Was also hat es mit der „Rückkehr der griechischen Götter“ auf sich. Ganz einfach. Eine Ortsbeschreibung. Denn lange Jahrzehnte waren die Schätze aus der Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin in geringem Maße auf verschiedene Museen verteilt, der überwiegende Anteil sogar in wiederum verstreuten Depots unter Verschluß. Das hat verschiedene Gründe. Schutz der Skulpturen und Friese, Vasen und Reliefs im Krieg vor Bombardierung, ihre massenhafte Entführung als Kriegsbeute in die UdSSR, wo dann vor 50 Jahren ein Großteil zurückkam: in die DDR, erneute Rückführungen aus Russland und das Verteilen der übrigen Stücke auf die BRD und DDR und das dann langsame Zusammenführen der Götterwelt – die der anderen Skulpturen natürlich auch – einschließlich der Rückgaben aus Moskau. Zeit dafür, erst einmal das Götterpersonal zu liften, also in aufwendigen Restaurierungen sie in den Zustand zu versetzend, der ihrer Schönheit und dem Glanz von Marmor und Bronze angemessen ist.
Das konnte man dieses Jahr in Berlin bestaunen, aber schon zuvor hatten die Olympier eine Weltreise unternommen und in Brasilien in Sao Paolo und in der Nähe Rio de Janeiros auch die Neue Welt ihrem Einfluß unterworfen, denn die Erhabenheit ihrer Gestalten, die selbstverständlichen Gesten ihrer imperialen Macht, die haben sie beibehalten wie seit dreitausend Jahren, seit wir griechische Göttergestalten kennen, die großen als Kolossalstatue und die kleinen als Statuetten oder noch kleinere Glücksbringer. Rund 150 Marmorskulpturen, Bronzestatuetten, Terrakotten, Vasen, Gebrauchsgegenstände und Schmuck sprechen nun von der Vielfalt und den geradezu menschlichen Verwicklungen innerhalb der Götterschar, die sich in alles mögliche verwandeln konnten und unsere Phantasie und unser Gedächtnis gehörig auf die Probe stellen, denn meist hat ein Gott verschiedene Legenden, unterschiedliche Liebespartner, sogar unterschiedliche Geburtsorte. Nur sterben mußten sie nie, nachdem Zeus als Nachgeborener die Herrschaft an sich gerissen hatte und nicht mehr aufgab. Wie es zur Vorgeschichte kam, zeigt die Gigantomachie, der Kampf der Götter gegen die Giganten, der Inhalt der Erzählung auf dem Pergamonaltar ist und von dem figürliche Originalfragmente und wie echt wirkende Gipsabgüsse in Mannheim versammelt sind.
Sehr sinnvoll ist es, daß in Mannheim erst einmal die Genealogie des griechischen Götterhimmels auf einer großen Tafel darstellt. Dort kann man die Verwandtschaftsbeziehungen wunderbar nachverfolgen, wer mit wem und was dabei herauskam. Und es ist auf jeden Fall sinnvoll, sich zuvor oder danach noch einmal den Homer vorzunehmen oder gleich die Theogonie von Hesiod, der die Göttergeburten zusammenfasste. Gleich als nächstes begrüßt auf einer schwarzfigurigen Vase von 510. v. Chr. die Götterversammlung. Die ist allerdings zusammengeschrumpft, denn sie zeigt nur den bärtigen mächtigen Zeus, ihm zur Seite seine Tochter Athena – was darauf schließen läßt, daß diese Vase athenischen Ursprungs ist, ist doch Athena dessen Schutzgöttin; beide werden flankiert von Hermes mit dem Botenstab und Dionysios. Ein großes Foto vom Olymp, dem Bergmassiv im Norden Griechenland zwischen Thessalonien und Makedonien, macht deutlich, wie im hellen klaren Licht des Südens Nebel über dem Berg geheimnisvoll gewirkt haben müssen auf Menschen, die unter der heißen Sonne die Erde bearbeiteten. Warum aber die Götterdarstellungen von Anfang an nackt waren, was die männlichen angeht, das weiß man nicht, dann wiederum nur, daß aus den durchsichtigen Gewändern der weiblichen Gottheiten, vor allem denen der Aphrodite, die absolut erotische Darstellungen sind, erst Praxiteles 350 vor Chr. die erste nackte Göttin zeigte: die Aphrodite von Knidos.
