Berlin, Deutschland (Weltexpress). George Blake, eine der zwiespältigsten, undurchsichtigsten und wohl auch brutalsten Figuren der Spionagewelt – Agent des britischen MI6 und Überläufer zum KGB – ist am Samstag im hohen Alter von 98 Jahren in Moskau gestorben. Blake, geboren 1922 in Rotterdam, war Sohn eines sephardisch-jüdischen Vaters (der die britische Staatsangehörigkeit erworben hatte) und einer protestantischen, niederländischen Mutter.
Abenteuerlicher Lebenslauf
Sein Vorname jedoch war inspiriert vom englischen König Georg V, Enkel von Königin Victoria. Doch Blake, der den Namen eines englischen Königs trug, sollte später diese Nation aufs schändlichste verraten. Blakes Leben war von einer schier unfassbaren Vielfalt, sein Lebensweg führte ihn durch die brisantesten Krisenzonen des Zweiten Weltkriegs und danach des Kalten Krieges, von der „Vie Douce“ in einem Ausbildungszentrum der Briten in den Hügeln um Beirut zu einem englischen Gefängnis, aus dem er den dramatischen Ausbruch schaffte – vom britischen Geheimdienst MI6 in den Schoss des sowjetischen MGB (Vorläufer des KGB): Er wurde zum Überläufer und zum Verräter, der den Briten den schwersten je erlittenen Schaden zufügte – nicht für Geld, wie andere Überläufer, sondern aus Überzeugung. Als junger Mann war er der Überzeugung, dass die Sowjetunion „das Reich Gottes auf Erden“ realisieren werde. Eine Überzeugung, die seinem Verrat zugrunde lag und die offensichtlich in der Religiosität seiner Mutter wurzelte. Sein sephardischer Vater, Albert Behar, der im Ersten Weltkrieg auf Seiten der Briten (daher der Name des Sohnes) kämpfte, hatte offenbar sein Leben wenig beeinflusst – seine jüdische Identität hatte er zeitlebens verheimlicht, wohl auch gegenüber seinem Sohn George.
Frühe politische Einflüsse
Als sein Vater 1936 starb wurde er im Alter von 13 jahren nach Kairo gesandt, zu einer schwerreichen Tante, die in einem orientalischen Palast residierte. Doch schon in Kairo wurde George politisiert – durch seinen Cousin Henri Curiel, der später die kommunistische „Demokratische Bewegung für die Nationale Befreiung Ägyptens“ leitete. Blake gab später zu Protokoll, dass die Begegnung mit dem zehn Jahre älteren und marxistischen Henri seine Überzeugungen im späteren Legen geprägt hätten.
1940 kehrte George, inzwischen 17, in die inzwischen von den Deutschen besetzte Niederlande zurück wund schloss sich dort der Widerstandsbewegung an, in der er als Kurier wirkte. Über Spanien und Gibraltar gelangte er nach London, wo er seinen Nachnamen von Behar zu Blake umänderte – eine Spionagelegende wurde geboren.
Er schloss sich der Royal Navy als Unterleutnant an und wurde sehr bald vom SIS (Secret Intelligence Service MI6) rekrutiert und in die niederländische Sektion eingeteilt. Er wollte eine Sekretärin ehelichen, die für den Geheimdienst arbeitete – aber ihre Eltern verhinderten die Ehe aufgrund der jüdischen Ursprünge Blakes.
Nach dem Krieg verhörte er gefangene deutsche U-Boot-Besatzungen in Hamburg, bald danach wurde er zur Britischen Gesandschaft in Seoul versetzt. Unter der Tarnung eines Vize-Konsuls sollte er Informationen über Nordkorea, China und den sowjetischen Fernen Osten einholen. Im Juni 1950 brach der Korea-Krieg aus. Seoul wurde vom kommunistischen Norden überrollt und Blake wurde von der nordkoreanischen Volksarmee gefangen genommen und in den Norden verschleppt.
