Feuriger Wink von geisterhaften Händen

die stühle sind mit staub bedeckt und zeigen
wie nah sie dem zerbrechen sind im golde
der sonnenflecken die durch blind zersprungne scheiben
hereingefallen sind im roten abendneigen”¦

Ulrich Wüst hält seit mehr als 30 Jahren fest, was ihm begegnet, Räume, Architektur, Landschaft und ab und an der Mensch. Im Herbst vergangenen Jahres war Ulrich Wüst in der hervorragend kuratierten Ausstellung „übergangsgesellschaft – Porträts und Szenen 1980 bis 1990“ in der Berliner Akademie der Künste vertreten, mit Porträt-Fotografien. Das vorliegende Jahrebuch mag auf den ersten Blick der Hand und dem Herzen eines anderen Künstlers entsprungen sein, nahezu menschenfrei entblättern sich hier Traumbilder, Landschaften einer melancholischen Seele. Nur beiläufig erscheint der Mensch als Spiegelung in einer Scheibe, als Schemen gegen den Horizont, als Überblendung. Und doch entspringt bei Ulrich Wüst die Variation dem reichen gleichen Blick, ist menschgeschöpft. Zentral in diesen Jahrebildern formt sich die Überschneidung des vom Menschen Geschaffenen mit der Natur, hier fließt der Regen über Stein und Scheibe, wabert Nebel durch den Zaun. Und wie Wolfgang Hilbig in oben zitiertem Gedicht formt Ulrich Wüst das Vergehen, lässt es gerinnen im Bild. Wie nah sie am Zerbrechen sind – das gilt für staubbedeckte Stühle Hilbigs wie für die fragilen Treppen, rostigen Masten und den bröckelnden Stein Wüsts. Gemeinsam ist ihnen die zeitlose Betrachtung des wiederkehrenden Wandels, geprägt durch Menschenhand.

Wohltuend in diesem Fotoband ist die Gestaltung, vom sandgrauen Einband bis zu den textfreien Bildseiten, deren Verortung und Entstehungsjahr erst im Anhang ersichtlich wird. Keine Farben dröhnen, im Übergang Weiß zu Schwarz liegt Tiefe, schwebt Poesie. Gleise, Pflastersteine, Pfade, Schilder und Stangen säumen Baum und Strauch. Berg und Weite. Das Meer. Belanglos scheint das Wissen um Regime und Zeit, eine Straße in der autoarmen DDR verbrüdert sich bei Ulrich Wüst dem Bergpfad im Tirol. Diese Male bleiben und wir verweilen, Dank an euch, die Dichter und ihre Bilderfänger!

”¦es ist als ob ich wiederkommen sollte
und etwas auch als wollt es mich vertreiben
es ist als ob noch keine zeit vergangen wäre

säumnis-

als zögerte noch immer in den wänden

weil ich nicht wegbleib und nicht wiederkehre

ein feuriger wink von geisterhaften händen.*

* zit. aus Wolfgang Hilbig, „fragwürdige rückkehr“ Werke/Gedichte, S. Fischer 2008

* * *

Ulrich Wüst, Jahrebuch, Leonhardi-Museum Dresden, 95 Seiten, Verlag für moderne Kunst, Nürnberg 2009, 25 €

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