Im sechzehnten Jahrhundert war in der klerikal und säkular etablierten, über „Himmel und Erde“ bestimmenden römisch-katholischen Kirche Europas die Hybris bzgl. der angemaßten Zuständigkeiten unerträglich angewachsen; die damit verbundene, immer weiter um sich greifende Korruption, der in ganz Europa stattfindende dreißigjährige Krieg, die Verarmung der Massen und schließlich die ebenso schrecklich wie der Krieg wirkende, lang andauernde Pest-Epidemie drangsalierten die Menschen in nie gekanntem Ausmaß. – Der Glaube an die Gottgegebenheit der allgemeinen und individuellen Schicksalssituation nährte sich in der an Aberglauben reichen Zeit auch durch das Nichtverstehen der lateinischen Bibeltexte, die nur von „Auserwählten“ übersetzt werden konnten. Die Übersetzung der Bibeltexte durch Luther war wesentlicher Beitrag zur geistigen Expropriation der Kirche und zum Aufbau der kritischen Vernunft der vorher „unwissenden“ Gläubigen.
Heute sind es die ebenfalls nur „im Untergrund“ vorhandenen Verständnisse und Wissensumfänge über Mittel und Hebel zur Teilnahme an der aktuellen, materiell orientierten und von automatisierten Finanztransaktionen bestimmten, buchstäblich im Millisekundentakt „global tickenden“ Welt, die Unsicherheit und Ohnmacht bei der Überzahl der Nichtwisser auslösen, zu der heute auch Personen des demokratischen Vertrauens gehören, die eigentlich als politische Führungsfiguren in Exekutive und Legislative die Regeln bestimmen sollten.
Der Wandel in der von der modernen Industrie geprägten Gesellschaft hat sich langsam, aber statistisch und real nachvollziehbar in den letzten drei Generationen vollzogen, in denen soziale Umstürze und technische Entwicklungen in nie dagewesenem Umfang stattfanden: feudale Strukturen in Europa wichen demokratischen oder pseudodemokratischen Strukturen, die technischen Möglichkeiten zur Produktionsautomatisierung wuchsen durch die Erfindungen der Dampfmaschine, des Verbrennungs- und des Elektromotors phänomenal, die Kommunikation durch Telefon und Computertechnik wurde grenzen- und pausenlos möglich. Einher entwickelte sich die weltbestimmende Macht der Dollarleitwährung, die erst seit wenigen Jahren vom Euro Konkurrenz bekommen hat. Im Zentrum der Auswirkungen des Wandels stehen die Veränderungen der Bedarfe in Industrie und Gesellschaft. Zwar werden unverändert Waren für alle Bereiche der Gesellschaft, z.T. in immer größerem Maße, benötigt, aber die technischen Möglichkeiten reduzieren den erforderlichen Manpower-Aufwand zur Erzeugung der Güter erheblich, so daß in der vormaligen sogenannten Industriegesellschaft heute nur noch zehn bis zwanzig Prozent aller Beschäftigten in der Produktion tätig sind; der Hauptanteil des Bruttosozialproduktes aber in den Bereichen der Dienstleistung erbracht wird. In der Automotive-Branche werden z.B. heute zwar mehr Pkw denn je produziert, aber die Umsätze im automotiven Servicebereich übersteigen die des Neuwagengeschäftes wesentlich.
Bildung und Ausbildung sollten diesem Wandel Rechnung tragen, in Schule und Hochschule. Da die Strukturen der Gesellschaft schneller als je erlebt einem Wandel unterliegen, ist dieser Wandel permanent in die Bereiche von Bildung und Ausbildung zu tragen und obligatorisch auch durch lebenslanges Lernen im Beruf – und später – zu ermöglichen. Partnerschaften zwischen Forschung, Wirtschaft, Hochschule und Schule sollten zur Regel werden. An welchen Schulen gibt es Kooperationsbeiräte, an denen sich neben den „eigenen“ Lehrern auch Wissenschaftler, Wirtschaftsvertreter und sogar Vertreter der Gewerkschaft beteiligen; an Hochschulen sind Kooperationsbeiräte mit der Wirtschaft z.T. bereits eingeführt, hier sollten Schulen und z.B. Gewerkschaften, aber auch Vertreter anderer als der eigenen wissenschaftlichen Disziplinen hinzukommen.
