An deutschen Expressionisten wie Max Beckmann (1884-1950), Otto Dix (1891-1969) oder Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938) kann man dies paradigmatisch verfolgen. Für Ersteren bedeuteten die Nazis Exil im Westen (Amsterdam, dann USA) und spätere Anerkennung, für Dix innere Emigration und kein Anknüpfen an die Kunstentwicklung nach 1945 und für Kirchner Asyl in der Schweiz und Selbstmord. Im Gegensatz zu Otto Dix beispielsweise konnte der 1894 geborene Herbert Boeckl in der Nachkriegszeit an seine Anfänge und seine Entwicklung bis 1945 anknüpfen und wurde einer der Gestalter der Kunstszene Österreichs der Nachkriegszeit bis zu seinem Tod 1966. Hauptgrund für eine so unterschiedliche Entwicklung ist die Einverleibung der Bundesrepublik in den westlichen Kunstmarkt, der damals antifigurativ die Abstraktion hoch hielt, während die zuerst besetzte und geteilte Lage Österreichs und dann die Neutralität nach dem Staatsvertrag 1955 eine eigenständige Kunstentwicklung in Österreich – damals – zuließ, übrigens auch in der DDR, die mit der Leipziger Schule die Figuration hochhielt. Das muß man sich so genau vor Augen führen, wenn man die Werkepochen, nach denen die Boeckl-Ausstellung gegliedert ist, durchschreitet.
Es begrüßte einen gleich rechts Martin Haberditzl, ein 58,5 x 49,5 Zentimeter großes Gemälde Boeckls von 1923, das den Direktor der Österreichischen Galerie von 1915-1938 (!) zeigt, dem er und andere so viel verdanken, wie der große Bruder Egon Schiele und sein großformatiges Porträt desselben als Erinnerung im Belvedere auch zeigen. Das ist eine schöne Geste der neuen Direktorin an den Vorgänger, die nicht nur Kuratorin dieser Ausstellung, sondern auch Enkelin des Malers ist. Das Porträt ist in schweren dicken dunklen Farben gemalt, steht man dicht davor beim Eintritt, dann sieht man nur die Pinselspuren, Flecken, Knoten, schräg laufende Linien und sehr dunkle Farben mit Weiß gehöht. Tritt man zurück, so entschlüsselt sich nach und nach ein menschliches Gesicht, eine Mann in expressionistischer Manier, will sagen, nicht nach der Natur gemalt, sondern nach den Seelenzuständen. Feuer ist in ihm, das zeigt die rotrosa Gesichtsfarbe, aber die Züge sind gelassen und er schaut ins Weite.
Auf der linken Seite beginnt es jetzt mit der ersten Periode, die vom Symbolismus zum Jugendstil heißt. Aber wir schlagen Ihnen etwas anderes vor. Vertiefen Sie sich noch nicht in die einzelnen Werke, sondern überblicken Sie sie und gehen dann die Ausstellung hindurch mit wachem Blick auf die Wände und unbehindert von Titeln und Werkepochen. Dann nämlich erhalten Sie Ihren persönlichen Eindruck vom Maler Boeckl, der in unseren Augen sozusagen kongenial ein Maler seiner Zeit ist. Wenn man beim Überblicksschauen vor sich hin sagt: Hodler, Cezanne, Schiele, Kokoschka und noch mehr, dann ist das nicht despektierlich gemeint, sondern zeigt, daß hier einer mit wachen Augen seine Zeit, seine Kunstzeit verfolgt und Einflüsse in seine Malerei einfließen läßt, die – da er weiterlernt und schaut – auch eine für ein Malerleben sehr reichhaltige Entwicklung ergeben. Selten sahen wir einen Künstler, der seine Handschrift, seinen Pinsel, seine Manier so permanent verändert hat wie Herbert Boeckl. Daß es dabei kein ’besser’ gibt, sondern nur ein ’anders’, hat damit zu tun, daß die Kunst kein teleologisches Ziel hat, sondern jeweils künstlerischer Ausdruck der Zeit bleibt.
Haben Sie dies im Blick, so schauen Sie die Bilder insofern mit anderen Augen, als sie den Zeitbezug jeweils mitsehen. Die Anfänge mit den dunklen dramatischen Landschaften, die frühen Porträts, fast unheimlich der secessionistische Bruno Grimschitz 1915, ab 1938 Nachfolger von Haberditzl als Direktor. Ja, es sind zunehmend expressionistische Gemälde, in denen Boeckls sich zu Hause fühlt und oft die Farbe so dick aufträgt, daß die Oberfläche reliefartig wirkt und ein schwarzdunkles Bild wie „Stilleben mit toter Krähe“ 1921 müßte eigentlich als Halbrelief durchgehen. Später wird seine Paillette heller, auch gefälliger, die vielen Landschaften und Porträts, die Akte und Stilleben zeigen bis 1931 ein außergewöhnlich produktives Malerleben.
