Jeder weiß, dass die vorgeschlagenen Verhandlungen keine Bedeutung haben und nirgendwo hinführen. Binyamin Netanyahu benötigt sie, um den amerikanischen Druck abzulenken. Barack Obama braucht sie, um irgend einen Erfolg vorzuweisen, sei er auch noch so gering. Aber Abbas weiß, seine Einwilligung werde Hamas helfen, ihn als Kollaborateur hinzustellen.
Nun hat sich Netanyahu entschlossen, Abbas eine Lektion zu erteilen. Seit drei Tagen strahlt Tag für Tag Kanal 10 (Israels zweitgrößte Fernsehstation) in einem Programm nach dem anderen schockierende „Enthüllungen“ aus über finanzielle und sexuelle Skandale von der Spitze der palästinensischen Behörde.
Eine Person, die als eine der „ranghohen Kommandeure“ des palästinensischen Sicherheitsdienstes vorgestellt wurde – im Rang eines Generals – erschien im israelischen Fernsehen und klagte die Führer der Palästinensischen Behörde und der Fatahbewegung an, sie würde Hunderte Millionen Dollars stehlen und ekelhafte sexuelle Straftaten begehen.
Die „Enthüllungen“ können die Existenz der Behörde und der Fatah gefährden.
So etwas wäre nicht ausgestrahlt worden, wenn der israelische Sicherheitsdienst (Shin Bet oder Shabak) dagegen gewesen wäre. Man muss annehmen, dass er tief mit darin steckt.
Der glücklichste Vater des Knüllers war Tzvi Yehezkeli, der „Korrespondent für arabische Angelegenheiten“ im Kanal 10.
Ich habe seit Jahren Yehezkelis Sendungen verfolgt, und es fällt mir schwer, mich an ein einziges Wort von ihm zu erinnern, das Muslime allgemein und besonders Araber nicht lächerlich macht. Seine Berichte und das, was er für die Show auswählt, liegen gewöhnlich irgendwo zwischen himmelhoch anmaßend oder bodenlos verachtend.
Damit ist er in unsern Medien keine Ausnahme. Die meisten „Korrespondenten für arabische Angelegenheiten“ sind ehemalige Offiziere des Armeenachrichtendienstes. Sie betrachten sich als aktive Mitglieder des großen Propagandaunternehmens gegen die Araber.
Viele erfreuen sich großzügiger Beihilfe gewisser Institutionen, die von amerikanischen Milliardären finanziert werden, deren einzige Funktion es ist, die Quellen des Friedens und der Verständigung zu vergiften. Israelische Juden, von denen die meisten kein arabisch verstehen, sind sich der Tatsche nicht bewusst, dass sie unter dem Deckmantel objektiver Information mit Dingen gefüttert werden, die zur gut geübten, antiarabischen psychologischen Kriegsführung gehören. Diese Institutionen beschäftigen Mengen von Leuten, die jedes Wort und jedes Bild prüfen, das in den Medien der ganzen arabischen Welt erscheint. Wenn man die Millionen Wörter und Tausenden von Sendungen aus 22 arabischen Ländern durchgeht (einschließlich der Palästinensischen Behörde) und der anderen Teile der muslimischen Welt, kann man leicht jeden Tag eine verrückte Äußerung und eine lächerliche Sache finden. Das wird dann der israelischen Öffentlichkeit vorgestellt. (Wie würden wir selbst aussehen, wenn wir einer solchen Musterung unterworfen wären?)
So viel über den Vater des Knüllers. Wer ist der Enthüller ? Fahmi Shabaneh, ein früherer Chef des palästinensischen Sicherheitsdienstes in Hebron, wird von Yehezkeli als Held dargestellt, der jeden Moment für die Sache der moralischen Reinheit zu sterben bereit ist. Er hat sogar schon für sich ein Grab auf dem Ölberg vorbereitet.
Offen gesagt, ich würde keinen gebrauchten Wagen von ihm kaufen.
Sein Erscheinen im israelischen Fernsehen ist an sich schon merkwürdig – um wenigstens dies zu sagen. Warum sollte dieser palästinensische Patriot ausgerechnet im israelischen Fernsehen erscheinen? Warum bietet er seine Waren nicht einer arabischen Fernsehstation oder Zeitung an oder wenigstens einem der neutralen Medien? Das Argument, dass dies noch keiner veröffentlicht habe, macht keinen Sinn. Würde Hamas es zurückgewiesen haben? Gibt es in Europa und den USA einen Mangel an Medien, die keine Gelegenheit verpassen, um Dreck auf die Muslime zu werfen?
