Eine Generalüberholung

Der Inbegriff von Frechheit wurde von Eli Yishai (Shas) begangen. In vergangenen Zeiten würde ein japanischer Minister schon am ersten Tag des Brandes Harakiri begangen haben. Aber Yishai wandte sich an die Öffentlichkeit und behauptete, dass er das Lynchopfer wurde, weil er ein „Orthodoxer und Sepharde“ sei.

Aber selbst wenn er ein blauäugiger, säkularer Ashkenazi gewesen wäre, hätte man ihn die Treppe hinunterwerfen sollen. Und nicht nur wegen seiner Verantwortung als Minister, wie es der staatliche Rechnungsprüfer höflich ausdrückte.

Wenn Yishai dem oben erwähnten Richter gegenüber gestanden hätte, dann hätte er geantwortet: „Euer Ehren, alle meine Vorgänger ermordeten auch ihre Frauen und Kinder. Warum greifen Sie mich heraus? Nur weil ich orthodox und ein Sepharde bin?“

Ein einziger schockierender Beweis genügt, um diesem Individuum eine persönliche Schuld zuzuschreiben. Als das Feuer ausbrach, war am Haifaer Flughafen, wo die Feuerwehrflugzeuge stationiert waren, kein einziges Kilo Feuerlöschmaterial als Vorrat vorhanden. Der Vorrat im ganzen Lande genügte nur für die ersten 20 Minuten. Israel musste SOS-Botschaften in alle Welt hinausschicken, selbst in Länder, die kleiner und ärmer als wir sind, um das nötige Material zu erbitten.

War das die Verantwortung seiner Vorgänger in den 50er oder 90er-Jahren?

Bis vor kurzem tat sich Yishai als zwanghafter Verfolger von Flüchtlingskindern hervor, um den „jüdischen“ Staat zu retten. Wenn er in die Bekämpfung von Feuer nur einen Bruchteil der Energie und des Enthusiasmus gesteckt hätte, die er der Menschenjagd der „Os-Einwanderungs-Einheit“ gewidmet hatte, dann hätte das Feuer innerhalb einer Stunde gelöscht werden können, statt drei Tage unvermindert zu wüten. Ganz abgesehen von seinen Drohungen, die Regierungskoalition zu brechen, wenn die Subventionen an die Orthodoxen reduziert werden würden.

In Yishai sind einige der Hauptzüge, die die Katastrophe verursachten, konzentriert; ein aufgeblasenes Ego, total den Interessen seiner Partei unterworfen und vollkommene Gleichgültigkeit für die Aufgaben der Regierung, die ihm anvertraut worden waren.

Aber er behauptet, er habe „gewarnt“. Alle Politiker „warnten“. Jeder von ihnen hatte in seiner Hosentasche hinten einen Stoß Briefe, die er in den letzten paar Jahren geschrieben hatte, um seinen Hintern zu verdecken. Aber die Pflichten eines Ministers bestehen nicht aus „warnen“. Seine Pflicht ist es, zu handeln – und wenn er es nicht kann — abzutreten.

Die Hauptverantwortung liegt aber nicht bei Eli Yishai, sondern bei Benyamin Netanyahu. Er ist es, der diesen Taugenichts für diesen Job ernannte, genau wie er Avigdor Lieberman als Außenminister und Limor Livnat als Kultusministerin ernannte. Und all die anderen Minister, von denen die meisten ihren Aufgaben nicht gewachsen waren.

Netanyahus eigenes Verhalten während der Krise, in der das ganze Land tagelang am TV klebte jede Stunde jedes Tages, grenzte an eine Farce. Während die Feuerwehrleute alles taten, um das Feuer zu löschen, war er damit beschäftigt, die wachsende Kritik an ihm zu löschen. Er eilte von Ort zu Ort, umgeben nicht nur von einem Ring Leibwächter, sondern von einem noch größeren Ring von Photographen. Er machte sich selbst mit jeder möglichen Pose unsterblich, jede perfekt inszeniert, indem er dem Beispiel des Präsidenten von Chile während der Rettungsarbeiten der Minenarbeiter folgte. Er sprach und sprach, und von jedem Wort ging ein starker Geruch von Schwindel aus.

Nichts war spontan, nichts kam von Herzen. Alles war Pose, nichts Ernsthaftes. In einem Moment vertraute er dem Sicherheitsminister für Inneres Yitzhak Aharanovitch die Verantwortung für die ganze Operation an, im nächsten Moment vergaß er ihn, als wäre er nie da gewesen. Der Höhepunkt der Komödie war erreicht, als er die Bürgermeisterin von Netanya mit dem passenden Namen Miriam Feierberg (Feuerberg) als Sonderkommissarin für die Wiedergutmachung ernannte. Es war die Blitzidee eines Moments, ohne jemanden um Rat zu fragen, ohne irgendeine Stabsarbeit (es gab ja keinen Stab). Selbst seine engsten Mitarbeiter waren überrascht. Zwei Tage später nahm er ihren Rücktritt an.

