Berlin, Deutschland (Weltexpress). Ein Hauch Salzburger Flair wehte ins Deutsche Theater bei der Eröffnung der Autorentheatertage mit „jedermann (stirbt)“. Hofmannsthal light war zu erleben, ganz ohne Grusel und Pathos, aber doch eng angelehnt an das umstrittene und gefeierte Werk, das seit 1920, mit Ausnahme der Jahre, in denen Goebbels es verboten hatte, alljährlich die Mozart-Stadt in die Endstation des reichen Mannes verwandelt.
Im Auftrag des Burgtheaters hat Ferdinand Schmalz, dramatischer Shootingstar und Bachmann-Preisträger, eine neue Fassung der Moralität vorgelegt, die den alten Stoff aktualisieren sollte. Die Uraufführung in Wien war ein sensationeller Erfolg, und flugs kam der Vorschlag, den alten Hofmannsthal in Salzburg durch den jungen Schmalz zu ersetzen.
Auch in Berlin gab es tosenden Applaus nach dem Gastspiel des Burgtheaters und viele Bravo-Rufe, obwohl etliche Zuschauer*innen dann doch nicht so begeistert waren.
Zweifellos ist es nicht angenehm, im Theater, oder überhaupt irgendwo, mit spürbarer Todesangst und Horrorvisionen von qualvollem Sterben konfrontiert zu werden. Deshalb ist es erfreulich, dass das Publikum davon verschont blieb. Bei Schmalz, und auch in der Inszenierung von Stefan Bachmann, ist Jedermanns Sterben kaum beunruhigend. Vielleicht stirbt er gar nicht, oder vielleicht hat er gar nicht gelebt.
Dass dieses Sein und Nichtsein so ungerührt betrachtet werden kann, liegt vor allem an der Sprache. Sie ist erkennbar von Hofmannsthals „Jedermann“ beeinflusst, aber nicht so grob geschnitzt und nicht gereimt. Dennoch ist das in Wortwahl und Rhythmik eine Kunstsprache, die aus den Menschen, die sie sprechen, Kunstfiguren werden lässt, noch dazu Gebilde aus einer früheren Zeit, denn das Gesagte hört sich deutlich altbacken an.
Manche Worte hat Schmalz um und um gedreht à la Jelinek, und wenn das Ensemble Textpassagen singt, dann klingt das mit der Live Musik von Sven Kaiser und Béla Fischer jr. nach Brecht und Weill.
Wohl der Aktualisierung geschuldet sind eingestreute Begriffe wie Analysten, Kleinanleger, Sicherheitsleck, Pharmariesen oder Marketingstrategen.
Anders als Hofmannsthal lässt Schmalz, wie in der Bibel im Buch Hiob, Gott mit dem Teufel um eine Seele wetten. Der Teufel ist hier „die (teuflisch) gute gesellschaft“. Ob „armer nachbar gott“ (Oliver Stokowski) vielleicht nur ein armer Irrer ist, der sich für den Allmächtigen hält, wird nicht klar, ebenso wenig wie der Ausgang der Wette.
„Hat auf dem letzten Weg, hat er doch noch zu Gott gefunden“, sagt Jedermanns Mutter, während die teuflisch gute Gesellschaft feststellt: „erlöst oder nicht, ist wirklich unerheblich“.
Schmalz hat festgelegt, dass sein Stück „in keinem garten“ spielen soll. Olaf Altmann hat daher, ganz ohne Garten und Blumen, ein beeindruckendes Bühnenbild kreiert: Eine goldene Wand mit einem Loch, hinter dem sich ein Tunnel öffnet. Vielleicht ist das der Weg ins Leben und in den Tod. Vielleicht ist es aber auch der Eingang in Jedermanns Villa.
Zu Beginn purzelt dort das Ensemble heraus, in fleischfarbenen Ganzkörperanzügen. Aber das sind keine unschuldigen Neugeborenen, sondern das ist, Fratzen schneidend und mit den Fingern Hörner andeutend, die teuflische Gesellschaft.
Auch die Kostüme von Esther Geremus sind sehenswert. Auf die Bodysuits folgen goldene Gewänder, auch einige Lederhosen und Dirndl in Gold, und am Schluss präsentieren sich alle in schwarzer Trauerkleidung. Der Tod zeigt sich einmal mittelalterlich gewandet mit der Sense in der Hand.
Bei Schmalz ist der Tod eine Frau, die „buhlschaft tod“. Jedermann ist verheiratet. Zu Beginn macht er seiner Frau (Katharina Lorenz) eine Liebeserklärung. Die Frau ist seiner jedoch offenbar überdrüssig und hat, wie sie zugibt, die Buhlschaft Tod zum Fest eingeladen. Sie verfolgt auch interessiert die Annäherung des Todes an ihren Mann und scheint zufrieden, dass sie den Mann, der nicht mehr so ist wie früher, nun los wird.