Das Material dient natürlich der israelischen Besatzung. Es bedient all jene mit Munition, die zeigen wollen, „wir haben keinen Partner für Frieden“. Es hilft den Siedlern und den Kriegstreibern.
Aus diesem Grund müssen wir uns damit befassen, so widerlich es auch ist. Diese Stinkbombe ist ein Sprengkörper.
Die Qualität der Enthüllung hängt jedoch nicht notwendigerweise von Tzvi Yahezkelis und Fahmi Shabanehs Charakter ab. Diskriminierende Information kommt oft aus unsauberen Quellen. Sie muss nach ihren eigenen Maßstäben beurteilt werden.
Bis jetzt habe ich fünf Sendungen über diese Affäre gesehen. Sie waren voller Anklagen, aber ohne Beweise. Shabaneh sprach von Kartons voller Beweismaterial. Er wedelte mit Akten und Dokumenten. Aber er zeigte nicht ein Dokument in der Weise, dass eine Prüfung möglich gewesen wäre.
Ein Beweis bedeutet z.B. die Vorstellung eines Bankdokumentes in der Weise, dass man richtig lesen, die Details studieren und Schlüsse ziehen kann. Die Dokumente, die auf dem TV-Schirm kurz aufblitzten, erlaubten dies nicht.
Noch verdächtiger ist das pornographische Video, das – wie behauptet wurde – in der Wohnung einer Palästinenserin aufgenommen wurde, die als Köder für Rafiq al-Husseini diente, Abbas Bürostabschef. Ich traf und sprach mit dem Mann nur kurz (während Demonstrationen in Bilin). Er gehört einer der größten und renomiertesten Familien Jerusalems an, zu deren Mitgliedern Hajj Amin, der frühere Großmufti von Jerusalem gehörte, der Führer des palästinensischen Aufstandes von 1936, sowie Abd-al-Qader, der legendäre Kommandeur der arabischen Kämpfer Jerusalems 1948, und der verehrte und geliebte Faisal, der verstorbene Führer der arabischen Bevölkerung der Stadt.
Nach Shabaneh kamen al-Husseini und seine Sekretärin (und Geliebte) in die Wohnung der Frau, die einen Job in Abbas’ Mitarbeiterstab haben wollte. Husseini verlangte eine sexuelle Bestechung, und sie half Shabaneh, ihm eine Falle zu stellen. Die Kamera zeigt ihn, wie er sich nackt auszieht und ins Bett geht, wo ihn der tugendhafte Shabaneh überrascht.
Bis zu diesem Punkt scheint das Szenario möglich, wenn auch unwahrscheinlich. Aber in Laufe der Handlung ereignet sich etwas, das offensichtlich unglaublich ist. Als die versteckte Kamera Husseini in der Gesellschaft der Sekretärin und der Frau, die einen Job sucht, zeigt, sagt er ihr, dass „Arafat ein Dieb gewesen sei, dass Abbas ein Dieb sei, dass sie alle Diebe seien.“
Ist es plausibel, dass die Nummer Zwei im Amtssitz des palästinensischen Präsidenten in der Weise zu einer Fremden spricht, die nur eine Arbeitsstelle sucht? In ihrer Wohnung? In Gegenwart einer Zeugin? Warum, ist er ein Kind? Die Kamera filmt diese Szene aus einer Entfernung, die es unmöglich macht, von den Lippen des Sprechers zu lesen.
Alles in allem: pikante und haarsträubende Anklagen, sehr wenig überzeugende Beweise.
Nach 40 Jahren im Job als „Vater des israelischen investigativen Journalismus’“ (Wie ich beschrieben wurde, als ich den Sokoloff-Preis erhielt, die höchste Auszeichnung der israelischen Journalistenvereinigung), wage ich zu sagen, dass ich einen Spürsinn für solche Enthüllungen habe – für echte und unechte.
In diesem Stadium, nachdem ich die Filme sah, ist mein Eindruck, dass hier etwas faul ist.
Zweifellos gibt es da eine Menge Korruption an der Spitze der palästinensischen Behörde.
Es begann schon während der Zeit von Yasser Arafat. Er selbst war sauber, aber er zögerte nicht, Korruption als eines der Mittel zu benützen, um Leute zu manipulieren.
