Gleichgeschaltete Krisenverwaltung: Nuanciert neoliberal in die Bundestagswahl

Bundestag
U-Bahnhof Bundestag in Berlin. Quelle: Pixabay

Berlin, BRD (Weltexpress). Die großen Parteien haben die Entwürfe ihrer Wahlprogramme vorgestellt. Sie geben sich als Kontrahenten, stehen sich tatsächlich aber ziemlich nahe. Denn ihre Strategie der Krisenbewältigung ist durchweg, mehr oder weniger offen, neoliberal – und geht zulasten der Mehrheit.

„Die Definition von Wahnsinn ist: immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.“

Das dem Physik-Nobelpreisträger Albert Einstein in den Mund gelegte, aber vermutlich nicht von ihm stammende Zitat beschreibt trefflich den Kern, der alle großen Parteien miteinander vereint. In ihren Programmen zur vorgezogenen Bundestagswahl 2025 präsentieren sie Vorschläge zur Krisenbewältigung, die zwar dezidiert voneinander abweichen, aber über eine mehr oder weniger neoliberale Verwaltung der Krise des westlichen Kapitalismus zulasten der Mehrheit nicht hinausgehen.

SPD: Vergesslich und kriegsbereit

Die SPD setzt, wie ihr Kanzler und Kanzlerkandidat Olaf Scholz, auf Gedächtnislücken. Die Slogans, mit denen sie hausieren geht, negieren, dass die Partei, die irgendwann vor langer Zeit mal für die Arbeiterklasse antrat, seit vielen Jahren mitregiert. Stabile Renten, mehr Netto vom Brutto, gute Kitas und Schulen und Wirtschaftswachstum will sie bringen – obwohl sie bisher zumeist das Gegenteil bewirkte, egal ob gemeinsam mit der Union oder zuletzt in der Ampel-Koalition.

Bei der Vorstellung ihres Programmentwurfs am Dienstag im Willy-Brandt-Haus fokussierte die SPD ihre Zielgruppe: Geringverdiener, das prekär beschäftigte Kleinbürgertum und „junge Menschen ohne Hoffnung auf eine bessere Zukunft“. Scholz versprach (jetzt aber wirklich!) zum Beispiel einen Mindestlohn von 15 Euro pro Stunde, keine weiteren Rentenkürzungen und „vielleicht Vermögenssteuer“, so wie die Schweiz. Wer erinnert sich noch an die 2021 versprochene Kindergrundsicherung, die nie kam?

Beim Fordern deutscher Kriegsbereitschaft, Aufrüstung der Bundeswehr und Ukraine-Unterstützung steht die SPD der CDU/CSU und der FDP in nichts nach. Nur dass die beiden zuletzt genannten Fraktionen dies allein mit weiterem Sozialabbau finanzieren wollen, während die SPD zusätzliche Staatsausgaben fordert. Sie will so freilich ihre potenzielle Wählerklientel bei Laune halten, beziehungsweise wieder ködern. Doch selbst der kriegsbegeisterte Teil derselben erinnert sich vermutlich daran, dass eine Regierung mit SPD-Beteiligung in den letzten drei Jahrzehnten niemals ohne spürbaren Sozialabbau einherging.

Sozialstaatsreste abwickeln mit der Union

Seit den 1990er Jahren scheint es das Hauptkonzept der SPD zu sein, die Neoliberalen mit Zugeständnissen zu beglücken, sie zuweilen sogar zu überbieten. In der Ampel-Koalition war das nicht anders. Zusammen mit den Grünen und der FDP hat sie nicht nur den deutschen Kriegskurs weiter angekurbelt, sondern ein soziales Dilemma vorbereitet, das den Rückbau des kurz zuvor erst eingeführten Bürgergeldes zum repressiven Hartz IV bis hin zu gravierenden sozialen Einschnitten in der Obdachlosenhilfe nicht nur in Berlin zur Folge hat.

