Der Militärhistoriker Sönke Neitzel und der Sozialpsychologe Harald Welzer haben 2011 das Buch „Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben“ herausgegeben, das auf Abhörprotokollen basiert, die von den Gesprächen deutscher Kriegsgefangener, ohne deren Wissen, angefertigt wurden. Daraus hat der Regisseur Thomas Dannemann eine Textfassung erstellt, die unter seiner Regie im September 2013 am Schauspiel Hannover zur Aufführung kam und nun bei den Autorentheatertagen zu erleben war.
Neu ist das nicht, was die fünf ausgestellten Männer erzählen, aber die Frage, ob das alles nun auch noch auf der Bühne gesagt werden muss, erübrigt sich sehr schnell.
Das Bild von den braven Wehrmachtssoldaten, die nur ihre Pflicht getan, tapfer gekämpft, der Zivilbevölkerung kein Haar gekrümmt, von der Ermordung der Juden erst nach dem Krieg erfahren haben und sich für Politik überhaupt nicht interessierten, ist bis heute in vielen Köpfen erhalten.
Dabei war genug Gegenteiliges schon vor der ersten Wehrmachtsausstellung bekannt. Die traumatisierten Kriegsheimkehrer, die es selbstverständlich auch gab, konnten über ihre Erlebnisse nicht sprechen. Ihnen hat Wolfgang Borchert mit seinem Stück „Draußen vor der Tür“ eine Stimme gegeben.
Es gab jedoch genügend andere, die stolz waren auf ihre kämpferischen Leistungen. Im Familienkreis wurden die Berichte darüber oft nicht gebührend gewürdigt. Der Krieg war vorbei, und die Frauen und Kinder zu Hause konnten den Spaß an Bombenangriffen nicht recht nachvollziehen. Aber es gab ja Treffen mit den alten Kameraden am Stammtisch oder auch im heimischen Wohnzimmer. „Die Männer reden wieder mal über den Krieg“ hieß es dann. Das taten sie mit viel Gelächter über auseinander fliegende Häuser, lustig durcheinander purzelnde Menschen und das herrliche Leben in den Ländern, die sie erobert hatten.
Untereinander brüsteten sie sich vielleicht auch immer noch mit den Vergewaltigungen und Ermordungen von Frauen und dem Abschlachten von Kindern. Weil das jedoch bei der Zivilbevölkerung nicht so gut ankam, wurde erzählt, solche Taten hätten Die Anderen verübt, ganz besonders die bestialischen Russen.
Die Berichte veränderten sich mit der Zeit, denn die überlebenden Soldaten wurden nicht mehr gefeiert, gelegentlich sogar angefeindet. Auch die Männer in den Glasvitrinen auf der Bühne werden vorsichtig, als sich der Verdacht herumspricht, sie würden abgehört. Später, nachdem sie die Vitrinen verlassen haben, geben sie sich sogar einsichtig. Dabei klingt es nur nach ekelhaftem Zynismus, wenn sie äußern, es hätte doch ein Unterschied gemacht werden müssen zwischen deutschen und polnischen Juden.
Diese Fünf sind nicht therapierbare Gewaltverbrecher, die doch eigentlich in lebenslange Sicherheitsverwahrung gehört hätten. Männer wie diese sind jedoch in den meisten Fällen zu ihren Familien zurückgekehrt und haben dann niemals Straftaten begangen. Ohne den Krieg, die Ordnung bei der Wehrmacht, das Aufgehobensein in der Kameradschaft, die Orden und Tapferkeitsmedaillen hatten sie kein Interesse an der Vernichtung von Menschen. Gefährlich waren diese Männer allerdings dadurch, dass sie den Spaß am Töten im Krieg weiter vermittelt und in ihren Enkeln manchmal begeisterte Zuhörer gefunden haben.
Die fünf Schauspieler Jakob Benkhofer, Philippe Goos, Mathias Max Herrmann, Dominik Maringer und Andreas Schlager sind auf eine entsetzliche Weise großartig. Sie demonstrieren, dass ganz normal und sympathisch wirkende Männer in der Kriegsmaschinerie zu Bestien werden konnten.
Es wird nicht nur geredet in dieser Aufführung. Mit dem „Wunschkonzert der Wehrmacht“ hat Regisseur Thomas Dannemann auch eine Gruselshow mit Musik auf die Bühne gebracht, bei der die fürchterlichsten Gräueltaten mit großem Applaus honoriert werden.
Oscar Olivo als distanzierter amerikanischer Aufseher stellt den Kriegsgefangenen Fragen zu ihren Biographien, wirft ihnen als tanzender Weihnachtsmann Schnee in die Vitrinen, zerrt sie am Ende, als sie sich als an der Ostfront erfrorene Kämpfer präsentieren, heraus und erklärt ihnen, dass sie deutsche Schauspieler sind, die sich weiß angemalt haben. Die Schandtaten der Überlebenden aufzurechnen gegen das qualvolle Sterben ihrer Kameraden, ist keine akzeptable Verarbeitung.
Erschreckend aktuell ist, dass die Soldaten über das Wegballern von Menschen im Krieg berichten, als handle es sich um ein Computerspiel. Durch Untersuchungen ist belegt, dass Kriegs- und Gewaltspiele nicht zu individuellen realen Gewalttaten verführen. Es lässt sich aber wohl nicht ausschließen, dass Menschen, die sich im geordneten System solcher Spiele bewegen, in einem der Kriege, die derzeit stattfinden, ganz ähnliche „Heldentaten“ vollbringen könnten wie die Wehrmachtssoldaten von damals.
„Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben“ von Sönke Neitzel und Harald Welzer, Gastspiel vom Schauspiel Hannover, war am 07. und 08. Juni bei den Autorentheatertagen 2014 zu erleben.