Ein Weltstar, der sich Träume erfüllte – Das neue Album „Dreams“ von Neil Diamond

Sicher, dieser Titel paßt perfekt zur besinnlichen Weihnachtszeit, wenn man träumend am Kamin sitzt und sich gerne von angenehmen Melodien und einer charismatischen Baritonstimme verzaubern läßt. Für den weltbekannten Entertainer, der bisher etwa 130 Millionen Tonträger verkauft hat und in Kürze 70 Jahre alt wird, bedeuten diese „Träume“ aber auch inhaltlich etwas. Neil Diamond hat hier neben seinem eigenen Superhit „I’m A Believer“ 13 ebenfalls frisch gebliebene Stücke – von anderen Autoren – aus den 1960er und 70er Jahren vereint, von denen er immer schon einmal geträumt habe, sie selbst zu singen. Da finden sich mehr oder weniger heute noch bekannte, dafür aber in jedem Falle zeitlose Popkunstwerke. Sie reichen von „Let It Be Me“ von den Everly Brothers, „Ain’t No Sunshine“ von Bill Withers und „Alone Again (Naturally)“von Gilbert O’Sullivan über „Blackbird“ und „Yesterday“ von den Beatles, „Feels Like Home“ und „Losing You“ von Randy Newman bis zu „Hallelujah“ von Leonard Cohen, „Midnight Train To Georgia“ von Gladys Knight & The Pips und „Don’t Forget Me“ von Harry Nilsson.

Produzent ist der Singer/Songwriter diesmal selbst, wobei er freilich ein wesentliches Gestaltungsprinzip aus der erfolgreichen Zusammenarbeit mit Rick Rubin verinnerlicht und beibehalten hat: die sparsame Instrumentierung, die dem Ganzen eine angenehm intime Note gibt. Er schuf hier ein stilistisch in sich geschlossenes Album, auf dem er sämtliche Titel gleichsam umgeschmolzen oder genauer: eingeschmolzen hat in sein eigenes gegenwärtiges Idiom. So sind ruhige und beschauliche, meistens melancholische oder elegische Balladen entstanden, ganz abgestellt auf die musikalische Substanz der Kompositionen und die sonore, facettenreiche Stimme Diamonds. Natürlich ist dieses dunkle, warme Organ des nahezu Siebzigjährigen inzwischen rauer, manchmal sogar etwas brüchig geworden. Doch gerade das macht es noch erdiger und charaktervoller, vielleicht auch authentischer.

Unterstützt wird der Sänger Neil Diamond, der auch selbst wieder zur Gitarre gegriffen hat, nach eigener Aussage „von einer kleinen Gruppe sehr talentierter Musiker, Toningenieure und Arrangeure“. Herausgekommen sind dabei durchweg musikalische Kleinode mit zahlreichen Feinheiten, wie die generell wunderschönen Klavierparts oder die Saxophoneinschübe bei dem Leon-Russel-Klassiker „A Song For You“, das furiose, cajunartige Fiddle-Spiel in „Blackbird“, die Mundharmonika-Passagen in „Midnight Train To Georgia“ oder das soulige Bläser-Arrangement in „Don’t Forget Me“. Überhaupt hat wohl dieser letzte Song der CD in besonderem Maße das Zeug, ein bleibender Ohrwurm im typischen Neil-Diamond-Stil zu werden. Übrigens, viele der musikalischen Finessen erschließen sich einem wohl erst beim mehrmaligen Anhören der Platte.

Wie hat nun Neil Diamond auf „Dreams“ sein einziges Stück aus eigener Feder, den mitreißenden Song „I’m A Believer“ von 1966, neu interpretiert? Damals von „The Monkees“ und auch von ihm selbst zum 10-Millionen-Welthit gemacht, ist er unverwüstlich geblieben und findet sich auch in rockigen Versionen von „Smash Mouse“ und Eddie Murphy im Kino-Kassenschlager „Shrek“ (2001) wieder. Erstaunlicherweise gehört aber gerade dieses (im besten Sinne) zum Oldie gewordene Lied zu den eher enttäuschenden Neueinspielungen auf der CD. Zwar fügt es sich in die gewollt entspannte, beschauliche Machart von „Dreams“ ein, doch die Originalversionen leben ganz und gar vom elektrisierenden Drive. Für das Album „September Morn“ (1979) hatte Diamond noch eine zündende Reggae-Fassung seines Klassikers eingespielt. Und auch seine im Laufe der Jahre auf Konzerten bis hin zur umjubelten „Hot August Night“ im New Yorker Madison Square Garden von 2008 präsentierten Live-Darbietungen dieses eines seiner Schlüsselsongs strotzte vor Tempo und Temperament. Diesmal ist „I’m A Believer“ merkwürdig unoriginell arrangiert und damit eher langweilig geraten. Wie es auch anders geht, zeigt Diamond indes mit dem berühmten Song von Soul-Diva Gladys Knight „Midnight Train To Georgia“ aus dem Jahre 1974. Hier hat er eine im Original entfesselte R&B-Rakete musikalisch dermaßen „geerdet“, dass man seine wahre Freude an der balladesken Fassung haben kann.

„Dreams“ ist bei weitem nicht die erste komplette Scheibe Neil Diamonds mit Tribute-Versionen von Songs anderer Rock- oder Popgrößen. So veröffentlichte er 1993 mit „Up on the Roof“erstmals eine Platte mit Coverversionen von Songs aus der legendären New Yorker „Brill Building“-Ära Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre. Und 1998 überraschte er gar mit der Doppel-CD „The Movie Songs: As Time Goes By“. Mit großem Streichorchester unter der Leitung des Dirigenten Elmer Bernstein sang Diamond hier stimmgewaltig 20 berühmte Hollywood-Filmmelodien von „As Time Goes By“über „Unchained Melody“ und „Moon River“ bis „My Heart Will Go On“. Möglicherweise markierte gerade dieses Album sogar den vokalistischen Zenit Diamonds.

Wie der Entertainer nun im Booklet von „Dreams“ anmerkte, versteht er den jetzigen Ausflug in fremdes Terrain lediglich als „Raum“ zwischen selbst geschriebenen Alben, was hoffen läßt, dass wir noch weitere Eigenschöpfungen – ob mit oder ohne den Produzenten Rick Rubin – erwarten können. An Produktivität hat der Musiker jedenfalls auch im Alter nichts eingebüßt.

Info:

Neil Diamond: DREAMS, Sony Music, VÖ: November 2010, Internet: www.sonymusic.de; www.neildiamond.com

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