Der CDU und CSU kommt das zugute. Sie können das Vorbereitete nun abwickeln. In ihrem Wahlprogramm verkauft das die Union als „Politikwechsel für Deutschland“. Hinter vielen Floskeln verbergen sich darin aneinandergereihte Zugeständnisse an Vermögende, die nicht viel Lust haben, mit Steuern und Sozialabgaben zum Gemeinwesen beizutragen. Überdies spricht sie die Wählerschaft mit ausgeprägten Ressentiments gegenüber Armen, Arbeitern und ethnischen Minderheiten an – neoliberales „Business as usual“: Nach oben bücken, nach unten treten.

Kriminalität: Erst schüren, dann „bekämpfen“

Man kann das Unionsprogramm zusammenfassen: Militär aufrüsten, Sozialstaat abbauen. Die durch die fabrizierte Armut bedingte Zunahme der Kriminalität gibt dann immer neues Futter, um einen harten Polizeistaat zu beschwören. Im Unionssprech klingt das dann so: Der „gestiegenen Kriminalität“ sei eine „Null-Toleranz-Politik“ entgegenzusetzen: Strafmündigkeit schon für Kinder unter 14 Jahren, Wegfall des Jugendstrafrechts, schnellere Urteile und allgemein mehr Bürgerüberwachung und Exekutiv-Befugnisse.

Dass es seit Jahren in Richtung Polizei- und Überwachungsstaat geht, die Kriminalität offensichtlich dennoch nicht sinkt, ist freilich einer seit langem bekannten soziologischen Kausalität geschuldet: Sozialkürzungen produzieren Armut, die zu entsprechenden Verwerfungen führt. Man sieht das überall, in jedem Land, in jeder Stadt. Wer Armut fördert, treibt die Kriminalität in die Höhe. Nicht nur Union und SPD tun dies.

Wer Armut schürt, handelt noch nicht einmal im Sinne des Kapitals, wie man es vom Staat erwarten würde. Wo viele nichts mehr kaufen können, florieren auch kein Markt und keine Wirtschaft mehr. Doch an diesem Punkt scheint das Verständnis vieler Unternehmer und ihrer Verbände blockiert zu sein, wenn sie, wie jüngst, verwundert klagen: Das Weihnachtsgeschäft kommt nicht in Schwung.

Klientel-Geschenke von der FDP

Die FDP rudert mit der Union im selben Boot. Ihre gleichfalls am Dienstag präsentierte Wahlkampagne unter dem Motto „Alles lässt sich ändern“ liefert Einblick in ihre klassische Klientel-Politik: Rüstungsbudget rauf und Staatseinnahmen runter; Absicherung der Kapitaleinkommen durch Steuersenkungen für Wohlhabende und Sozialabbau fürs gemeine Volk, um die Mindereinnahmen auszugleichen; ausbeuterische imperialistische Außenpolitik wie gehabt und die Folgen, nämlich Migration, noch stärker mit Polizei und Militär zu bekämpfen.

Die AfD ist programmatisch zwar nicht so weit entfernt davon, stellt das aber weitaus cleverer dar. Sie fordert, unabhängig von der Machbarkeit, zunächst mal: raus aus dem Euro und der EU, zurück zu Atomstrom und russischem Gas und ein Stopp der Waffenlieferungen in die Ukraine. Aufrüsten und Waffen in andere Länder liefern will sie trotzdem, auch in der NATO bleiben. Sie fordert drastische Steuersenkungen besonders für wohlhabende Großerben, bringt aber keinen Vorschlag zum Ausgleich der Einnahmeverluste.

AfD: Arbeitspflicht und Abtreibungsverbot

Hier lohnt sich ein Blick auf ihr Sozialprogramm, das fast wie bei der FDP und der Union klingt. Auch die AfD will zurück zu einer Art repressivem Hartz IV, allerdings ausschließlich für Deutsche, und zusätzlich zu harten Sanktionen bei Ungehorsam eine Arbeitspflicht einbauen. Das heißt: Auch die Grundsicherung sollen Betroffene sich erarbeiten müssen, was einen Sektor für stets verfügbare, billigste Arbeitskräfte schaffen würde, vermutlich bei der Straßenreinigung, Grünanlagenpflege und anderen kommunalen Aufgaben.

