Berlin/Dortmund, Deutschland (Weltexpress). Dortmunds Trainer Thomas Tuchel hatte mit seiner disziplinarischen Maßnahme, seinen besten Angreifer beim Spiel in der Champions League gegen Sporting Lissabon auf die Tribüne zu verbannen, mächtig Staub aufgewirbelt. Doch die Borussia gewann auch ohne ihren Torjäger 1:0 gegen die Portugiesen und hielt Kurs auf das Weiterkommen als Gruppen-Primus. Und Pierre-Emerick Aubameyang antwortete am letzten Samstag auf die verordnete Zwangspause mit einem Viererpack. Vier von fünf Dortmunder Treffer erzielte der Stürmerstar beim 5:2-Sieg in der Bundesliga gegen desolaten Hamburger.
Das bedeutete einen Win-win-Effekt für alle Beteiligten: Die junge und neu formierte Mannschaft, nach dem Abgang der Leistungsträger Mats Hummels, Henrikh Mkhiraryan und Ilkay Gündogan wurde die scharzgelbe Elf stark verändert, schaffte nach schwachem Saisonstart den Anschluss an das Verfolgerfeld zum Rekordmeister Bayern München und dem furiosen Aufsteiger RB Leipzig.
Die Gewinnmarge des Trainers: Seine Position unter den Spielern, im Verein und in der Öffentlichkeit ist gestärkt. Er ist nicht umgefallen und hat dokumentiert, dass in einer Zweck- und Erfolgsgemeinschaft Regeln auch für Stars gelten.
Für den (milde) Gemaßregelten dürften die Umstände der Suspendierung und seine Reaktion mit vier Treffern, womit er in der Torjäger-Hitliste zu den elf Toren bislang des Kölners Anthony Modeste aufschloss, den Bekanntheitsgrad schlagartig erhöht haben. In den sozialen Netzwerken und auf Websites war der Mann mit einem schicken Borsalino, einem eleganten Herrenhut, über den Versandhandel für rund 350 Euro zu haben, ein absoluter Renner. So war er während des Spiels gegen Lissabon auf der Zuschauer-Tribüne abgelichtet worden. Sein Outfit, so hieß es, erinnere an Mafiabosse wie Al Capone oder den französischen Krimi-Inspektor Gadget! Und war möglicherweise ein Mitbringsel aus der Modemetropole Mailand.
Tuchel, Vereinssprecher wie Mitspieler hielten sich bei der Verkündung der Suspendierung des weder kranken noch verletzten Topstürmers zunächst an die Absprache, die Gründe seien intern und sollten intern bleiben. Dann kam heraus, der Verbannte hatte sich am trainingsfreien Montag mit Freunden/Brüdern zu einem spontanen Trip nach Milano aufgemacht. Und war dann am folgenden Tag wenige Minuten zu spät zum Training erschienen.
Dies und die Tatsache, dass sich der 27-Jährige nicht vorher die Erlaubnis für seinen Blitzbesuch eingeholt hatte, führten zu der „unausweichlichen Maßnahme“. Einer Spielsperre, die Tuchel zufolge dem Suspendierten mehr schmerze als eine Geldbuße.
Der Vorgang blieb im Zeitalter von Facebook, Twitter u.a., von Millionen bedient und bei Promis aller Couleur angesagt, nicht lange intern. Zumal Smartphone-Fotos vom Ausflug im Netz auftauchten.
Vorher war noch spekuliert worden, Tuchel sei ungehalten, weil Aubameyang die Spieler-Rotation kritisiert und gegen das Handyverbot in der Kabine verstoßen habe. Und einer kalkulierten Aufsässigkeit einen vorzeitigen Weggang provozieren wolle.
Alles Schmarrn, wenn man die Umstände und Aubameyangs Reaktion betrachtet. Dortmund-Boss Joachim Watzke blieb auch gelassen: Auba sei schon ein ähnlicher extrovertierter Typ wie der portugiesische Superstar Christiano Ronaldo, der Selbstinszenierungen und das Rampenlicht genieße.
Der 43-jährige Tuchel, den manche schon jetzt für den derzeit besten deutschen Trainer in der Bundesliga halten, muss die „Maßnahme“ seinem Schützling überzeugend vermittelt haben. „Wir haben ein so großes Vertrauensverhältnis, das auch bestehen bleibt“, hatte er vor der 4-Tore-Gala seines Angreifers betont. Das bestätigte sich, als der Schütze nach dem ersten Tor an den Rand in Tuchels Arme stürzte. Gleiches passierte noch inniger bei der Auswechslung ehrenhalber kurz vor dem Schlusspfiff – ergänzt durch Wortwechsel und fröhlichem Lachen.
Er habe sich beim Trainer entschuldigt, so der Gabuner. Während jener – erleichtert und höchstzufrieden – den Torgaranten in den höchsten Tönen lobte.
Dass Tuchel diesmal so souverän – vormals mitunter bei anderen Situationen dünnhäutig reagierend – auftrat, zeigt seine Entwicklung hin in die Trainer-Galerie der absolut Besten. Unkluger Umgang mit eigenwilligen Stars kann selbst für Top-Fußball-Lehrer (siehe „The Special One“ Jose Mourinho oder den „General“ Louis van Gaal) zur Stolpergefahr werden.
Allerdings darf berücksichtigt werden, dass Pardiesvogel Aubameyang („Der Paradiesvogel ist mal kurz nach Mailand abgezwitschert.“) in punkto Exzentrik weit unter den diesbezüglichen Sphären des Schweden Zlatan Ibrahimovic oder eines Christiano Ronaldo bleibt.
