Unter seinem oder ihrem Niveau muss hier keine und keiner lachen, denn in das Stück eingebaut sind hochkarätige philosophische und soziologische Zitate von Autoren wie Robert Pfaller, Max Weber, Jacques Lacan oder Slavoj Zizek, und René Pollesch hat sich auch bei den Sketchen von Monty Python bedient. Anders als wissenschaftliche Arbeiten oder die Laudatio einer Jurorin dürfen künstlerische Werke auch dann als originäre Schöpfungen ausgewiesen werden, wenn sie vollgesogen sind mit fremden Texten ohne Quellenangaben. Die emsige Sammlerin Elfriede Jelinek hat niemals von ihrem Nobelpreis zurücktreten müssen.
Es geht, wie immer wieder gern bei René Pollesch, um die großen Fragen der Menschheit, um Beziehungen, die Sehnsucht nach Erlösung, um die Frage, wie sich die Rettung von zwei Delfinen mit Greenpeace auf die Psyche auswirkt , um „toxische Subjekte“, um die Möglichkeiten des Theaters, das Publikum von seinen Emotionen zu entlasten oder auch darum, Betrunkensein darzustellen.
Nina von Mechow hat die SchauspielerInnen mit eleganten Western-Kostümen ausgestattet, und Bühnenbildner Bernd Neumann hat die Spielfläche mit Vorhängen aus Glitzerstreifen umgeben und ein rohes Holzhaus mit Saloon-Tür kreiert, die Doppelhaushälfte, der eine Hälfte fehlt, die sich auch um die eigene Achse drehen lässt wie eine Gebetsmühle und dabei eigenständig das Stück weiter spielen soll, was jedoch, trotz schwindelerregenden Dreheinsatzes der AkteurInnen, nicht gelingt.
Die Dialoge, bei denen es zwar AnsprechpartnerInnen gibt, von denen jedoch keine Gegenreden, allenfalls schweigende Zustimmung oder betroffenes Schweigen, erwartet werden, karikieren die mit Zitaten geschmückten Redeergüsse, wie sie im realen Leben häufig dort zu vernehmen sind, wo mehr oder weniger gebildete Menschen auf einander treffen. In der Realität sind derart gespreizte Wortmeldungen komisch genug, auch wenn es dort äußerst unpassend wäre, darüber zu lachen und die dennoch Lachenden als unsensible Proleten diskreditiert würden. Daher ist es wohl befreiend, im Theater über das lachen zu dürfen, was im Leben ernst genommen werden muss.
Andererseits kann solch pseudointellektuelles Geschwafel, im Leben wie auch auf der Bühne, als einfach nur nervtötend wahrgenommen werden, aber das ist eine Frage des persönlichen Geschmacks, der im allgemeinen Gelächter an Bedeutung verliert.
Katja Bürkle, Sandra Hüller, Benny Claessens und Kristof Van Boven erweisen sich als grandiose SchnellsprechartistInnen, wobei es ihnen entgegengekommen sein dürfte, dass sie ihre Texte während der Proben selbst entwickelt haben. Das Team ist nicht nur für die brillante Reproduktion zuständig. Trotzdem haben alle Beteiligten dafür gesorgt, dass die Produktion wieder einmal wie ein echter Pollesch aussieht.
Kult ist selbstverständlich auch Christoph Marthaler, der mit seinem Stück „Das Weisse vom Ei (Une í®le flottante)“, einer Produktion des Theaters Basel, zu den Autorentheatertagen eingeladen war. Marthaler und sein Ensemble haben zwei Stücke des französischen Komödienautors Eugène Labiche schaumig geschlagen, Selbstverfasstes untergehoben, mit Zitaten von Lewis Carroll, Gert Jonke und Gustav Meyrink verfeinert und ein luftiges Gebilde angerichtet, das, wie die traditionelle Nachspeise Ile flottante, genüsslich konsumiert werden darf.