Konversion zum Kommunismus
Die intensiven namerikanischen Bombardierungen Nordoreas durch die „Fliegenden Festungen“ und die Lektüre der Werke von Karl Marx machten ihn zum Kommunisten. In einem Geheimtreffen, arrangiert von seinen nordkoreanischen Bewachern, diente er sich dem sowjetischen Geheimdienst MGB als Mitarbeiter an. In einem Interview sagte er: „Ich kam zum Schluss, dass ich auf der falschen Seite stehe. Es wäre besser für die Menschheit, wenn das kommunistische System den Sieg davontragen würde“. Damit wurde Blake zum Doppelagenten.
1953 wurde Blake entlassen, 1955 stationierte ihn MI6 in Berlin mit der Aufgabe sowjetische Geheimdienstoffiziere als Doppelagenten zu rekrutieren. Aber zugleich informierte er eine KGB-Kontakte über die Details britischer und amerikanischer Geheimdienstoperationen – vor allem die berühmte „Operation Gold“, in der ein riesiger Tunnel nach Ost-Berlin gegraben wurde, mit dem Zweck, die militärischen sowjetischen Telefonleitungen abzuhören. Die Sowjets „entdeckten“ in der Folge triumphierend den hoch geheimen Tunnel und präsentierten ihn den Medien. Aber vor allem hat Blake nach eigenen Angaben in einem Interview den Sowjets zwischen 500 und 600 Namen britischer Geheimagenten preisgegeben, die dann verhaftet, zu lebenslänglichen Kerkerstrafen verurteilt oder gar nach Moskau deportiert und hingerichtet wurden: Die schlimmste Sünde, die ein Geheimagent gegenüber seinem Auftraggeber-Land begehen kann.
Blake wurde nach Libanon auf einen Arabisch-Sprachkurs entsandt. Ein polnischer Überläufer (Michael Goleniewski) nannte 1961 seinen Namen beim Debriefing durch MI6. Blake wurde nach London zurückbeordert – er ging und wurde drei Tage lang verhört. Er legte ein vollumfängliches Geständnis ab, vor allem gestand er, dass er damals in Nordkorea weder gefoltert noch unter Druck gesetzt worden sei, sondern freiwillig die Seite gewechselt habe.
Hohe Gefängnisstrafe und Flucht aus der Strafanstalt
Blake wurde zu einer der höchsten Gefängnisstrafen in der britischen Geschichte der Spionage verurteilt: 42 Jahre. Er galt als Muster-Gefangener, bis er fünf Jahre später, 1966 aus dem Gefängnis HM Prison Wormwood Scrubs in West-London auf dramatische Weise flüchtete – mit einer Strickleiter und der aktiven Unterstützung von drei Männern, alle Aktivisten in Kampagnen gegen die Nuklearrüstung. Sie hatten das Strafmass von 42 Jahren für „inhuman“ erachtet…
In einem Camper-Wagen schmuggelten seine Helfer Blake über den Englischen Channel und via Nordeuropa und Deutschland über die DDR-Grenze. So erreichte er schliesslich die Sowjetunion. 1990 publizierte er seine Autobiographie „No Other Choice“ (Keine andere Wahl) – und klagte gegen die britische Regierung wegen Verletzung seiner Menschenrechte vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrichte, und gewann: Er erhielt eine Kompensation in Höhe von 5000 Pfund Sterling… Seine Helfershelfer wurden freigesprochen.
Orden von Putin
Er heiratete (zum zweiten Mal) in der Sowjetunion und hatte Kinder. In Moskau lebte er von einer Rente des KBG, er bewohnte eine prachtvolle grüne Datscha aus Holz am Stadtrand – Geschenk des KGB. Zu seinem 85. Geburtstag, im Jahr 2007, erhielt er von Wladimier Putin den „Freundschaftsorden“ überreicht. Blake blieb selbst nach dem Untergang der Sowjetunion überzeugter Kommunist. Er hielt daran fest, dass er Grossbritannien nie verraten habe: „Um zu verraten, muss man sich zugehörig fühlen. Ich habe mich nie zugehörig gefühlt.“ Die Spione Russland hätten jetzt die „schwierige Mission, die Welt vor einem Nuklearkrieg und der Selbstzerstörung zu bewahren“.
Anmerkung:
Der Artikel von Dr. Charles E. Ritterband wurde im jüdischen Wochenmagazin „Tachles“ am 29.12.2020 erstveröffentlicht.