Einen Penny für den Guy – Nachfolger von “The Watchmen”: Alan Moores Dystopie “V wie Vendetta” bei Panini

Der Kult-Comic zum Film "V wie Vendetta".

Es ist der fünfte November, verkündet die Stimme der Vorsehung. Das Staatsorgan kommt aus Eveys Radio. Das junge Mädchen legt Schminke gleich einer Maske auf. Gleichzeitig maskiert sich jemand anderes, der ihr Leben für immer verändern wird. Eine Kamera beobachtet sie bei ihrem nächtlichen Gang auf die Strasse. “To your own Protection”, steht daran. Es ist das Jahr 1997. England ist ein faschistischer Überwachungsstaat, regiert von einem allmächtigen Diktator. Lebensmittel werden rationiert, Dissidenten, Homosexuelle und ethnische Minderheiten in Lagern ermordet.

Vor den Übergriffen Polizeibeamter rettet Evey ein Unbekannter. Mit einem Zitat aus “Macbeth” tritt der als Guy Fawkes Maskierte auf. Mit Evey beobachtet er die von initiierte Explosion des Parlamentsgebäudes. Auftakt seines gewalttätigen Freiheitskampfes. Mit einem V beginnen die Kapitelüberschriften wie “Vaudeville“. Darin bringt er einen Parteigenossen durch die Inszenierung eines grausigen Karnevals um den Verstand. Dessen Puppensammlung vernichtet V, wie sein Opfer Menschen in den Lagern vernichten ließ. Ein eingekreistes V zeichnet der gleichnamige Terrorist an die Wände. Anspielung auf das Anarchiesymbol, ebenso wie auf das Victoryzeichen. V für Vendetta. Denn einzig Blutrache kann aus Sicht des überzeugten Anarchisten V das Terrorregime beenden. Nachdem er mit ihrer Hilfe einen pädophilen Geistlichen ermordet, erkennt Evey dies und konfrontiert ihn mit ihrer Abscheu. Jahre später ist Evey selbst entschlossen zu töten. Und hier begegnet sie ihrem einstigen Retter wieder.

Anarchy in the U.K.

„Guy, guy, guy
Poke him in the eye
Put him on the bonfire
And there let him die“

(Britischer Kindervers)

Anspielungsreichtum, zeitgenössische Bezüge und Querverweise kennzeichnen das Schaffen des Comicautors Alan Moore. 2006 scheiterten die Wachowsky-Brüder mit ihrem Versuch, Moores Werk für die Leinwand zu adaptieren, wie Regisseur Zack Snyder an der Verfilmung von “The Watchmen”. Fünfzehn Jahre nach dem Entstehungsjahr der 1982 veröffentlichten Comics spielt die Handlung von “V wie Vendetta“. Sein Heimatland antizipiert der brillante Engländer Moore als Diktatur im Stil George Orwells “1984”. Ein Unterdrückerstaat, in dem die permanente Überwachung Alltag geworden ist. Die Sprengung des Parlaments verkehrt sich vom Terrorakt in einen Befreiungsschlag. Hier spielt der Bildroman unmittelbar auf die englische Geschichte an. 1605 versuchten Guy Fawkes und seine Mitverschwörer in Zuge des Gunpowder Plots das Parlamentsgebäude zu sprengen. König Jacobs I. , unter dessen antikatholischer Politik sie litten, sämtliche Parlamentsmitglieder und Bischöfe sollten bei dem Attentat getötet werden. Durch den Verrat eines Mitverschwörers wurde Guy Fawkes gefasst. Unter Folter gestand er die Namen seiner Verbündeten.

Evey hingegen bekennt nichts, als sie nach dem Mordversuch an einem Parteimitglied verschleppt und gefoltert wird. Die Qualen wirken wie eine Gehirnwäsche, machen sie entschlossen zum Kampf und nehmen ihr die Furcht vor dem Tod. Gefoltert wurde sie jedoch von V, der Evey in seinem Hauptaurtier einsperrt und glauben lässt, sie sei in einem Staatsgefängnis. So will er ihr das Ausmaß der Gewalt, welche der Polizeistaat ausübt, bewusst machen und sie psychisch für das Fortführen seines Terrors verhärten. Eigene Erfahrungen lässt er Evey nachleben. V selbst war in einem Lager, wo er für medizinischen Experimenten missbraucht wurde. Physisch ist er entkommen, psychisch nicht. Die Entpersonalisierung, die Folteropfer oft erleiden, hat in der Auslöschung von Vs Identität, nun durch die Leerstelle der Maske ersetzt, ihren Höhepunkt erreicht.

