Ein Kontrastprogramm zweier Hauptdarsteller bei den 80. nationalen Tischtennis-Meisterschaften am Wochenende im Berliner Velodrom, das mit der jeweils unterschiedlichen Erfolgsquote zusammenhing.
Dimitrij Ovtcharov wollte unbedingt seinen ersten Deutschen Meistertitel und galt als erster Titelanwärter. Erst 23 und schon 2007 Zweiter hinter Timo Boll, auch 2011 Zweiter, Dritter 2009 und 2010, 10. der Weltrangliste und kürzlich Sieger bei einem Top Europe 12-Turnier.
Die Favoritenrolle des gebürtigen Ukrainers mit deutschem Pass ergab sich auch daraus, dass der neunfache Champion seit 1998, Timo Boll, wegen einer Schulterreizung mit Blick auf die Mannschafts-WM vom 25. März bis 1. April in Dortmund in der Hauptstadt auf den Start verzichtete.
Der erklärte Kronprinz Ovtcharov aber scheiterte im sonntäglichen Finale nach teilweise sensationellen Ballwechseln an den unglaublichen Kämpferqualitäten seines gut einen Kopf kleineren Gegners. Bastian Steger, 30, geboren in Bayern, startend für den 1. FC Saarbrücken, gab den Part als Stehaufmännchen in Vollendung. Er lag gegen den Mann aus Hameln 0:2 und im dritten Durchgang 7:10 zurück. Und gewann dennoch 16:14. Schaffte das 2:2 nach Sätzen und lag wieder 2:3 im Hintertreffen. Um letztlich mit 4:3 seinen im Vorjahr errungenen Titel gegen Ovtcharov erfolgreich zu verteidigen.
"Bastian halte ich für einen der weltbesten Spieler bei Rückständen", hatte Christian Süß. Der Titelträger von 2010 (gegen einen indisponierten Boll) war an der Landsberger Allee im Halbfinale von Steger trotz einer 3:1-Satzführung und eines 7:3-Vorteils im fünften Durchgang noch aus dem Rennen geworfen worden.
"Dima hat sich heute zu sehr unter Druck gesetzt und Steger war psychologisch im Vorteil", bestätigte Vater und Trainer Mikhail Ovtcharov die phasenweise verkrampfte Vorstellung seines Sohnes.
Das mentale Plus Stegers, derzeit 25. der Weltrangliste, resultiert wohl auch daher, "dass ich die letzten drei Begegnungen gewonnen habe und in einer Gesamtbilanz mehr gewonnen als verloren habe" (Steger).
Auf die Frage, ob man ihm nach dem Erfolg über den Boll-Kronprinzen nun in dessen Position sehen könne, meinte er lächelnd: "Das hört sich gut an. Das könnt ihr ruhig schreiben." Allerdings ist Steger wie Boll Jahrgang 1981 (8. März) und nur 11 Tage jünger (19. März) als der erfolgreichste deutsche TT-Zauberer aller Zeiten.
Steger setzte sich zusammen mit Lars Hielscher wie im Vorjahr auch im Doppel durch – im Endspiel gegen Ovtcharov/Patrick Baum – und gab damit die Vorlage für Wu Jiadou. Die Einzel-Europameisterin 2009 aus Kroppach (34) , als 16. der Weltrangliste am höchsten dotierte deutsche Spielerin, gab im Finale der 19-jährigen Bayerin Sabine Winter nach harter Gegenwehr das Nachsehen. Und eroberte so nach dem Scheitern der Vorjahrsgewinnerin Zhenqi Barthel ihren ersten Einzeltitel unter dem Dach des DTTB. Mit ihrer Vereins- und Nationalmannschaftskollegin Kristin Silbereisen, hatte die in China auf die Welt gekommene Wu auch das Doppel für sich entschieden.
Wu, Silbereisen, Barthel, die EM-Zweite Irene Ivancan (Berlin) sowie als Reservistin Winter (Schwabhausen) sind für die Heim-Mannschafts-WM nominiert. Für den olympischen Einzelwettbewerb in London wird man dem DOSB Wu und Silbereisen vorschlagen. Ivancan könnte sich als Dritte für die olympische Mannschaftskonkurrenz qualifizieren.
Bei den Männern standen wegen der langfristigen Meldetermine die olympischen Kandidaten ebenfalls bereits vor den Deutschen Titelkämpfen fest: Boll und Ovtcharov fürs Einzel. Steger hat auf dem Weg zum Mannschaftsakteur bei Olympia noch die Qualifikations-Hürden (Europa- bzw. Weltgruppe) zu meistern. Dieses Trio sowie Süß und Patrick Baum möchten Rang zwei bei Olympia 2008 sowie WM 2010 nun in Dortmund wiederholen, "und versuchen, die Chinesen noch energischer herauszufordern", wie Herren-Bundestrainer Jörg Roßkopf auf der PK formulierte.
Bei den Damen hofft die neuberufene Bundestrainerin Jie Schöpp anstelle des von den Aktiven abgelehnten Jörg Bitzigeio auf ein ähnliches WM-Abschneiden wie vor zwei Jahren, als es Bronze gab.
DTTB-Sportdirektor Dirk Schimmelpfennig zeigte sich angetan von der Leistungsschau der nationalen Elite mit jeweils 48 Teilnehmern. Der Vorbereitungsstand der WM-Aspiranten sei "völlig in Ordnung". Nun gelte es, in den kommenden Tagen im Trainingslager "den WM-Feinschliff hinzubekommen. Das heißt schneller und dynamischer werden, technische Details für Aufschlag, Rückschlag und Angriffs sowie taktisches Verhalten auszuprägen".
Nicht zufrieden war DTTB-Präsident Thomas Weikert mit lediglich rund 3500 Zuschauern insgesamt für alle drei Tage. TT-Fans aus dem Bundesgebiet hätten wegen der anstehenden WM auf die Anreise verzichtet. Und die Absage von Superstar Timo Boll "könnte etwa 1000 Besucher weniger ausgemacht haben". Den Berliner Organisatoren zollte er indes für ihre erste DM-Gastgeberschaft nach 15 Jahren ein ausdrückliches Lob.