Für Frauen droht gar ein realer Rückschritt: Die AfD will Schwangerschaftsabbrüche fast komplett verbieten. Einzige Ausnahmen sollen eine schwere Behinderung des Fötus (medizinische Indikation) oder eine nachgewiesene Vergewaltigung als Schwangerschaftsursache (kriminologische Indikation) sein. In allen anderen Fällen würden Arzt und Patientin hohe Strafen drohen. Eine ungewollt schwangere Frau wäre somit entweder gezwungen, illegal abzutreiben oder das Kind auszutragen und wegzugeben.

Grünes Echo aus der irrealen Blase

In Sachen Marktmythologie stehen die Grünen der Union, FDP und Co. kaum nach, mit ihrer Kriegsbegeisterung drängeln sie sich geradezu nach vorne. Sozial geben sie sich derweil humaner, was mit Blick auf die zurückliegenden drei Jahre in der Regierung nicht einmal mehr halbherzig erscheint. Floskelhafte Versprechen von „bezahlbarem Leben“, „mehr Gerechtigkeit“, einer „starken und innovativen Wirtschaft“, „sauberer Umwelt“, „billigem Strom“ oder „Frieden in Freiheit“ wirken wie Rufe aus einer von der Realität nunmehr vollständig abgekoppelten Blase.

Der größte Unterschied in den Programmen ist vermutlich der Gehalt an Moralin. Bei SPD und Grünen findet man, ganz wie erwartet, weitaus mehr davon als bei den anderen Parteien. Deren Realpolitik zeugt allerdings von purer Heuchelei: das Schüren des Blutvergießens in der Ukraine durch milliardenschwere Waffenlieferungen; das Fördern des israelischen Völkermordes in Palästina auf die gleiche Weise; die Nichtaufklärung des Nordstream-Terroranschlags mit Inkaufnahme horrender Energiepreisanstiege und Verarmung von Teilen der Bevölkerung; umfassende Kürzungen im Sozial- und Gesundheitswesen; der vernachlässigte Wohnungsbau; ungebremste Privatisierungen und so weiter.

Freiheit – für BlackRock

Mit anderen Worten: Sie alle geben vor, Probleme mit Mitteln bekämpfen zu wollen (und zu können), die schon vor 20 Jahren – etwa durch die Agenda 2010 – nicht funktioniert haben, weil sie, einmal abgesehen von der inkompetenten Politik, zu ihren Ursachen gehören. Sie verschärfen sozusagen die Probleme durch immer mehr von ihrer Ursache, um am Ende dann den Polizeistaat als „Lösungsstrategie“ anzubieten. Um von den Repressionen in Deutschland dann trefflich abzulenken, basteln Medien vermutlich schon an neuen Geschichten über Repressionen in Russland.

Apropos Russland: Wahrscheinlich könnten die deutschen Neoliberalen von dessen Präsident Wladimir Putin noch einiges lernen: zum Beispiel, wie man Oligarchen zumindest etwas in die Schranken weist. Vermutlich fürchten sie jedoch den strengen Zeigefinger des großen „Bruders“ aus Übersee zu sehr. Mit ihm legen sich die deutschen Prediger der Marktwirtschaft aller Parteien dann besser doch nicht an. Wo diese heute von „Freiheit“ schwadronieren, kann sich der Wähler getrost ein „für BlackRock“ dazu denken.

Anmerkung:

Vorstehender Beitrag von Susan Bonath wurde unter dem Titel „Gleichgeschaltete Krisenverwaltung: Nuanciert neoliberal in die Bundestagswahl“ am 22.12.2024 in „RT DE“ erstveröffentlicht. Die Seiten von „RT“ sind über den Tor-Browser zu empfangen.

Siehe auch die Beiträge

im WELTEXPRESS

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