Im Kontext des Party-Ausflugs wurde das „Sündenregister“ des Gabuners, in Frankreich geboren, zugleich auch mit einem französischen und spanischen Pass ausgestattet, aufgelistet: Zweimal nach überhöhter Geschwindigkeit geblitzt, einmal den goldfarben lackierten Lamborghini auf einem Behindertenplatz falsch geparkt, Torjubel mit Kollegen als Spider- oder Batman kreiert, Friseurvisiten in Paris … alles kleine Fische gegenüber dem, was sich andere Idole des Fußball-Universums leisteten.
Fußballerisch ist er bereits als 13-Jähriger in der Nachwuchsschmiede des AC Mailand ausgebildet worden. Pendelte dann als Profi zwischen Italien und Frankreich und wurde 2013 als frischgebackener Torschützenkönig der französischen Liga von den Dortmundern verpflichtet. Brauchte einige Zeit, sich an höhere Anforderungen in der Bundesliga zu gewöhnen. Und brauchte zu viele Gelegenheiten, um aus Chancen Tore zu machen. Ist trotz 1,88 m Körperhöhe rasant im Antritt, pfeilschnell, beidfüßig beim Abschluss sowie jederzeit für Kopfballtreffer gut, kann in der Mitte, links wie rechts stürmen und hat auch den Blick für besser postierte Mitspieler – mithin ein Stürmer mit dem kompletten Repertoire eines Weltklasse-Angreifers. Vergleichbar mit Bayerns Ausnahmekönner und Tore-Lieferanten Robert Lewandowski.
Unterstreicht eine kulturelle Bodenständigkeit mit rund 50 Länderspielen für sein Herkunftsland Gabun.
Aubemeygangs aufgeflogene Spritztour ist kein Einzelfall bei der Vorliebe von Fußball-Millionären für extravagante Freizeitaktivitäten. Normalos bei Löhnen und Gehältern würde wohl kaum passieren, wie Nationalspieler Max Kruse, der beim Besuch eines Pokerturniers in Berlin mal 75 00 Euro in einem Taxi vergaß. Die Anzeige im Oktober 2015 blieb erfolglos. Kruse wurde vom VfL Wolfsburg zu einer Strafe von 25 000 Euro verdonnert. Später wurde er in Wolfsburg und der Nationalmannschaft ausgemustert. Kruse hatte den Rücken frei und glich einen Teil des Verlustes während der Fußball-WM 2016 in Frankreich in der Zockermetropole Las Vegas beim Pokern aus.
Oder Nationalspieler Marco Reus. Bewegte jahrelang ohne gültigen Führerschein u.a. einen Aston Martin in Dortmund und Umgebung. Erst nach der sechsten Kontrolle fiel auf, dass seine holländische Fahrerlaubnis gefälscht war. Satte 540 000 Bußgeld waren die Strafe. Seit August kann er einen echten Führerschein vorweisen.
Dies und andere Beispiele sind Belege, dass Fußballstars oft in einer abgehobenen Parallelwelt leben. In einer Komfortzone, in der überall Helfer und Berater zur Seite stehen. Für Medien, Wohnungen, Immobilien, Finanzen, Autos, Sponsoren- und Spielerverträge, Arztbesuche und so weiter. Kein Wunder, dass manche Spieler das Gespür für die Realitäten, für das, was die Öffentlichkeit als Tun goutiert oder verurteilt, verliert.
Ein Grund ist in der alten Volksweisheit zu suchen: Geld verdirbt die Welt! Und zu viel Geld führt Bruder Leichtfuß oft auf Irrwege!
Im Jahr 2000 mokierte sich die Fußball-Welt über den Transfer-Größenwahn, dass Luis Figo mit der Rekordsumme von 60 Millionen Euro den eigentlich verbotenen Wechsel vom FC Barcelona zum Erzrivalen Real Madrid riskierte. Heuer ist der Franzose Paul Pogba von Juventus Turin mit der Rekordsumme von 105 Millionen Euro plus 5 Millionen Boni zu Manchester United wechselte.
Ronaldo hat bei Real gerade seinen Vertrag bis 2021 verlängert. Bei rund 20 Millionen Euro per anno, ob brutto oder netto ist unbekannt.
Beim gebürtigen Greifswalder Toni Kroos, Schaltzentrale des deutschen Mittelfeldes in der WM-Mannschaft von 2014, hat Real für sechs Jahre das Gehalt auf 20 Millionen brutto jährlich angehoben. Damit wäre er der derzeit bestbezahlte Kicker aus deutschen Landen. Dazu kommen jeweils bei allen Topspielern Sponsoreneinnahmen, beispielsweise vom Schuhausrüster.
Dass sich bei diesen Gehälter- und Transfer-Ausuferungen ein Einwander-Nachkomme aus Afrika dann mal einen Shopping-Kurzurlaub für rund 10 000 Euro mit einem Privatjet plus paar Hunderter Tagesausgaben gönnt, verdient also nicht unbedingt Strafen biblischen Ausmaßes.
Dortmund hatte 2013 für Aubameyang offiziell eine Ablöse von 13 Millionen Euro an AS St. Etienne überwiesen – heute soll sein Marktwert etwa 45 Millionen betragen. Sei aktuelles Jahresgehalt wird mir mit ca. 7,5 Millionen angegeben.
Damit liegt er deutlich unter den Gagen von Kroos (Markwert 60 Millionen) oder Pogba (MW 80 Millionen), dürfte also mit seinen Torjäger-Qualitäten und dem Hang zum Populär-Entertainer für seinen „Traumverein“ Real Madrid oder für die Scheich-Millionarios in Manchester zunehmend in den Fokus rücken.
Dass der Umworbene und auch die Borussia dem Lockruf des Geldes – der Vertrag läuft bis 2020 – letztlich nicht Stand halten dürften oder nicht können, haben die Abgänge der Vergangenheit von Lewandowski bis Gündogan unterstrichen.