Frankfurt am Main, Deutschland (Weltexpress). Was uns die Frankfurter Schirn unter diesem Titel bis zum 25. Februar 2018 präsentiert ist eine Mischung aus Sittengemälde, Panoptikum und einem tiefen Blick in die Verzweiflung, die viele Künstler nach dem ersten Weltkrieg beim Blick auf die Lebensverhältnisse in dieser Republik zweifelsohne ergriffen und zum Malen gedrängt hat.
Nicht nur Berlin und nicht nur Grosz und Dix
Beim Stichwort „zeitkritische Malerei der Zwischenkriegszeit“ denkt man in der Regel zuerst an die Metropole Berlin und Maler wie Otto Dix oder George Grosz. Dass das Spektrum viel breiter war zeigt diese Ausstellung, die auch Szenen aus Dresden, Leipzig, Rostock, Stuttgart, Karlsruhe, München und Hannover präsentiert und über die genannten und bekannten Künstler auch Werke von Malerinnen und Malern wie Conrad Felixmüller, Carl Grossberg, Hans und Lea Grundig, Karl Hubbuch, Lotte Laserstein, Dodo, Rudolf Schlichter, Georg Scholz und Richard Ziegler umfasst. Die Stilmittel sind unterschiedlich, von der karikierenden Darstellung der Schiebertypen und reaktionären Spießer bis zum mitleidsvollen Blick auf das Elend der Prostituierten, der Hungernden, der Arbeitslosen.
Der Glanz ist Talmiglanz, das Elend ist echt
Die Ausstellung strukturiert die Exponate nach thematischen Zusammenhängen, die zugleich auch soziale Lebenswelten repräsentieren. Prostitution ist die eine Wirklichkeit, die Vergnügungsindustrie mit ihren Varietes und Revuen eine andere. Die Arbeiten von Jeanne Mammen (die derzeit auch in einer Ausstellung der Berlinischen Galerie zu sehen ist) und Dodo zeigen eine glatte, kalte Fashion-Welt und Szenen aus Schwulen- und Lesbenlokalen dokumentieren den sich schon damals formierenden Widerstand gegen den § 175. Die Ausstellung, souverän kuratiert von Dr. Ingrid Pfeiffer, will daher eine andere Lesart der Geschichte betonen: Nicht vom Ende her, dem Untergang im 3. Reich, sondern von der Vielfalt auch progressiver Tendenzen und wegweisender Ideen her, die in dieser Zeit entworfen wurden und aus ihrer Sicht den wahren Glanz dieser Epoche ausmachen.
Die Vision der modernen Frau als Gegenentwurf
In den ausgestellten Werken wird auch die Vision einen modernen, selbstbewußten und selbstbestimmten Frau deutlich. Eine urbane Frau die arbeitet, Sport treibt, sich funktional kleidet und Bubikopf trägt. Das genaue Gegenteil dessen, was der Nationalsozialismus später als Ideal der deutschen Frau verordnete. Indirekt spiegelt sich diese Tendenz auch im Spektrum der ausgestellten Künstler: Nahezu ein Drittel der Präsentierten ist weiblich – dass es so viele sind und sein können beweist, wie sehr Verkrustungen in dieser Zeit erodierten.
Eine Kunst, verhaftet im industriellen Umbruch und angesiedelt in den Städten
Auch wenn die Ausstellung zeigt, wie weit geografisch das Spektrum sowohl der Entstehungsorte wie der Künstlergruppen gestreut ist, sie macht auch deutlich, dass sich die Verwerfungen in den Städten und industriellen Ballungszentren am deutlichsten zeigen und dort auch aufgegriffen wurden. Elend, Arbeitslosigkeit und Prostitution gab es mit Sicherheit auch im Bayrischen Wald oder im Emsland. Nur führte es dort offenbar zu keiner vergleichbaren künstlerischen Entwicklung. Warum – die Frage kann und will die Ausstellung nicht beantworten. Vermutlich gab es kein soziales Biotop in dem solche Kunst und das dafür notwendige Publikum heranreiften.Insofern ist es ein Ausschnitt, der „Weimarer Republik“, der uns hier mit exzelenten Exponaten und einem überzeugenden Ausstellungskonzept vorgeführt wird. Aber dieser Ausschnitt ist berührend und beklemmend. Daher: Unbedingt ansehen!
Die Schirn bietet wie immer Begleitmaterial und Hilfen
Auch im Zeitalter der Digitalisierung freuen sich viele Besucher, dass es noch traditionelle Kataloge gibt, Der Katalog zu dieser Ausstellung ist im Hirmer Verlag München erschienen, umfasst ca. 300 Seiten und kostet 35 Euro in der Schirn, 49,50 Euro im Buchhandel. Daneben gibt es wieder ein Online-Tutorial, das über die Homepage der Schirn aufrufbar ist. Dort findet man auch die Übersicht zu den vielen angebotenen Begleitveranstaltungen.