Berlin, Deutschland (Weltexpress). Die tiefe Sehnsucht nach großem Liebesgefühl und ekstatischer Vereinigung mit dem erhofften Geliebten führt eine junge Frau im Frankreich der vierziger Jahre an die Grenzen einer konventionellen Umgebung, in der Ehen eher als Absicherung, denn aus Liebe geschlossen werden – und am Ende stellt sich die Frage inwieweit Realität oder aber Imagination zur menschlichen Erfüllung beitragen können und wie sich ein begrenztes Leben ertragen lässt.
Die Regisseurin Nicole Garcia verfilmt den internationalen Besteller „Mal de pierres“ von Milena Agus, der in Deutschland 2007 unter dem Titel „Die Frau im Mond“ veröffentlicht wurde. Der Film ist ein feinsinniges Melodram mit Starbesetzung. Die Titelrolle übernimmt die französische Oscar-Preisträgerin Marion Cotillard. Dabei dient der Roman eher als Inspiration, denn als werkgetreue Verfilmung. Die Regisseurin, die ebenfalls die Drehbuchautorin ist (gemeinsam mit Jaques Fieschi) hat weite Teile der Vorlage verändert und gekürzt und ist in einer Weiterentwicklung darum bemüht die zugrundeliegende Intention des Buches filmisch zu transportieren.
Es ist ein Frauenschicksal, ein Emanzipationsversuch, der letztlich scheitern kann, in einer Zeit rigider Vorstellungen.
Gabrielle (Marion Cotillard) ist eine hübsche junge Frau in ländlicher Provence, doch eines unterscheidet sie von den anderen Bewohnern: Ihr unbedingter Wille und ihre Sehnsucht nach einem leidenschaftlicherem und besseren Leben, das sie um jeglichen Preis verwirklichen will. Dabei stößt sie auf ihre eigenen Grenzen und drüber hinaus und auf die Grenzen der Dorfbewohner und ihrer strengen Mutter (Brigitte Roüan), die geneigt ist sie aufgrund ihrer Gefühlsausbrüche und störrischen Verhaltensweisen für verrückt zu erklären und in eine Anstalt einzuweisen. Die auflodernde Sexualität von Gabrielle, mit der sie die Bewohner konfrontiert, führt dazu das die Mutter, als Alternative, eine Ehe mit dem spanischen Exilanten José (Alex Brendemühl) arrangiert. Doch Gabrielle ist unglücklich, sie kann ihre unterdrückten Gefühle in einer nüchternen und funktionaler Ehegemeinschaft nicht ausleben. Erst ein Aufenthalt in einem Sanatorium, welches sie wegen einer schmerzhaften Nierenkrankheit, der „Steinkrankheit“, aufsuchen muss, führt zu der erwarteten Hoffnung: Dort trifft sie den feinsinnigen und schönen, aber schwer erkrankten Indochina-Soldaten André (Louis Garrel)…
Die Handlung folgt in weiten Teilen der Protagonistin, ihren Empfindungen und Sehnsüchten und umspannt dabei einen Zeitraum von 17 Jahren. Die Kamera ist fokussiert auf Marion Cotillard und ihre Gefühlswallungen und sinnlichen Gelüste, in denen Realität und Fiktion verschwimmen, werden bedeutungsschwer von dramatisch-klassischer Musik untermalt. Geigenklänge und Tschaikowskys Barcarolle unterstreichen berührend das melodramatische und leidenschaftliche Innenleben der Frauenfigur: Der Wunsch nach einem seelenhafteren und besseren Leben. Die Kostüme sind zeittypisch und vermitteln nachvollziehbar die Atmosphäre der Provence der vierziger Jahre. In unprätentiösen Bildern entwickelt sich die Geschichte, der Rhythmus ist gleichmäßig und ruhig und erst zum Ende hin und in den musikuntermalten Momenten der Liebessehnsüchte, steigert sich die Handlungsspannung. Metaphorisch dominieren in vielen Innenraumszenen Braun- und Beigetöne und schattenhafte Beleuchtung – die das eingeschränkte Alltagsleben versinnbildlichen. Die Szenen im Freien sind dagegen heller und von weitschweifigerer Bildgewaltigkeit. Die Wunsch nach Freiheit und einem ausdrucksvollerem Leben der Protagonistin finden hier ihre Entsprechung.
Langsam zieht sich der Film in Teilen hin und etwas süßlich ist die Entwicklung geraten. Marion Cotillard spielt überzeugend und anrührend, eine widerspenstige und traurige Figur, und man folgt ihr gerne, und doch ist sie in einer Art verhalten, so dass die Untiefen ihrer Frauenfigur nicht in all ihren vielen Facetten packen können – auch wenn ihre Bedürfnisse und ihr Bemühen um Selbstbehauptung allzu nachvollziehbar erscheinen mögen. Ein Schauer von Melancholie überzieht den gesamten Film.
Leider sind die Annäherungsversuche zwischen ihr und dem romantischem Liebhaber (gut besetzt mit dem attraktiven und leidenschaftlich Kranken Louis Garrel) auf eine Art hölzern und ihre Verbindung will nicht vollständig überzeugen – auch wenn es Momente tiefer Berührung gibt. Auch die wenigen Dialoge sind in ihrer Ausdrucksweise eher dürftig geraten. Überzeugen kann Alex Brendemühl, der dem, eigentlich warmherzigen toleranten Ehemann José unter schweigsamer Maske, auf subtile Weise Leben einhaucht und so seine eigentliche Gesinnung in rauer Schale treffend durchscheinen lässt. Die Beziehung zwischen der Hauptdarstellerin und ihrem Ehemann unterzieht sich einer interessanten Entwicklung, während die Leidens- und Liebesfähigkeit der Protagonistin und der hier zuvorkommend agierenden Männern, arg, aber tiefgreifend, strapaziert werden.
Für den Film spricht die positive Intention, das Abbilden einer gefühlsreichen und ungezähmten Frau, ihrer Leidenschaften, ihrer Wildheit und ihrer unbedingten Emanzipationsversuchen in einer traditionsverhafteten Zeit, die so für viele Frauen stehen können und die doch glaubhaft transportiert werden, leider gerät das Ganze ein wenig süßlich und in einigen Strecken verhalten und in einer Weise kratzt der Film nur an der Oberfläche. So ist das Melodram sehenswert, aber mit Einbußen – und dann stellt sich noch die Frage nach der Erfüllung – Imagination oder Realität? Poesie oder alltägliche Liebe? – die den Zuschauer ernüchtert hinterlässt und doch auch Hoffnung suggeriert, die zum weiterem Nachdenken auffordern kann – dem Wunsch nach einem leidenschaftlicheren Leben.
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Deutscher Titel: Die Frau im Mond – Erinnerungen an die Liebe
Land: Frankreich, Belgien
Jahr: 2016
Genre: Drama
Regie: Nicole Garcia
Buch: Jacques Fieschi, Nicole Garcia
Chef-Kameramann: Christophe Beaucarne
Chef-Cutter: Simon Jacquet
Schauspieler: Victor Quilichini, Inès Grunenwald, Caroline Megglé, Ange Black-Bereyziat, Sören Rochefort, Camilo Acosta Mendoza, Francisco Alfonsín, Julio Bollullo Carasco, Folco Jullien, Elian Planes, Maxime Flourac
Produzent: Alain Attal