In der anschließenden Tischrede beim gemeinsamen Staatsessen wies Hu Jin Tao auf diese Situation hin und betonte, daß in China kaum Verständnis für die in Europa betriebene Vernachlässigung der sozialen Verantwortung für die einfache Bevölkerung – Arbeiter, Angestellte, Beamte, Rentner, Studierende und Auszubildende, Bürger mit Migrationsproblemen – vorhanden sei: Die Ausbildung müßte in Deutschland auf allen Ebenen stärker gefördert werden, Arbeitslose dürfte es im exportstarken Hitech-Deutschland in nennenswertem Umfang nicht geben – das sei Verschwendung von Volksvermögen; die Einkommen dürften nicht noch länger stagnieren – zwanzig Jahre ohne Gehaltserhöhung seien auch in Deutschland genug! -, sondern müßten den Kostenniveaus angepaßt werden, auch für die deutschen Rentner und Pensionäre; die in Deutschland lebenden ethnischen Minderheiten müßten stärker in ihren eigenständigen Lebensformen unterstützt werden.
In China sei das alles auf der Basis der Parteitagsbeschlüsse in mehreren Etappen der jeweiligen Fünf-Jahres-Pläne erreicht worden, als Zielvorstellung des Willens der chinesischen Bevölkerung, repräsentiert durch die Tagungen der chinesischen kommunistischen Partei als Volksvertreter bei den Parteitagen in der Halle des Volkes in Peking. Diese chinesische, andere Form der sozio-ökonomischen Gestaltung der Volkswirtschaft sei Basis des erfolgreichen chinesischen Weges seit Mao Tse Tung und Deng Tsiao Ping; diese Erfolge würden gleichzeitig durch das in der chinesischen Tradition begründete Streben nach Harmonie und nach Zusammenhalt gesellschaftlicher und familiärer Strukturen begleitet.
Viele Erfolge Chinas seien auch für die nunmehr in Probleme geratenen westlichen Volkswirtschaften als Anregung für künftige Lösungen nutzbar. Hu Jin Tao versicherte auf dieser Rede den Europäern, daß China bereit sei, sie auf diesem Wege kooperierend zu begleiten.
Bundeskanzlerin Merkel antwortete mit einem dankbaren Unterton und begrüßte die Möglichkeiten deutsch-chinesischer Kooperationen. Ein stärkeres Engagement im wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Bereich sei wünschenswert. Die Unterschiede in sozialen und wirtschaftlichen sowie politischen Strukturen sollten als Hindernis von Kooperationen erkannt und überwunden werden. Menschenwürde und Demokratie seien als europäisches Grundkonzept menschlichen Zusammenlebens in diese Kooperation mit einzubringen. Europa und speziell Deutschland sei auf einem guten Weg, die Mängel ungleicher Bildungschancen, prekärer Einkommensregelungen, drohender Altersarmut, Integration von Minderheiten, Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und sei offen zum Austausch mit China.
Präsident und Parteichef Hu Jin Tao brachte abschließend einen Toast auf die künftige europäisch-chinesische Zusammenarbeit aus, die er als Bestandteil einer gemeinsamen eurasischen Perspektive betrachte, die es zu pflegen und auszubauen gelte, als Pendant zur Entwicklung der Beziehungen zwischen den Staaten Nord- und Süd-Amerikas und zwischen den afrikanischen Staaten im Norden und im Süden sowie im Zentrum des Kontinents. Da die Wirtschaft eine Haupttriebkraft zum Ausbau derartigen Zusammenwachsens sei, sei es erforderlich, Kooperation einfordernde Projekte zu planen und zu realisieren, deren wirtschaftlicher Nutzen für die jeweils beteiligten Staaten und Völker und ihren Regionen und Unternehmen evident seien. Der Ausbau der internationalen Infrastrukturen könnte hierfür besonders geeignet sein; das betreffe sowohl die Schifffahrt mit ihren Möglichkeiten des Ausbaus der Wasserwege (Kanäle, Routenführung über die Eisregionen des Nordpols), die Luftfahrt mit zentralen Groß-Flughäfen (Urumqui) und neuartigen Fluggeräten (Cargo-Lifter), aber auch kombinierter Straßen- (für Kurzstrecken) und Schienenverkehr (für Langstrecken) mit neuer Trassenführung (z.B. 1000 km südlich der transsibirischen Eisenbahn) und neuer Eisenbahntechnik (Güter-Einschien-Magnet-Schwebe-Bahn). China stünde bereit für die gemeinsame Durchführung derartiger Projekte – schloß der chinesische Staatspräsident seinen Toast.
Hu Jin Tao, Präsident des größten Volkes der Erde, und Angela Merkel, von den Medien zur mächtigsten Frau der Welt gekürte deutsche Bundeskanzlerin, ließen nun ihre Gläser klingen.
Die Welt schaut gespannt und hoffend auf die aus diesem großartigen Staatsbesuchs-Miteinander resultierenden Folgen, sichtbar auch in der Realisierung der avisierten gemeinsamen Projekte.