Filme stehen für sich alleine beim Anschauen und dennoch unterliegen Literaturverfilmungen besonderen Gesetzen, haben sich doch bei denen, die die Bücher lasen, die handelnden Personen längst selbständig gemacht und eine eigene Identität gewonnen, die nicht unbedingt dem Filmgesicht ähnelt. Für die ausgesprochen politischen und die rechtsgestrickten Machenschaften verbunden mit Kapital und staatlicher Macht, gegen die alle drei Romane angehen, die Schuldigen benennen und ihre Bestrafung fordern und wo das nicht geschieht, selbst herbeiführen, ist es wichtig zu wissen, daß Stieg Larsson durchaus aus biographischen Gründen persönlich gegen Mißstände der Gesellschaft vorging. Sein Kampf gegen Rechtsradikale, in Schweden und darüber hinaus, hat ihm nicht nur Renommee eingebracht, sondern auch die Grundlagen für seine Romane gelegt, die vordergründig Thriller, aber im Hintergrund moralische Spiegel der schwedischen Gesellschaft sind. Nicht nur, was die Politik angeht, sondern auch so etwas angeblich Privates, wie das Verhältnis von Männern und Frauen.
Für Stieg Larssons Gesellschaftsverständnis ist wichtig zu wissen, daß seine Romane im schwedischen Original andere Titel haben als im Deutschen, die gar zu offensichtlich an die aus einem Wort bestehenden Dan Brown Titel erinnern. So hieß sein erster Roman „Männer, die Frauen hassen“, der jetzige „Das Mädchen, das mit dem Feuer spielte“ und der letzte „Das Luftschloß, das gesprengt wurde“. Die erste, sehr erfolgreiche Verfilmung hatte Nils Arden Oplev vorgenommen, für die Teile zwei und drei ist nun Daniel Alfredson der Regisseur. Schon im ersten Teil war der investigative Journalist Mikael Blomkvist zwar die Hauptperson, aber das Lese- und Zuschauerinteresse konzentrierte sich auf die undurchschaubare und mit Zauberkräften ausgestattete Lisbeth Salander, ein noch nie da gewesener Frauentyp in Literatur und Film, der geradewegs den sexuellen Mißbrauchsfällen und Eßstörungen junger magersüchtiger Mädchen wie ein Phönix aus der Asche entsteigt und zum Racheengel wird.
Waren im ersten Film beide zum Paar geworden, so wußte man schon um das Ende der Liebesbeziehung, die der libertinöse Blomkvist – typisch Mann – erleidet, weil Lisbeth es ernst meinte und lieber gar nichts möchte, als eine Libertinage – und also viel mehr leidet als er – also typisch Frau-, gerade weil sie es ist, die den Kontakt abbricht. Hinzu kommt, daß er aus dem gemeinsamen Erfolg beruflichen Profit schlägt, als dezidierter und öffentlich gelobter Chefaufklärer des Journalismus, und sie als begabte und von den Computergeheimwissenschaftlern in Rollkragen und Hartz IV instruierte Computerhackerin dem gerade entlarvten Multimilliadär genau diese Milliarden abknöpft. Der neue Kontakt zwischen beiden wird nun unweigerlich, weil Salander (Noomi Rapace) und Blomkvist (Michael Nyqvist) demselben Fall auf der Spur sind, wenngleich von anderen Seiten und aus anderen Motiven.
Ein junger Journalist hatte der Zeitschrift Millennium eine aufwendig recherchierte Geschichte angeboten, in der es um Amts- und Würdenträger der angeblich feinen Gesellschaft geht, die seit Jahren von gewaltsam ins Land gebrachten schönen und Jungen Russinnen sexuell bedient werden müssen, also zur Prostitution gezwungen werden. Des Journalisten Freundin hat in anderem Zusammenhang eine wissenschaftliche Untersuchung unter Prostituierten erhoben. Das die Täter Gefährdende steckt nun genau in dieser Kombination beider Untersuchungen. Mithin: der junge Journalist und seine Freundin werden umgebracht.
Es kommt noch schlimmer. Die Tatwaffe trägt die Fingerabdrücke der Lisbeth Salander, die nun als die rätselhafte Außenseiterin von der Polizei mit Hilfe der Medien gejagt wird. Das alles kann der Film rasant entwickeln. Selten konnte man die miese Funktion von Presse und fernsehen so nachvollziehen wie hier, wo nichts aufgesetzt erscheint, sondern genau so, wie wir das immer schon vermutet haben. Das Zusammentreffen von Salander und Blomkvist ist kein deus ex machina, sondern sinnvoll aus der Handlung erklärt, denn er ist der einzige, der von ihrer Unschuld überzeugt, den Kampf gegen die Hydra der öffentlichen Meinung und der eigentlichen Drahtzieher, nämlich der Mörder aufnimmt.
Längst hat Lisbeth Salander nun die Hauptrolle übernommen. Ihr Kampf ist einer gegen ihre eigene Vergangenheit als entmündigtes und vergewaltigtes Mädchen und wäre sie im Film nicht schon übermächtig in asiatischen Kampfsportarten und schlauem Antizipieren, man würde ihr als Zuschauer noch viel mehr Kräfte anwünschen. In dieser Person, die gebrochen und nie aufgebend, das Zentrum des Films ausmacht, auch eine Liebesszene mit einer Frau aufs Parkett legen darf und unsere Sympathie ständig einfordert, obwohl sie kratzbürstig und arrogant auftritt, besteht dennoch der Doppelcharakter des Films, der eigentlich ein Märchen ist. Denn er bedient unser aller Bedürfnis nach Gerechtigkeit, danach, daß das Gute siegt und die Bösen bestraft werden. Wenn man das als Vereinfachung dem Film und eigentlich ja den Romanen vorwirft, ist da schon etwas Wahres daran. Aber woran wäre man, wenn nicht einmal auf Papier und auf Leinwand das möglich scheint, was im Leben so selten zu erreichen ist.
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Titel: Verdammnis
Land/ Jahr: Schweden 2009
Genre: Thriller
Kinostart: 28. Februar 2010
Regie: Daniel Alfredson
Drehbuch: Jonas Freykberg
Darsteller: Noomi Rapace, Michael Nyqvist, Annika Hallin, Peter Andersson, Paolo Roberto, Yasmine Garbi
Laufzeit: 127 Minuten
FSK: Ab 16
Verleih: NFP Filmdistribution
Internet: www.verdammnis-derfilm.de
Die drei Romane Verblendung, Verdammnis und Vergebung sind als festgebundene und Taschenbücher erschienen im Heyne Verlag.