Anders denn als Comic kann die hochkomplexe Erzählung kaum funktionieren. Man muss zurückblättern, noch einmal nachlesen, einzelne Bilder unter die Lupe nehmen, um alle Details zu entschlüsseln. In seinem Versteck sammelt V verbotenen Kulturrelikte, Musik, Gemälde, Filmposter. Letzten kommt eine spezielle Bedeutung zu. Auf das von “White Heat” läuft er zu, als man ihn erstmalig sieht. Spiegelbild von James Cagney, der auf dem im Finale des Films explodierenden Tank “Top of the world!“ schreit. In einer späteren Rückblende zeigt der Comic Vs Silhouette gleich der Cagneys vor einem Flammenhintergrund. Eines der Poster verweist auf die Vergangenheit des Charakters, genau wie die Rosen, die für V Leben und Sterben zugleich versinnbildlichen. Als Verkleidung wählt Anarchist V die des Regierungsgegners Guy Fawkes. Denkbar paradox und gleichzeitig auf bizarre Weise logisch tarnt er sich als das, was er unter der Verkleidung ist. Den Terrorstaat bekämpft V selbst mit Terrorismus.

Niemals erfährt man, wer sich hinter der Maske verbirgt. Selbst Evey entschließt sich, Vs Identität nicht zu entdecken. Nach dessen Tod setzt sie seine Maske auf, um den Kampf fortzusetzen. Auch ihr Charakter erhält somit kritische Züge in der bewussten Übernahme des Persönlichkeitsverlustes und dem Fortsetzen des Terrors. Das bedeutsamste Individuum wird zur Leerstelle. Die Maske nimmt neben ihrer praktischen Funktion eine um eine symbolische erweitert ein. „V“ wird durch sie entemotionalisiert. In seiner Verkleidung erinnert er an eine Marionette, kontrolliert vom Fadenkreuz seiner fanatischen Überzeugung. “Stärke durch Einigkeit, Einigkeit durch Furcht”, fordert eines der Propagandaplakate. “Stärke durch Reinheit, Reinheit durch Glauben” verkündet ein anderes. Den Grundsätzen der Diktatur, welche er bekämpft, folgt V selbst. Aus seinem unerschütterlichen Glauben zieht er seinen Kraft, die Einheit der aufgewiegelten Bevölkerung ermöglicht am Ende eine Revolution.

„Blood screams the pain as they chop off her fingers
Blood will be born in the birth of a nation
Blood is the rose of mysterious union
There’s blood in the streets, it’s up to my ankles
Blood in the streets, it’s up to my knee“

(The Doors)

Der Wert der Freiheit und die Opfer, welches der Kampf um sie fordert, stehen im Zentrum der herausragenden Erzählung. Individuelles und gemeinschaftliches Leid, Kampf um Persönlicheitsverwirklichung und der Verlust dieser sind das Herz des Comics. Nur durch Auslöschung des alten Systems kann laut V ein neues entstehen. In seiner Sammlung verbotener Literatur findet sich neben Shakespeare Thomas Morus’ „Utopia“, Hitlers „Mein Kampf“ und „Das Kapital“ von Karl Marx. Die Bücher verdeutlichen die psychische Ambivalenz der Figur und stehen gleichzeitig für deren totalitäre Gesinnung. Genau wie seine erklärten Feinde wendet er Folter, Überwachung und Medienkontrolle an, um das Regime zu stürzen. In seiner beklemmenden Zukunftsvision wirft Moore die Frage auf, wie weit man im Kampf für seinen Ziele gehen darf. Die ursprünglich in Schwarz-Weiß erschienen Heftserie musste nach der Pleite des “Warrior” Verlags eingestellt werden. Sechs Jahre später kam sie in von Moore und dessen Zeichner David Lloyd kolorierter Form erneut bei DC Comics heraus. Moore entfächert vor dem Leser ein Ensemble komplexer Figuren. Keiner der Charaktere handelt korrekt oder frei von eigenen Motiven. Helden gibt es nicht, selbst negativen Charakteren verleiht Alan Moore mitleiderregende Menschlichkeit. Der Diktator kauert sich angesichts des Terrors durch V wie ein verängstigtes Kind zusammen, Polizist Finch, der im Glauben an staatliche Ordnungsmacht seine Ideale verloren hat, erkennt die Pervertierung des Systems. Ihn zeigen die letzten Bilder des Comics. Die Diktatur ist gestürzt, es herrscht Anarchie. Auf einer unbeleuchteten Strasse läuft Finch ziellos in die Dunkelheit. Was dort wartet, verrät Moore nicht. Es bleibt der eigenen Fantasie überlassen.

* * *

Titel: V wie Vendetta

Autor: Alan Moore

Zeichnungen: David Lloyd

Verlag: Panini

Vorheriger ArtikelGreenpeace-Jugendliche fordern Mercedes-Benz zum Klimaschutz auf – Pressemitteilung von Greenpeace e.V. vom 08.04.2009
Nächster ArtikelDer alte Mann und das Auto – Clint Eastwood reflektiert über Schuld und Neuanfang in “Gran Torino”