Der erste Film des Abends dokumentiert einen Arzneimittelskandal in Frankreich um die tödliche Schlankmacherpille Mediator. Das Mittel aus der Produktion des Pharmaunternehmens Jacques Servier wurde 1967 eingeführt und sollte übergewichtigen Diabetikern helfen abzunehmen. Es stellte sich heraus, dass es gegen Diabetes wirkungslos ist, aber Herz und Lunge krank macht. Der Film berichtet von der Pneumologin Irene Frachon von der Universitätsklinik Brest, die nach jahrelangem Kampf das Verbot des Medikaments durchsetzte. Ihre Gegner waren nicht nur der Hersteller, sondern die französische Zulassungsbehörde für Medikamente, die zu hundert Prozent von der Pharmaindustrie finanziert wird, sowie die zuständigen Beamten sogar von Servier direkt. Und die Krankenkassen bezahlten die Pillen. Nach 30 Jahren wurde Mediator vom Markt genommen, nachdem bis zu 2 000 Menschen daran gestorben waren. In deutlicher Erinnerung ist der Conterganskandal in den Jahren 1961/62. 5 000 Kinder wurden geschädigt. Das hinderte andere Unternehmen nicht, so weiterzumachen.
Noch makabrer ist die Dokumentation »Krankheiten nach Maß« von Anne Georget und Mikkel Borch-Jacobson. Sie analysieren den Strategiewechsel der Pharmaindustrie. Bis in die siebziger Jahre entwickelte sie Medikamente, die Krankheiten heilen. Nach dem Auslaufen von Patenten ging sie dazu über, neue Anwendungsbereiche zu erfinden, die die Weiterverwendung vorhandener Medikamente unter neuem Namen und mit leicht veränderter Rezeptur, aber zum vierfachen Preis ermöglichten. Es mußte ein Problem erfunden werden, das zum Medikament passt. Die Patienten mussten »umgewandelt« werden. Ausschnitte aus dem amerikanischen und französischen Fernsehen führen vor, wie den Zuschauern neue Krankheiten eingeredet wurden, die dringende Behandlung erheischten: erhöhter Cholesterinspiegel, das »prämenstruelle dysphorische Syndrom«, oder die Kette von Syndromen: Angst – Depression – bipolare Störung. Millionen Patienten ließen sich behandeln. Wenn der Bedarf an Antidepressiva nachließ, wurde die bipolare Störung entdeckt – ein Auf und Ab von Stimmungen. Wer hat die nicht?
Riesenkampagnen wurden geführt. Wenn der amerikanische Präsidentschaftskandidat Bob Dole öffentlich sagte, er brauche ein Mittel gegen Erektionsstörungen, konnten sich Tausende mit ihm identifizieren. Welches Mittel das ist, war klar. Nach Meinung japanischer Psychologen gab es in Japan so gut wie keine Depressionen. Die US-Konzerne jedoch wirkten massiv auf die japanische Regierung und die Ärzteschaft ein. Die Kronprinzessin bekannte ihre Depressionen. Heute sind Depressionen in Japan Volkskrankheit. Millionen Normalverbraucher werden so manipuliert.
Bei seinen Recherchen fand Borch-Jacobsen heraus, dass es kaum noch Universitäten, Institute, Prüflabors, Kliniken und Behörden gibt, die nicht von der Pharmaindustrie finanziert werden. Das nennt sich heute »Forschungsmittel einwerben«, was zum Beispiel auch bei der Bundeswehr positiven Widerhall findet. Die bewusste Förderung von Krankheiten verwandelt die Medizin in ein Marketingunternehmen, so das Fazit. Die Konzerne Pfizer, Sanofi-Aventis, Eli Libby und andere verweigerten Stellungnahmen zu den Vorwürfen der Dokumentaristen. Bleibt die Frage: Wann werden diese Machenschaften als organisierte Kriminalität verfolgt?
In den Fängen der Pharmalobby, Tödliche Pillen – der Mediatorskandal, Dokumentation von Kader Bengriba und Bernard Nicolas, Dienstag, 20.15; Krankheiten nach Maß, Dokumentation von Anne Georget und Mikkel Borch-Jacobson, 21.20, ARTE