Netanyahu erfand auch Ersatz für eine Untersuchungskommission: eine Pressekonferenz.

Aber anscheinend kannte Netanyahu seine Leute. Die Umfragen zeigen, dass ein großer Teil der Öffentlichkeit tief von seiner dynamischen Führung beeindruckt war.

Aber jenseits des Versagens der einzelnen Politiker, die als Führer posierten, ist ein erschreckendes Bild des ganzen regierenden Establishments entlarvt worden.

Einen Augenblick lang wurde der Vorhang der Medienschmeichler, der PR-Experten und gemischten Arschlecker, die eine künstliche Realität schufen, hochgezogen. Das Bild, das aufgetaucht war, ist ein totales Chaos. Die Flammen warfen ein Licht nur auf einen zufälligen Teil – die Feuerwehr – aber zweifellos besteht in fast allen anderen Abteilungen der Regierung eine ähnliche Situation, vom Militär-Establishment bis zum Bildungswesen.

Bis jetzt vermuteten wir. Jetzt wissen wir es sicherlich.

Was in dieser Woche für alle aufgedeckt wurde, war eine schockierende Landschaft von Inkompetenz und Unfähigkeit, Verantwortungslosigkeit und Verhüllung, Mangel an Planung, Mangel an Voraussicht, Mangel an Zusammenarbeit der verschiedenen Regierungsämter. Viele Jahre von Parteikorruption haben zu einer Situation geführt, wo bei jedem wichtigen Knotenpunkt die falsche Person auf der falschen Stelle sitzt. Das Verbrechen „politischer Ernennungen“ hat den Beamtenapparat unfähig gemacht.

Der Mangel einer wirksamen Feuerwehr, wie in dieser Woche vom staatlichen Rechnungsprüfer beschrieben wurde, ist nur ein Symptom der Krankheit. Es wurde nicht erst in dieser Woche entdeckt und nicht in diesem Jahr. Schon vor 42 Jahren am 10. Juni 1968 warnte ich die Knesset vor dieser Situation und forderte, eine nationale Feuerwehr zu errichten, wie die nationale Polizei, mit einem einzigen Kommandeur und einem ständigen Generalstab. Das Establishment ignorierte den Vorschlag, genau so die Medien. Nichts brannte – bis der Carmelberg zu einem Flammeninferno wurde.

Wir wissen schon, dass dieselbe Situation im Bildungssystem herrscht, das eine Generation von Ignoranten erzieht, wie es vor einer Woche von PISA , einer autoritativen internationalen Studie aufgedeckt wurde. Die Schüler des „jüdischen Staates“ die Söhne und Töchter des „Volkes des Buches“, das immer stolz auf seine überlegene Intelligenz war, ist nun unter dem Durchschnitt von Entwicklungsländern.

Wir wissen nicht, was in der Armee tatsächlich geschieht, deren Offiziere, durch einen Verteidigungsring von Armeesprechern und Armeelügnern, Zensoren und kriecherischen Journalisten, die „Militärkorrespondenten“, gedeckt werden. Der 2. Libanonkrieg enthüllte das Bild eines Militärs, das nicht viel besser war als die Feuerwehr in dieser Woche. Es ist bekannt, dass der gegenwärtige Stabschef Gabi Ashkenazi die Armee „rehabilitiert“ habe. Jeder weiß das. Woher weiß man das? Keiner von außen hat dies kontrolliert.

Um Israel in einen modernen Staat zu verwandeln, benötigen wir eine allgemeine Veränderung des ganzen Establishments. Statt uns mit leeren Slogans zu beschäftigen, wie „ein jüdischer und demokratischer Staat“, sollten wir sehen, dass Israel vor allem ein Staat wird, der fähig ist, für die Sicherheit und das Wohlbefinden seiner Bürger zu sorgen – und zwar aller seiner Bürger.

Das bringt uns direkt zu der umgestürzten Wasserpfeife (im palästinensisch-arabisch Nargileh genannt).

Vom ersten Augenblick an machte ich mir Sorge, dass das Feuer eine große rassistische Flamme auslösen würde. Schließlich brach das Feuer in der Nähe eines arabischen Ortes aus (Ja, Drusen sind auch Araber). Ich fragte mich, wie lange es dauern wird, bis die Rassisten mit einander konkurrieren, um diese Gelegenheit auszunützen?

Zunächst war ich positiv überrascht. Auf viele Art und Weisen brachte die Katastrophe die positivsten Seiten der israelischen Gesellschaft zu tage, die in normalen Zeiten verborgen sind. Auch in diesem Gebiet herrschte eine ungewöhnliche Zurückhaltung. Der normale Menschenverstand sagt sich, dass auch der wildeste Terrorist nicht in der Nähe seines eigenen Heimes ein Feuer entzünden würde.