Das Gesicht einer Hochschule ist wesentlich durch ihre Schwerpunkte in Forschung und Ausbildung geprägt. Angeregt durch den Wettbewerb zwischen den Fakultäten und den Empfehlungen von Gremien, inklusive Kooperationsbeiräten, sind in definiertem Wechsel Hauptschwerpunkte für die Hochschule zu setzen, die auch durch Mittelzuweisungen herausgehoben werden. Hierdurch wird nicht ein bestimmter Exzellenzbereich etabliert, sondern durch den Wechsel ein permanenter Innovationsschub zur Exzellenz im gesamten Hochschulbereich provoziert. Hier sollte sich der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft erkennbar niederschlagen. Nur so kann erreicht werden, daß auch z.B. im Maschinenbau der industrielle Service in den Vordergrund rückt: hier wird künftig der größere Umsatz erzielt, durch Planung, Logistik, Instandhaltung, Ver- und Entsorgung. Auch die Finanzwirtschaft spielt hierbei eine bedeutende Rolle, schließlich ist die Realisierung eines Geschäftes von Finanztransaktionen abhängig. Ein Flughafen kann heute vom Hersteller/Erbauer in der Anfangsphase selbst betrieben werden, um das „Einspielen“ der verbrauchten Mittel sicherzustellen; erst nach Ablauf dieser Refinanzierungszeit wird der Flughafen an den Auftraggeber übergeben. Ein Kraftwerk wird inkl. Planungsphase schlüsselfertig in bis zu zehn Jahren erbaut; der Hersteller schließt zur Durchführung der erforderlichen Serviceleistungen mit dem Betreiber u.U. einen Vertrag mit einer Laufzeit von über zwanzig Jahren ab. Über diese Art von Leistungen und die damit verbundenen Finanztransaktionen sollte der künftige Hochschulabgänger genügend wissen und sich durch Weiterbildungsangebote lebenslang auf dem laufenden halten können und müssen.
An der Hochschule ist diese permanente, imagefördernde Exzellenz-Innovation zusätzlich durch die Einrichtung sogenannter An-Institute zu unterstützen, in denen Hochschullehrer in Kooperation mit anderen Hochschulen und im Auftrag der Industrie oder spezieller Forschungsbereiche das Wissen einbringen und entwickeln, das auch im Rahmen der Ausbildung Früchte trägt. Je mehr BMBF-Mittel hierbei eingesetzt werden, desto erfolgreicher ist offensichtlich ein derartiges An-Institut.
Die globalen Wirtschaftsbeziehungen sind auch in die Hochschule hineinzutragen, durch Kooperationen mit Hochschulen und Unternehmen anderer Länder, mit denen ein möglichst reger, ggf. projektbezogener Austausch von Wissen und Personen erfolgen sollte. Technologietransfer im internationalen Maßstab kann sogar in Ausgründungen bei Existenzgründungen von Hochschulabgängern münden und hierdurch dauerhafte internationale Wirtschaftsbeziehungen begründen.
Jede Hochschule hat den häufig brachliegenden Bereich der Alumni-„Bewirtschaftung“, der nicht nur aus finanziellen Gründen interessant ist, sondern zur Förderung des Rufs der Hochschule beitragen kann. Schließlich sind die Ehemaligen grundsätzlich stolz auf ihre Alma Mater, die den Grundstein zu ihrem späteren gesellschaftlich-beruflichen Erfolg mit gelegt hat. Dieser häufig lukrativen Alumni-„Pflege“ dienen auch Einrichtungen zur Steigerung des Corporate-Identity-Gefühls wie hochschuleigene Sport-Teams, Semesterveranstaltungen wie Abschlusstreffen mit Hi-Lights wie einer Big-Band, einer Ausstellung usw., alles Events, die auch dem Zusammenhalt und dem Image der Hochschule selbst dienen. Diesem Wir-Gefühl dienen auch Einrichtungen wie eine hochschuleigene Einkaufs-Mall mit Lebensmittelgeschäft, Drogerie, Friseur, Arzt, Computer-Shop, Restaurant (wer will schon gerne in einer Massen-Mensa sitzen, wenn es auch gemütlichere, kleinere und individuellere Essmöglichkeiten gibt?). – Der Bereich der Weiterbildung ist interessant für alle Ehemaligen und sonstigen Wissensdurstigen, vor allem aber auch für die Vermeidung oder Beseitigung von Wissenslücken im Berufsleben. Diese Weiterbildung sollte nicht verdeckt laufen, sondern offiziell im Programm der Hochschule als deren offizielle, selbstverständliche Aufgabe dargestellt werden: jede Hochschule benötigt ein Institut bzw. eine Fakultät für Weiterbildung, wo die hierzu gehörigen Initiativen und Angebote der einzelnen Fakultäten kompetent gebündelt werden. Wie ist es möglich, dass in Nürnberg zeitweise bis zu 60.000 arbeitslose Ingenieure registriert sind, die doch dank ihrer Vorbildung das Zeug zur technischen Weiterbildung mitbringen wie kaum eine andere in der Weiterbildung befindliche Klientel? Hier ist die Hochschule aufgefordert, breit gefächerte Angebote zur Weiterbildung zu liefern: Deutschland hat mehr als vierzig Millionen Berufstätige, die fast alle Weiterbildung brauchen; und das in immer größerem Umfang. Die Hochschule als Dienstleister ist mehr denn je auch auf diesem Sektor gefordert, der vor allem in Deutschland viel zu wenig entwickelt ist.