Anna Viebrock hat wieder einmal ein beeindruckendes Bühnenbild geschaffen, den überladenen Salon bei Madame und Monsieur Malingear, deren Tochter Emmeline sich in Frédéric Ratinois verliebt hat und von ihm wieder geliebt wird, weshalb er mit seinen Eltern bei den Malingears eingeladen ist. Die Verständigung ist schwierig, weil die Einen französisch und die Anderen deutsch sprechen, Madame Ratinois ist offenbar eine Frau aus dem Volk und trifft den vornehmen Ton nicht, und das seltsam gestörte Liebespaar scheint, trotz gegenseitigen Anschmachtens, doch nicht zu einander zu finden.
Graham F. Valentine trägt als Diener präparierte Tierköpfe über die Bühne und singt mit wunderschöner Stimme in feinstem Englisch fröhliche Lieder, während Catriona Guggenbühl als Alleinerbin Friedelind zu sinnlosem Herumstehen verurteilt ist, da Friedelind, wie anfangs verlautet, in einem Apart stecken geblieben ist.
Dem Lustspiel wird Rechnung getragen, wenn Marc Bodnar als Monsieur Malingear sich von seinen Blähungen befreit oder, nachdem er den in einem Stuhl hängen gebliebenen Frédéric befreit hat, selbst in diesem Stuhl feststeckt. Das geschieht allerdings nicht temporeich wie von Lustspielen gewohnt, sondern mit der Bedächtigkeit, von der Christoph Marthalers Inszenierungen geprägt sind, in denen auch immer sämtliche AkteurInnen die Kunst des langsamen Schauens beherrschen. Dadurch erscheinen sie wie geheimnisvolle Wesen aus der Welt des Absurden, bei denen es ein Rätsel bleibt, ob sie besonders weise oder vielleicht total verblödet sind.
In Begeisterung versetzen konnte mich diese Inszenierung letztlich doch nicht, was vielleicht daran liegt, dass die immer gleichen Manierismen in Christoph Marthalers Stücken sich auf die Dauer abnutzen.
Noch nicht Kult, aber vielleicht auf dem Weg dahin ist Thom Luz, der mit gleich zwei Stücken zu den Autorentheatertagen eingeladen war: der Geistergeschichte „When I die“ und dem Sprachmusik-Abend „Archiv des Unvollständigen“, bei dem Thom Luz Regie geführt und für den Laura de Weck den Text geschrieben hat.
Nachdem bisher bei den Autorentheatertagen in Berlin die Autorinnen immer zufriedenstellend vertreten waren, gab es in diesem Jahr nur ein einziges von einer Autorin verfasstes Stück unter den Gastspielen. Das DT hat dieses Defizit allerdings ausgeglichen, indem es dem Programm zwei Eigenproduktionen mit „Am Schwarzen See“ von Dea Loher und „Brandung“ von Maria Milisavlievic hinzufügte.
„Archiv des Unvollständigen“ ermöglicht den Blick in ein Studio, in dem mit den Grenzen der Sprache experimentiert wird. Liebeserklärungen werden hinterfragt, Beileidsbekundungen und Trostworte am Sterbebett wieder und wieder geprobt. In Extremsituationen verschlägt es Menschen die Sprache oder sie greifen auf abgenutzte, bedeutungslos gewordene Wendungen zurück. In solchen Fällen müssen andere Formen der Kommunikation gefunden werden, wobei die Musik sich als hilfreich erweist, die, von Bach bis Freddy Quinn, in dieser Inszenierung zu Gehör gebracht wird.
Eine Schauspielerin erzählt mehrfach Anfänge von Geschichten, die sie, mit bedeutungsvollem Blick, nach wenigen Sätzen abrupt beendet. Manche Geschichten werden jedoch zu Ende erzählt wie die von den amerikanischen Zwillingen Jane und Jennifer Gibbons, die mit ihrer Weigerung zu sprechen und ihrem Leben gegen den Strom, in den 1980er Jahren Furore machten. Oder die Geschichte des amerikanischen Komponisten Charles Ives, der eine Komposition erschaffen wollte, in der das ganze Universum und alles Geschehen von Anbeginn enthalten sein sollten.
Das fünfköpfige Ensemble vom Staatstheater Oldenburg lotet das Universum der Sprache aus, und es ist ein geistreiches, phantastisches Vergnügen, ihm dabei zuzuhören.