Aber die Polizei – die sehr anti-arabisch eingestellt ist – konnte sich auch zwei Tage lang nicht zurückhalten. Auf der Höhe der Katastrophe, als die Öffentlichkeit vor dem Fernseher klebte und die Emotionen wie die Flammen im Wald hoch gingen, veröffentlichte die Polizei eine sensationelle Nachricht: sie hatte zwei arabische Jungen, 14 und 16, gefangen, die an der ganzen Sache schuldig seien.

Selbst wenn diese Nachrichten irgendeine Grundlage gehabt hatten, hätte man damit zwei oder drei Tage warten können, bis die Flammen gelöscht waren. Aber die Polizei war in Rage.

Sie verkündete mit lauter Stimme, die beiden Jungen hätten ein Picknick gehabt und dabei sei ihre Nargileh umgefallen. Das ist eine sehr zweifelhafte Geschichte. Doch selbst, wenn beide Brüder unbeabsichtigt durch Unachtsamkeit das Feuer verursacht hatten, muss man sie dann als Schwerverbrecher behandeln: sie brutal aus ihrem Haus, mitten vom Mittagessen mit ihrer Familie zerren, sie hart verhören, um sie dahin zu bringen, sich gegenseitig zu beschuldigen? Am Ende wurden sie entlassen, und die Polizei grabschte sich einen anderen 16jährigen Jungen. Das Verhalten der Polizei war sehr anders, als vor einiger Zeit eine Gruppe Yeshiva-Studenten unabsichtlich ein großes Feuer auf den Golanhöhen verursachten.

Das Ereignis hat tatsächlich ein rassistisches Gesicht, aber aus einer ganz anderen Perspektive. Rassismus spielte eine größere Rolle darin.

Das Feuer begann in der Nähe von Ussafiyeh, einer drusischen Örtlichkeit mit 10600 Einwohnern, in der es anscheinend keine Feuerwehrstation gab. Es gab auch keine im benachbarten drusischen Ort Daliat-al-Carmel mit 15 500 Einwohnern. Die arabischen Gemeinden, die auf den meisten Gebieten diskriminiert werden, werden auch auf diesem Gebiet benachteiligt.

In dieser Woche rächte sich der Rassismus. Wenn es in den drusischen Orten Feuerwehrstationen gegeben hätte, hätte das Feuer in kurzer Zeit gelöscht werden können – trotz des Ostwindes und der trockenen Bäume – bevor es sich zu einer tödlichen Katastrophe entwickelte. Die Ussafiye Station hätte das ganze Carmelgebiet, in dem immer Brandgefahr besteht, verteidigen können. Lies die Episode des Propheten Elia und der Propheten des Baal auf dem Carmel ( 1. Köm.18,38) „dann fiel das Feuer vom Himmel”¦“ Aber vielleicht hat Eli Yishai und seine Leute nicht so oft die Bibel gelesen wie dieser Atheist.

Die Vernachlässigung der drusischen Ortschaften haben eine dramatische Wirkung auf unsere Fähigkeit gehabt, das Feuer auf dem Carmel zu löschen. Die 42 Opfer zahlten wegen des Rassismus’ mit ihrem Leben.

Das Feuer war eine Art Generalprobe. In Israel sagt man nicht „falls ein Krieg ausbricht“, sondern eher „wenn der nächste Krieg ausbricht“. Es ist ziemlich sicher, dass wenn der nächste Krieg ausbricht, das Carmelfeuer eine kleine Sache sein wird. Tausende von Raketen werden auf alle Teile Israels fallen und gleichzeitig viele Feuer verursachen.

Keiner ist bereit dafür. Dieselbe Regierung, die alle Friedensbemühungen sabotiert und uns zum Krieg führt, ist für keinen Krieg vorbereitet – auf keiner Ebene.

Selbst ohne diese Gefahr wird deutlich, dass das politische Establishment nichts weniger als eine große Generalüberholung nötig hätte . Das ist unmöglich mit Typen wie Eli Yishai und seinem Meister, dem Rabbi Ovadia Yossef, der in dieser Woche erklärte, dass die mutige Polizei-Offizierin Ahuva Tomer und die 41 Kadetten, die von dem Feuer getötet wurden, deshalb starben, weil sie den Schabbat gebrochen hätten. Es ist auch unmöglich mit Typen wie Benyamin Netanyahu und seinem Kabinett noch mit der sog. „Opposition“.

Was jetzt dringend nötig wäre, wäre nichts weniger als ein Aufwachen der „schweigenden Mehrheit“. Sie muss verstehen, dass bei ihrer Gleichgültigkeit sie nicht weniger schuldig ist als die Politiker, die schließlich von ihr gewählt worden sind. Nichts wird sich bewegen, wenn nicht die passive Öffentlichkeit aktiv wird: Massenproteste, große Demonstrationen, gemeinsame Aktionen mit Intellektuellen und anderen. Nur so kann die zivile Gesellschaft sich durchsetzen und eine totale Überholung voranbringen, die zu einer brennenden Notwendigkeit wird.

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Anmerkungen:

Die Erstveröffentlichung erfolgte unter www.uri-avnery.de am 11.12.2010. Alle Rechte beim Autor.

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