Das setzt sich zwar fort, aber hinzu kommt die Beschäftigung mit Anatomie, die eine Reihe eigenwilliger und auch auf die Geschichte der Malerei bezogene Darstellungen bringt. Was uns angeht, finden wir übrigens, daß Boeckl ein begnadeter Kindermaler war. Er bringt Kinder nicht nur häufig, allein und im Familienverband, sondern gibt den Kindergesichtern schon etwas Weitsichtiges, so daß man auf einmal in einem Bild wie den „Drei Studenten“ die Züge seiner kleinen Söhne wiederfindet, obwohl beide Bilder nichts miteinander zu tun haben. 1940-1944 wagt er sich an Atlantis, einer 165 Zentimeter langen und 136 hohen Bronze, wo auf einen Arm aufgestützt, ein weiblicher Akt sich der Welt im Sitzen öffnet. Das Material ist hier Bienenwachs und das hat eine so haptische Anziehung, daß es schwerfällt, diese mythische Dame nicht ganz schnell mit den Fingern zu ertasten. Seltsam, daß Boeckl nur zweimal Skulpturen schuf. Das andere Beispiel ist ein herrlich lebendiges „Springendes Pferd“ von 1929, das witzigerweise mit leicht veränderter Beinstellung schon im „Stilleben mit springendem Pferd“ 1928 vorkommt, so daß man sich sogleich Gedanken um das Modell macht, das er dann erst später als Bronze ausfertigt.
In den Dreißigern bleibt Boeckls seinem expressiven Malauftrag treu, verändert aber die Darstellungsweise in Richtung Realismus und beginnt auch ab 1933 mit religiöser Malerei und seinem „Hymnus an Maria“ 1934, denen Christus- und Heiligenbilder folgen und sehr viel später die Fresken der Engelskapelle der Abtei Seckau sowie der Gobelin „Die Welt und der Mensch“ für die Wiener Stadthalle. Er hat einerseits seine Kunstwiedergabe mit kubistischen Elementen angereichert, andererseits nun hauptsächlich als Rektor der Akademie für Bildenden Künste die Kunstentwicklung in Österreich geformt und persönliche Schüler wie auch Maria Lassnig gefördert. So oft gehen Malerleben schief, haben mit Hunger, Not, Entbehrung, Exil und Tod zu tun. Da ist man richtig froh, daß es einer aus dem Vollen schöpfen durfte und der Mitwelt seinen Reichtum zurückgab.
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Ausstellung: bis 31. Januar 2010
Katalog: Herbert Boeckl, hrsg. von Agnes Husselin-Arco, verlag publication PN Bibliothek der Provinz, Weitra 2009
Der Katalog ist nicht nur durch die Essays und den periodisierten Lebensweg ein guter Begleiter zur Ausstellung und danach als Monographie zu nutzen, sondern hat im Anhang etwas, was jeder ersehnt, der gerade gesehene Bilder aufgreifen und sich ihrer Daten versichern will. Ab Seite 296 kommt der kontinuierlicher Tafelteil, wo die Abbildungen groß herauskommen und ab Seite 335 sind im Kleinformat die Bilder in ihrer historischen Entstehung erneut mit allen Angaben wie Titel; Provenienz, bisherige Ausstellungen und Literatur zusammengefaßt. Das gilt nicht nur den Ölbildern, sondern auch den Fresken. Skulpturen und Gobelins.
Internet: www.belvedere.at
Reiseliteratur: Felix Czeike, Wien, DuMont Kunstreiseführer, 2005
Baedecker Allianz Reiseführer Wien, o.J.
Lonely Planet. Wien. Deutsche Ausgabe 2007
Walter M. Weiss, Wien, DuMont Reisetaschenbuch, 2007
Marco Polo, Wien 2006
Marco Polo, Wien, Reise-Hörbuch
Tip: Gute Dienste leistete uns erneut das kleinen Städte-Notizbuch „Wien“ von Moleskine, das wir schon für den früheren Besuch nutzten und wo wir jetzt sofort die selbst notierten Adressen, Telefonnummern und Hinweise finden, die für uns in Wien wichtig wurden. Auch die Stadtpläne und U- und S-Bahnübersichten führen– wenn man sie benutzt – an den richtigen Ort. In der hinteren Klappe verstauen wir Kärtchen und Fahrscheine, von denen wir das letzte Mal schrieben: „ die nun nicht mehr verloren(gehen) und die wichtigsten Ereignisse hat man auch schnell aufgeschrieben, so daß das Büchelchen beides schafft: Festhalten dessen, was war und gut aufbereitete Adressen- und Übersichtsliste für den nächsten Wienaufenthalt.“ Stimmt.
Anreise: Viele Wege führen nach Wien. Wir schafften es auf die Schnelle mit Air Berlin, haben aber auch schon gute Erfahrungen mit den Nachtzügen gemacht; auch tagsüber gibt es nun häufigere und schnellere Bahnverbindungen aus der Bundesrepublik nach Wien.
Aufenthalt: Betten finden Sie überall, obwohl man glaubt, ganz Italien besuche derzeit Wien! Überall sind sie auf Italienisch zu hören, die meist sehr jungen und ungeheuer kulturinteressierten Wienbesucher. Wir kamen perfekt unter in zweien der drei Hiltons in Wien, wobei Wien Mitte auch Zentrum der Viennale, des Filmfestes ist, das ab dem 22.oktober die Stadt zur Leinwand macht. Sinnvoll ist es, sich die Wien-Karte zuzulegen mitsamt dem Kuponheft, das auch noch ein kleines Übersichtsheft über die Museen und sonstige Möglichkeiten zur Besichtigung in Wien ist, die Sie dann verbilligt wahrnehmen können. Die Touristen-Information finden Sie im 1. Bezirk, Albertinaplatz/Ecke Maysedergasse.
Mit sehr freundlicher Unterstützung von Air Berlin und den Hilton Hotels Wien.