Im Jahre 2007 öffnete Beeskow das Fenster nach Westen: In Westberlin war durch die Soziale Künstlerförderung 1950 bis 2003 eben falls eine große Sammlung von Auftragswerken entstanden. Denn für die Westberliner Künstler war gezielt ein Programm der Arbeitsbeschaffung und der Förderung etabliert worden. Der Senat zahlte Honorare, und die Künstler überliessen ihm ihre Auftragswerke. Gemeinsamkeiten in den Fördermechanismen und in den Erwerbsbiografien boten den Stoff für eine gemeinsame Ausstellung des Kunstarchivs Beeskow und der Artothek der Sozialen Künstlerförderung – nicht ohne eine tiefere Absicht. 2004 hatte nämlich der Senat die Streichung der Mittel für die Soziale Künstlerförderung beschlossen. Rund 15 000 Kunstwerke im öffentlichen Besitz brauchen ein neues, endgültiges Domizil. Die Vereinigung der Bestände lag nahe. Pläne zum Ausbau des Kunstarchivs Beeskow und für einen Erweiterungsbau im Ostflügel der Burg, der nur Ruine ist, sind bereits weit gediehen.
Im Juni 2007 beschloss die Stadtverordnetenversammlung von Beeskow einen Neubau in der Burg, im Dezember 2009 startete die Ausschreibung für die Planung. Inzwischen sind 12 Planungsbüros ausgewählt, aus denen ein Preisgericht am 21. Juni die Sieger ermitteln wird. Energisch angeschoben hat die Auschreibung noch der »alte« Bürgermeister Fritz Taschenberger, der im März in den Ruhestand getreten ist. Der »Neue«, Frank Steffen, gewählt für 8 Jahre, identifiziert sich vollinhaltlich mit dem Neubau. Er hat ihn zur Chefsache gemacht und ist optimistisch, den Bau bis 2013 zu erstellen.
Um moderne technische Standards zu gewährleisten, werden geschätzte Kosten von 7 bis 9 Millionen Euro zu bewältigen sein. Ein Brocken für eine Stadt mit 8 000 Einwohnern. Die Beeskower Stadtväter wollen Fördermittel der Europäischen Union aus dem Programm Interreg IV beantragen. Bedingung ist die Zusammenarbeit von mindestens 2 EU-Ländern. Die Leiterin des Kunstarchivs, Ilona Weser, suchte und fand einen Partner im benachbarten Polen – das Muzeum Lubuskie in Gorzow an der Warthe. Steffen ist überzeugt, dass dies in der Grenzregion ein bedeutsames Projekt ist. Er spürt »im politischen Raum« breite Unterstützung, insbesondere für die Zusammenarbeit mit Polen.
Das Fenster nach Osten ist aufgestoßen – mit einem in vielerlei Hinsicht aufsehenerregenden Effekt. Im April eröffneten das Gorzower Museum und das Kunstarchiv die gemeinsame Ausstellung »Junge Kunst in Polen 1949–1959 – Porträts aus der Sammlung des Künstlerkreises Arsenal 1955«. »Ein klares Signal, dass wir keine Zusammenarbeit nur auf dem Papier wollen«, meint Steffen.
Die Museen bereichern so die Ausstellung »Helden auf Zeit«, in der seit dem vergangenen Oktober in Beeskow Porträts aus der DDR gezeigt werden. Die Konzepte der Museen und die Entstehung ihrer Sammlungen können kaum unterschiedlicher sein.
Die DDR-Werke entsprangen der permanenten Kulturförderung der DDR, determiniert von der staatlichen Kulturpolitik. Und die war – vereinfacht gesagt – orientiert auf den sozialistischen Realismus.
Die Werke des Kreises Arsenal in Gorzow entstanden unter völlig anderen Prämissen, eigentlich als Frucht einer kurzen Kampagne. 1955 wurden die polnischen Künstler aufgerufen, anläßlich der Weltjugendfestspielen für eine Ausstellung im Warschauer Arsenal Arbeiten einzureichen. Diese Möglichkeit nutzten die Künstler, um unkonventionelle Werke mit ihrer eigenen Handschrift zu plazieren (daher der Name Arsenalu 1955). Das war, wie der polnische Kurator Jacek Antoni Zielinski bei der Eröffnung sagte, das Ende des »Sozialrealismus« in der polnischen Kunst. In der DDR, wo die Bilder des Künstlerkreise Arsenalu in der Ausstellung »Junge Generation« 1957 gezeigt wurden, wirkte das provozierend. Herbert Sandberg, seinerzeit Chefredakteur der Zeitschrift »Bildende Kunst«, nahm es als Signal: »Die junge Generation will wieder künstlerisch ehrlich werden, nicht mehr sagen, als im Augenblick in ihr ist, das aber mit echten Mitteln der Kunst« – Anlass für Sandberg, sich offen für moderne Strömungen in der Kunst einzusetzen.
