Zu ihnen gesellen sich Regierungen, Regionalbehörden und Kommunen, die sich von den Festivals Prestige und Wachstum versprechen. Profiteure sind auch das Olympische Komitee und die Sportverbände, weil sie über die Vergabe der TV-Rechte entscheiden und damit ihre eigene luxuriöse Existenz finanzieren.
Von demokratischen Entscheidungsprozessen kann nicht die Rede sein, denn Triebkräfte sind der Profit oder der Ehrgeiz von Bürgermeistern, Gouverneuren und Präsidenten, auch wenn dies staatliche Gelder verschlingt, die für Krankenhäuser, Schulen oder Trinkwasseranlagen weit dringender gebraucht würden.
In einem abendfüllenden Dokumentarfilm beobachtet Alexander Genteljew das Zustandekommen der Olympischen Winterspiele in Sotschi, die am 7. Februar beginnen. Genteljew hat sich als Kenner der russischen Verhältnisse bereits mit dem Dokfilm »Die Oligarchen – Aufstieg und Fall einer russischen Elite« (2005) ausgewiesen. Die Typen, die er damals bekannt machte, haben später Schlagzeilen geliefert: Michail Chodorkowski (Steuerhinterziehung, Lagerhaft, Begnadigung) oder Boris Beresowski (tot aufgefunden im Londoner Exil).
In dreijähriger Drehzeit sprach der Regisseur mit Staats- und Sportfunktionären, Ministern, Senatoren und Abgeordneten, Unternehmern und Investoren, mit Oppositionspolitikern, geschädigten Bürgern und Umweltaktivisten. Selbst Präsident Wladimir Putin übt Baustellenkontrolle vor der Kamera.
Stolz berichtet ihm der ehemalige Spitzensportler und heutige Senator Leonid Tjagatschow, wie er Wladimir Putin als begeisterten Skiläufer für die Idee einer Winterolympiade im Südkaukasus nahe des Seebades Sotschi am Schwarzen Meer erwärmte. 2002 plante eine Ministerrunde die Olympiabewerbung, die im ersten Versuch abgelehnt wurde. Es waren keinerlei Voraussetzungen vorhanden. Die Opposition hält den Ort für absolut ungeeignet, weil Sotschi mit seinem subtropischen Klima der wärmste Ort Rußlands ist. Aber nachdem Putin überzeugt war, wurde das Projekt auf Biegen und Brechen durchgesetzt. »Der Herrscher muß immer der Sieger sein«, sagt Tjagatschow. Durch massiven Einfluß auf Juan Antonio Samaranch und die Mitglieder des Olympischen Komitees erlangten sie am 4. Juli 2007 in Guatemala den Zuschlag. Mitbewerber waren Salzburg und Südkorea. Im Salzburger Umland waren zwar Sportanlagen und Infrastruktur bereits vorhanden, aber die russischen »Argumente« waren stärker. Interessant war die Reaktion der österreichischen Geschäftsleute. Die Chefs der Baufirma Strabag und des Seilbahnbauers Doppelmayr bedauerten als gute Österreicher den Ausfall Salzburgs, aber die russischen Milliardenaufträge nahmen sie gerne an. Innerhalb von zehn Jahren wurde ein gigantisches Bauprojekt in Gang gesetzt. Autostrassen, Eisenbahnlinien, ein Seehafen, Sporthallen, Sprungschanzen, Seilbahnen, Hotels, das olympische Dorf usw. wurden aus dem Boden gestampft. Das eigentliche Wintersportgebiet Krasnaja Poljana liegt 50 Kilometer von Sotschi entfernt. Es wurden grosse Risiken eingegangen. Die grosse Schanze rutschte 2012 ab, die Rodelbahn musste zweimal verlegt werden, den neuen Seehafen spülte der Sturm weg, die Eislaufhallen wurden mitten in ein Sumpfgebiet gesetzt, an einer Stelle, wo man sogar Stalin den Bau eines Flugplatzes ausgeredet hatte, wie im Film berichtet wird. A conto Olympiade wurden Wohnhochhäuser und Verwaltungsgebäude hochgezogen, deren Auslastung fraglich ist. Pfusch am Bau ist nicht selten, er ist aber sicher, wenn ein Bürgermeister willkürlich eine frühere Fertigstellung vorschreibt. Die Kosten explodierten. Hatte Putin anfangs die märchenhafte Summe von 12 Milliarden Dollar verkündet, schätzt der Oppositionspolitiker Boris Nemzow die wahren Kosten auf 45 Milliarden Dollar. Russische Generaldirektoren gaben keine Auskunft. Ein Bericht des Rechnungshofes über die Gesamtkosten wird geheimgehalten. Berichte über Korruption nehmen im Film breiten Raum ein. Viele Einwohner Sotschis wurden mittels eines neuen Gesetzes enteignet und umgesiedelt. Die Kamera zeigt eine Fläche, wo Eigenheime der Bürger abgerissen wurden, wo aber nichts gebaut wurde. Die im Film benannten Fehler und Mißstände kann man glauben oder nicht. Wie so oft wird der Erfolg den Machern recht geben, wenn alles glatt läuft. Einen bitteren Beigeschmack vermitteln aktuelle Nachrichten, wonach die Baubetriebe »ausländischen Arbeitern« aus den früheren Sowjetrepubliken Mittelasiens ihren Lohn ganz oder teilweise nicht gezahlt haben.
Das Problem der weiteren Nutzung der riesigen Sportanlagen bleibt offen. »Die Sporthallen werden verrotten«, meint der Schachweltmeister Garri Kasparow. »Die Anlagen in Krasnaja Poljana werden der teuerste Friedhof der Welt«, prophezeit Nemzow. »Besser, Putin hätte Schach gespielt.«
Die Plazierung des Films ausnahmsweise zur Hauptsendezeit lässt vermuten, dass nicht Rußlandfreundlichkeit die Zeiger gestellt hat. Bald wird man verfolgen können, wie die Spiele laufen.
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Putins Spiele, Dokumentarfilm von Alexander Genteljew, Deutschland 2013, ARTE/MDR, 89 Minuten, Sendung auf ARTE Dienstag, 28. Januar, 20.15 Uhr, auf MDR Sonntag, 2. Februar, 22.20 Uhr.