Die kommt unverhofft. Yus Vater ist Priester geworden. Doch was soll Yu beichten, der nicht einmal Ameisen zertritt? Um seinem Vater (Atsuro Watabe) beichten zu können, beginnt Yu systematisch zu sündigen. Mit dem Beitritt zu einer Jugendbande und Ladendiebstählen fängt er an, um postwendend zum Beichtstuhl zu rennen. Endlich nennt Vater ihn nicht mehr einen Heuchler, der seine Vergehen verheimlicht. Doch weil Yu nicht sündig genug ist, hilft nur die Bekehrung zur Perversion. Entsprechend einem besonderen japanischen Fetisch wird Yu heimlicher Fotograf von Mädchenunterhosen. Ein bewunderter Meister seines Fachs, der eigentlich nur eines will: Seine “Heilige Maria”, seine große Liebe, finden. Bei einer Wette um das beste Unterhöschenfoto besiegt ihn ein Kumpel mit einem Erdbeerhöschen-Schnappschuss. Yu muss in Frauenkleider durch die Stadt laufen und ein Mädchen küssen. Da sieht er eine Schülerin im Kampf gegen eine Gruppe Schläger. Yus Maria! Und er verliebt sich unsterblich in”¦.
Yoko (Hikari Mitsushima) trägt eine Schuluniform und schlägt auf der Straße Männer zusammen. Seit sie als Kind von ihrem Vater missbraucht wurde, kann sie Kerle nicht ausstehen. Eines Tages muss sie es in einer Schlägerei mit einer ganzen Bande Männer aufnehmen. Da kommt ihr eine unbekannte Frau zu Hilfe. Yoko verliebt sich in die mysteriöse Fremde, ohne zu ahnen, dass sich unter der Frauenverkleidung Yu verbirgt. Doch alles wurde beobachtet von”¦
Koike (Sakura Ando). Kokaindealerin, Leiterin einer falschen Hilfsorganisation und Verkäuferin überteuerter Heiligenbilder sind nur einige ihrer Berufe. Das verdiente Geld geht an die sektenartige Zero-Kirche, deren Mitglied sie ist. Immer in Koikes Begleitung sind zwei Schlägermädchen in Tennisuniform und Koikes grüner Kanarienvogel. Dessen Vorgänger hatte Koikes brutaler Vater umgebracht, der ihr Abscheu vor ihrem eigenen Körper eintrichterte. Doch dafür musste er büßen. Schnipp-schnapp, ein Körperteil ab. Für die Zero-Kirche will Koike Yus Familie, zu der über einige Umwege mittlerweile Yoko zählt, in die Finger kriegen.
Das sind nur einige der Handlungsstränge und Figuren, denen man in “Love Exposure” begegnet. Den Ideenreichtum Sonos brillanter Szenenkompilation zu beschreiben, sprengt jeden Rahmen. “Love Exposure” gleicht einem Animé mit Realdarstellern, einem Film gewordenen Manga voller Anspielungen, überdrehter Effekte und Metaphern. Dabei verliert Sono nie seine Figuren aus den Augen. Er verknüpft die unterschiedlichen Handlungsstränge geschickt zu einem aufwühlenden Ganzen. Keiner der Charaktere wird vergessen, alles fügt sich am Ende zusammen: Yus Bandenfreunde, die überdrehte Freundin seines Priestervaters, der komische Typ mit der Bombe. “Love Exposure” lässt sich als Film kaum beschreiben, so bildgewaltig und skurril ist er. Die abgegriffenen Klischees von jugendlichen Rebellion, ewiger Liebe und sozialem Aufbegehren kleidet Sion Sonos dramatische Komödie in ein grellbuntes comicartiges Popgewand. Tatsächliche Perversion kommt aus der eigenen Familie. Brutale Familienoberhäupter machen Yoko, Yu und Koike verhaltensauffällig. Für den Aufstand der drei Jugendlichen kreiert “Love Exposure” eine Welt grotesker Symbolik wie Yokos Arbeit in einem Abrissunternehmen, wo sie die heimelige Familieneintracht klein schlagen darf oder Yus Unterhöschenfotomarathon. Von einem “unsichtbaren Krieg” spricht Yoko, während Kugeln um sie herum fliegen. Als einzige nimmt sie ein Schulmassaker in den Nachrichten wahr, während die Erwachsenen zu lauter Musik tanzen. “Ich will zu keiner Familie gehören!”, erklärt sie, denn Familie kennt sie nur als pathologische Unterdrückungsinstitution.
Geborgenheit und Liebe finden sich nicht im Konstrukt der Normfamilie, sondern in selbstgewählter Gemeinschaft. Deren vehementester Feind ist die organisierte Religion, Sekte oder Kirche. In einer postapokalyptischen Fantasieszene stemmen Yu und seine Wahlverwandtschaft ein riesiges Kreuz, symbolische Crux, welche sie tragen. Glaube hingegen steht in Eintracht mit Liebe. So fehlt auch die Hoffnung nicht. Wie Yu sagt: “Pervers sein ist auch ein Leben.” Und was für eines in “Love Exposure”. Der perfekte Film zum Sommerwetter. Die Röcke werden kürzer. Her mit den Erdbeerunterhöschen! Sonst haben Typen wie Yu nichts zu fotografieren. Filmzitat: Das Perversometer zeigt hundert Punkte. Danke, “Love Exposure”.
Titel: Love Exposure
Start: 13. August
Regie und Drehbuch: Sion Sono
Darsteller: Takahiro Nishijima, Hikari Mitsushima, Sakura Ando, Atsuro Watanabe
Verleih: Rapid Eye Movies
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