Keiner, der Arafat persönlich kannte, konnte ihn verdächtigen, korrupt zu sein. Ich hörte auch nie Anklagen oder Geschwätz dieser Art von Palästinensern. Er war dem palästinensischen Kampf und ihn zu führen, völlig ergeben. Materieller Besitz und ein gutes Leben interessierten ihn nicht. In dieser Hinsicht war er wie David Ben-Gurion und Menachem Begin – allerdings unter sehr viel härteren Umständen. Während die Leute rund um ihn sich prächtige Häuser bauten, hatte er kein eigenes Haus. Einmal in Tunis rühmte er sich mir gegenüber, er lebe in Flugzeugen. Das half ihm, Mordversuche zu vereiteln (während Jahrzehnten schwebte er jeden Augenblick in Lebensgefahr) und sparte auch Zeit. Seine „privaten“ Bankkonten halfen ihm, die Kontrolle des Geldes persönlich zu übernehmen, von dem ein großer Teil geheimen Zwecken diente, wie Waffenkauf, die Bewaffnung der Palästinenser in den libanesischen Flüchtlingslagern und ihre Verteidigung gegen die mörderischen Phalangisten, die vorhatten, sie zu vernichten, auch die politischen Vertretungen in aller Welt, den Kampf auf der diplomatischen Ebene austragen etc.
Aber Arafat kämpfte nicht gegen die Korruption seiner Mitarbeiter. Vielleicht hat er sie sogar manchmal dabei unterstützt. Ich denke, er sah dies als eines der Kontrollinstrumente über die Leute und die Fraktionen an, die ihm halfen, das Wunder zu vollbringen, die palästinensische Einheit unter unmöglichen Umständen intakt zu halten – in der Diaspora und unter Besatzung.
Meiner Meinung nach war das ein Fehler. Arafat dachte, die korrupten Geschäfte würden ihm helfen, seine Leute zu kontrollieren. Aber nüchtern betrachtet, half die Korruption dem Shin Bet, palästinensische Persönlichkeiten zu bestechen und zu erpressen, die Führung zu korrumpieren und ihren Befreiungskampf lahm zu legen.
Palästinensische Korruption ist ziemlich schäbig: zweifelhafte gemeinsame Transaktionen mit israelischen Geschäftsleuten, viele von ihnen frühere militärische Gouverneure; Kommissionen zu kassieren. Es ist unbedeutend, verglichen mit unserer eigenen all-umfassenden legalen Korruption. Unsere Ministerpräsidenten verlassen Politik für kurze Zeit und machen viele Millionen, indem sie ihre Verbindungen und Informationen nützen, die sie im Amt erwarben. Im Ruhestand befindliche Generäle verkaufen Waffen und bestechen überall auf der Welt. Zwanzig Oligarchen kontrollieren praktisch die israelische Wirtschaft mit Hilfe von Ministern und ranghohen Beamten, die ihnen hörig sind. Ganz zu schweigen von der USA, wo Lobbys Senatoren und Kongressleute ganz offen mit Wahlkampagnenspenden kaufen .
Zurück zum tugendhaften Fahmi Shabaneh: vor einigen Monaten verhaftete die israelische Polizei ihn. Er ist ein Bewohner Ost-Jerusalems und hat eine israelische Identitätskarte. Er wurde angeklagt, für die palästinensische Behörde gearbeitet zu haben – eine offensichtlich absurde Anklage, da Hunderte von Ost-Jerusalemern für die Behörde arbeiten. Die israelische Regierung schließt ihre Augen, weil sie versucht, die palästinensische Behörde in ihren Sub-Unternehmer zu verwandeln.
Und warum wurde Shabaneh verhaftet? Um ihn in palästinensischen Kreisen glaubwürdig erscheinen zu lassen und den Verdacht von ihm zu nehmen, bevor er zum Anti-Korruptionsheld erkoren wurde? Um ihn zu erpressen? Er wurde gegen Kaution freigelassen (in solch einem Fall ganz ungewöhnlich) und sein Prozess ist noch anhängig. Nun ist er der „gute Araber“, der Held der israelischen Medien, ein integraler Teil der gut geölten Propagandamaschine.
Von der ganzen ekelhaften Affäre bleibt eine Hauptfrage: Zu welchem Zweck? Derjenige, der entscheidet, Abbas zu verunglimpfen, weiß, dass er damit Hamas’ Macht stärkt, eine Bewegung, die von der palästinensischen Öffentlichkeit als nicht korrupt angesehen wird.
Während Abbas von demjenigen einen tödlichen Schlag erhält, der angeblich Verhandlungen mit ihm führen will, liefert Netanyahu der Hamas, die nicht verhandeln will, ein phantastisches Geschenk.
Sehr merkwürdig. Oder?
Anmerkung:
Vorstehender Artikel von Uri Avnery wurde aus dem Englischen von Ellen Rohlfs übersetzt. Die Übersetzung wurde vom Verfasser autorisiert. Die Erstveröffentlichung erfolgte unter www.uri-avnery.de am 13.02.2010. Alle Rechte beim Autor.