Nach der Warschauer Ausstellung hatte sich Zielinski aufgemacht, die Bilder von den Künstlern wieder zusammenzutragen und in einem Speicher in Gorzow, dem Arsenal, zu deponieren – eine Geschichte für sich. Gorzow bewahrt die Werke und stellt sie aus – begehrte Leihgaben auch für viele Galerien. Von zweihundert Gemälden wählten Zielinski und die deutsche Kuratorin Simone Tippach-Schneider 20 aus, die für die Strömungen von Arsenalu beispielhaft sind. Nach Tippach-Schneiders Auffassung hat Beeskow nun mit der Tradition gebrochen, vor allem Werke des eigenen Depots zu zeigen. Fakt ist: Beeskow zeigt sich offen für Kunst aus West und Ost. Dem Kunstarchiv wächst – verdient – eine integrative Funktion zu. Wenn der Neubau Wirklichkeit geworden sein wird, wird er auch den 15 000 Kunstwerken der Artothek der Sozialen Künstlerförderung eine endgültige Heimat bieten. Die Kooperation mit Gorzow sieht Tippach-Schneider als Impuls für ein deutsch-polnisches Gemeinschaftsprojekt zum Studium der Sozialgeschichte des modernen Künstlers in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In gemeinsamer Forschung soll untersucht werden, welchen Einfluß die Künstlerförderung, die jeweilige Ankaufs- und Auftragspolitik und der europäische Kunstmarkt auf die künstlerischen Ausdrucksformen hatten. Interessant sei, die Dialektik von gemeinsamem Schicksal und von verschiedener historischer und kultureller Mentalität zu durchdenken, sowohl die unterschiedliche politische und kulturelle Geschichte beider Staaten – Polens und der DDR – als auch die weitgehend deckungsgleiche politische, ökonomische und ideologische Struktur von 1945 bis 1989.
Tippach-Schneider findet es beschämend, dass es in der Bundesrepublik in den letzten 20 Jahren eine Vielzahl von Ausstellungen gegeben hat, aber die polnische Kunst fast völlig ignoriert worden ist. »Für viele Künstler und Kunstinteressierte aus der DDR war Polen eine Art Guckloch nach dem Westen. Die Mauer ist weg, wir brauchen keine Gucklöcher mehr. Der Blick ist frei – aber wer schaut jetzt noch in welche Richtung? Wie können wir es erreichen, dass in Deutschland nicht nur die Vergangenheit im Verhältnis zu Polen ein großes Thema ist, sondern auch das aktuelle polnische Kulturleben und die gesellschaftliche Entwicklung?«
Die praktische Seite: die Ausstellung »Helden auf Zeit« wird wandern, im Herbst nach Sondershausen, im Frühjahr 2011 in das Abgeordnetenhaus von Berlin. Wie bei der Ausstellung »LebensMittel Kunst« wird Präsident Walter Momper sein Haus öffnen für hochinteressante Werke. Ob auch die Porträts aus Polen mit den Beeskower Bildnissen wandern werden, ist noch offen. Der Direktor des Muzeum Lubuskie, Wojciech Popek, wäre für eine Einladung empfänglich. Für Wolfgang Brauer, kulturpolitischer Sprecher der Regierungspartei DIE LINKE, ein interessanter Gedanke. Das unterläge aber der Hoheit Walter Mompers. Eine spannende Frage.
»Helden auf Zeit. Porträts aus dem Kunstarchiv Beeskow« bis 20. Juni, und »Junge Kunst in Polen 1949 – 1959«, bis 4. Juli, Burg Beeskow, Dienstag bis Sonntag 9 bis 19 Uhr. www.burg-beeskow.de
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Erstveröffentlichung in der jungen Welt vom 19. Mai 2010.