ihrem Kollegen Leyendecker anvertraut. Das lag nahe: ist er es doch gewesen, der den Bestseller von James Krüss für das Familienkonzert bearbeitet und bekannte Melodien – zum Beispiel aus den »Meistersingern zu Nürnberg« und den »Sängerkrieg auf der Wartburg« – entsprechend arrangiert und dabei parodistische Anklänge an die mächtig gewaltigen Wagneropern nicht gescheut hat. Applaus.
Seine Sprecherrolle sollte Leyendecker jedoch noch üben. Oder besser – ähnlich wie bei »Peter und der Wolf« – einen Erzähler engagieren, der als »Außenstehender« dem Ablauf mehr Struktur gibt und intensiver mit dem Publikum kommuniziert. Das dann wohl auch deutlicher motiviert gewesen wäre, in den Hasenchor einzustimmen, der mit Begeisterung vom »Hasenvolk« der Chor-AG der Evangelischen Schule in Steglitz gesungen wurde. So gab es Längen, Pausen, unmotivierte Gänge der Akteure – kurzum: es waren schon Familienkonzerte zu erleben, die mehr von der Perfektion erkennen ließen, auf die die Philharmoniker so stolz sind.
Die kleinen Besucher und sicherlich auch die meisten der Erwachsenen hat das selbstverständlich nicht gestört. Alle klatschten begeistert Beifall, als es Lodengrün (!) endlich geschafft hatte, mit seinem Trompetensolo alle Mitbewerber aus dem Feld zu schlagen, und die schöne Hasenprinzessin den Cello-Bogen aus der Hand legte, um sie dem künftigen Gemahl zu reichen.
Und den Philharmonikern – samt Education-Team mit Catherine Milliken an der Spitze – war es wieder einmal gelungen, viele Kinder in einen Konzertsaal zu locken, sie an klassische Musik heranzuführen, ihnen eine Ahnung von künstlerischer Arbeit zu vermitteln und vielleicht sogar den Wunsch zu wecken, beim nächsten Mal wieder dabei zu sein. Da der Eintritt bei den Familienkonzerten der Berliner Philharmoniker frei ist für alle Kinder bis 12 Jahre und Erwachsene den Einheitspreis von 8 Euro zahlen müssen, werden das zahlreiche Eltern ohne den Kulturgroschen von Frau von der Leyen ermöglichen können. Sie seien ermutigt.
Ebenso empfohlen werden kann ein Buch, das Kinder und auch die Eltern noch weit näher an Musik heranführt und an Menschen, die sie sich ausdenken, spielen und dafür sorgen, dass ein Konzert ein Gemeinschaftserlebnis ist. Margarete Zander, eine Radiomoderatorin, erzählt aufregende Geschichten, die hinter der Musik stecken. Sie erläutert, warum Posaunen Züge und Trompeten Ventile haben, was ein gezogenes Horn ist und warum Pferdehaare beim Geigenspiel unentbehrlich sind. Sie erzählt vom Muskeltraining der Blechbläser, warum sich Konzertmeister und Dirigenten die Hand schütteln, vom Solo-Pauker, der mehr als zweitausend Schlaginstrumente kennt, und sie macht neugierig auf besondere Highlights der Musikliteratur. Einige Apercus hätte sie sich getrost sparen können: über die Einflüsse Stalins auf das Werk Schostakowitschs beispielsweise streiten sich selbst die Musikwissenschaftler noch immer, da braucht es der flockigen Bemerkungen in einem Buch für Kinder nicht. Dass es ein deutscher Panzer war, der dem Komponisten Iannis Xenakis im Widerstandskampf gegen die Faschisten bleibenden körperlichen Schaden zufügte, wird höflich ausgespart.
John Harrison hat das Ganze anschaulich bebildert und ein paar Gags eingebaut: man folgt gerne dem Jungen, der immer wieder auftaucht und ein kleines Geheimnis über ein Instrument ausplaudert, oder dem Mädchen, das immer neue Rätsel weiß, deren Lösung natürlich jeder aufmerksame Leser kennt oder am Ende des Buches nachlesen kann.
Noch mehr Spaß freilich bereitet der direkte Anschauungsunterricht auf den beiliegenden DVDs. Die Berliner Philharmoniker stellen jedes der im Buch beschriebenen Instrumente vor und entlocken ihnen die schönsten Töne. Ganz nahe zoomt sich die Kamera an die Münder, die Hände und an die Details der Instrumente heran. Auch wenn die Kinder während der Familienkonzerte ihre Plätze verlassen und ganz dicht ranrücken dürfen ans Geschehen auf der Bühne – auf der DVD sieht man noch mehr. Und vor allem – die lässt sich stoppen, wenn man sich schnell ’ne Limo holen muss, weil es sooo spannend ist.
Allerdings dürfte der Preis von 24,95 Euro für wenig begüterte Familien zu hoch sein. Weil aber gerade die »bildungsfernen Schichten« an die Kunst herangeführt werden sollen, sollte mit Hilfe der den Berliner Philharmonikern stets wohlgesinnten Deutschen Bank eine Volksausgabe die Überlegung wert sein.
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Autorin: Margarete Zander, Illustration: John Harris, Herausgeber: Berliner Philharmonisches Orchester, Wirbelwind und Saitentanz/Musikalische Expeditionen mit den Berliner Philharmonikern, Ausgabe mit DVD – enthällt 3 DVD, 48 Seiten – Hardcover, Verlag SCHOTT Music, 24.95 Euro