Die Verbindung von Sex und Tod war und ist ja ein beliebtes Thema in der Literatur. Aber obwohl Jedermann äußert, wie sehr er den Kuss der Frau Tod und den Tanz mit ihr genießt, ist in dieser Szene keinerlei Erotik spürbar.
Barbara Petritsch buhlt nicht. Sie ist bodenständig, nicht sehr Furcht erregend, aber energisch und majestätisch.
Gefühle lässt Stefan Bachmann in seiner Inszenierung ohnehin nicht aufkommen., und das Publikum wird niemals angesprochen. Zu erleben sind Menschen ohne Tiefe, die weder genießen noch leiden können. Sie sind nicht einmal richtig böse, plaudern nur so vor sich hin, und sind immer um einen intellektuellen Anstrich bemüht. Das könnte Gesellschaftskritik sein, wenn es pointierter wäre.
Dass die knapp zwei Stunden nicht langweilig werden, liegt an den hervorragenden Schauspieler*innen. Szenisch ist Bachmann wenig eingefallen. Nur der dicke und der dünne Vetter (Markus Meyer und Sebastian Wendelin) haben erfreulich komische Einlagen. Ansonsten wird viel gesprochen und wenig agiert.
Die Buhlschaft Tod steht am Eingang der Röhre und hält eine lange Predigt, in der sie etliche Todesarten aufzählt und zum Glauben an den Tod aufruft. Bemerkenswertes enthält diese Rede nicht, aber Barbara Petritsch trägt sie bedeutungsvoll vor. Ganz sicher könnte sie auch das Telefonbuch spannend erzählen.
Den Eingang der Röhre nutzt auch Mavie Hörbiger als Rednertribüne. Als Mammon berichtet sie über die ständige Vermehrung des Geldes. „dein geld, das fickt da in den taschen von den andren drin, um die kinder, diese zinseszinsen bei dir abzuliefern.“ Obwohl auch dieser Text wenig aussagekräftig ist, versteht Mavie Hörbiger es, ihn bezaubernd und komisch vorzutragen, während sie Geldscheine ins Publikum wirft.
In einer Doppelrolle verkörpert Hörbiger ebenfalls die guten Werke, die hier Charity heißen und informiert unterhaltsam über die gesellschaftlichen Verpflichtungen, die das Leben einer Charity Lady ausmachen.
Herr der Szene ist Markus Hering als Jedermann. Ein smarter Geschäftsmann, der das Geld anbetet und es sich skrupellos zu verschaffen weiß, dabei auch illegale Winkelzüge nicht scheut. Obwohl er mit seinem Reichtum protzt, hat er Stil und Charme. Er hält sich für unbesiegbar, aber nun, ganz unerwartet, stößt der Tod ihn vom Thron und macht aus dem Jedermann einen Niemand.
Jedermanns physischen Zusammenbruch muss Markus Hering artistisch gestalten. Er wird in der sich drehenden Röhre, wie in einer Waschmaschine, herumgeschleudert und versucht vergeblich, das Gleichgewicht zu halten.
Irgendwann ist Jedermann tot ohne vorher Beistand erhalten zu haben. Der Glaube ist bei Schmalz gestrichen, und die Mutter (Elisabeth Augustin) hat kaum etwas zu sagen. Der Sarg, den Schmalz vorgesehen hat, kommt bei Stefan Bachmann nicht auf die Bühne. Der Regisseur hat tatsächlich alles vermieden, was optisch auf die Realität des Todes hinweisen könnte.
Als Leiche steht Jedermann eine ganze Weile völlig nackt da, wie am Pranger. Ein Erlöser ist er nicht, aber ein Opferlamm, denn da er sich nicht mehr wehren kann, wird ihm die Schuld für die kriminellen Machenschaften anderer zugeschoben. Nach allem, was er selbst, von der irdischen Gerechtigkeit ungestraft, verbrochen hat, käme es darauf nicht an, aber Jedermann setzt sich zur Wehr. Er wird wieder lebendig, bedeckt seine Blöße mit einem Nadelstreifenanzug und gesellt sich zum Ensemble in der Röhre. Dort wird über Theater geplaudert und angekündigt, dass Jedermanns Tod auch am folgenden Abend zu erwarten sei.
Das letzte Wort hat der Tod. Bedeutungsvoll verkündet Barbara Petritsch: „Wir sterben ewig, leben nicht.“