Bis heute lebt unsere Literatur, die Kunst, und vor allem die Opern, auch die allerneuesten wie gerade „Medea“ von Aribert Reimann an der Frankfurter Oper als deutsche Erstaufführung, , vom griechischen göttlichen Sagenstoff, der so ziemlich alle Lesarten menschlicher abgründiger Verhaltensweisen an den Tag legte und zu der philosophischen Reflexion führte: „Es gibt nichts Neues unter der Sonne“. Denn stellvertretend für die Menschen machten die Götter vor, zu was im Guten wie im Schlechten die Natur einen bringen kann. Die Götter waren also auch ihren eigenen, oft verderblichen Leidenschaften unterworfen, aber ihre wirkliche Macht über die Menschheit resultierte aus ihrer Fähigkeit, ihre eigenen Streitigkeiten auf dem Rücken der Menschen auszutragen, diese zum Spielball eigener Interessen zu machen, wie es der Trojanische Krieg deutlich erzählt. Der Mensch unter der Fuchtel der Götter, war natürlich gewillt, diese positiv zu stimmen, weshalb die Mannheimer Schau nicht nur die Heldenstatuen der Götter zeigt, sondern auch die vielen Weihgeschenke, die in Tempeln, auf Altären oder in Heiligen Hainen die Götter zu Wohlwollen beeinflussen sollten.
Kenner erkennen die einzelnen Götter sofort. Denn jeder hat eine ganz bestimmte Physiognomie und spezielle Attribute, die ihn ausweisen. Nur waren auch die Götterdarstellungen im Fluß. So ist es auch in Mannheim besonders spannend, zweierlei zu beobachten: wie sich die Darstellung einzelner Götter im Laufe der Geschichte wandelt, wobei sich die Geschichten, die Mythen darum mitwandeln. Aber noch interessanter ist es, ein und dengleichen Gott, der wie Zeus oder Aphrodite seine Vita beibehält, über die Jahrhunderte hinweg – hier vom 7. Jahrhundert vor bis zum 3 Jahrhundert nach Chr., also eintausend Jahre – zu beobachten, in wieweit er sein Aussehen und seine Haltung dem Schönheitsideal der jeweiligen Menschenepoche angeglichen hat. Der Ausspruch von Freud, daß der Mensch Götter brauche und sie sich selbst erschaffen, wird hier in Stein und Gips und Bronze verwirklicht und kann ein ganzes Jahr in Mannheim bewundert werden.
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Ausstellung: bis 13.6.2011
Katalog: Die Rückkehr der Götter. Berlins verborgener Olymp, hrsg. Von Dagmar Grassinger, Tiago de Oliveira Pinto, Andreas Scholl, Verlag Schnell & Steiner 2009. Dieses nicht nur vom Gewicht her dicke und schwere Werk sollten Sie auch dann erwerben, wenn Sie die Ausstellung nicht ansehen können. Denn dieses Begleitbuch bringt all die sinnlichen Zusammenhänge, die hingestellte Skulpturen nicht ausstrahlen können. Insofern ist dies auch eine Kritik an der Art der Präsentation in der Ausstellung, die dem Nichtkennen eben nicht das phantastische Innenleben dieser Götterschar vermitteln kann. Dazu hätten audiovisuelle Medien gehört und so vieles, was herkömmliche Skulpturendarstellungen nicht leisten. Diese Inszenierung vermittelt dann eher der Katalog. Dem entnimmt man auch erstaunt: „Ausstellung und Katalog wurden ursprünglich durch das Museu de Arte Brasileira”¦im Jahre 2006 erarbeitet.“
Internet: www.rem-mannheim.de, www.goetter-2010.de