Peter Weinhäupl ist Gestalter und Organisator vieler Ausstellungen: Olbrich, Moser, Walde, Auchenthaller, …etc., war Kurator von "Wien 1900", ist sowieso ein Jugendstilexperte und verbindet gerne Kunst mit Geschichte. Urlaub macht er auch, hin und wieder, bevorzugt am Attersee, seiner Heimat, wo er den Klimt-Themenweg mit 23 Stationen organisiert und installiert hat. Denn der Schiele-Freund und -mentor Gustav Klimt verbrachte seine Sommer von 1900 bis 1916 mit Emilie Flöge am Attersee, viele seiner Gemälde vom Attersee kann man auch im Belvedere sehen. Peter Weinhäupl hat noch was. Er besitzt eine der spektakulärsten Industrieruinen Österreichs: siehe www.kohlgrube.at.
Das Gespräch führte Weltexpress-Kunstexpertin Claudia Schulmerich am 19.08. 2010.
WELTEXPRESS: Herr Peter Weinhäupl, wer ist Wally?
Wally Neuzil, 1894-1917, also sehr jung verstorben, war das Modell und die Geliebte des ebenfalls jungen und jung verstorbenen Egon Schiele, 1890-1918. Eigentlich hieß sie Walburga und bei Geburt noch Pfneisl, weil der Vater die Mutter erst ein Jahr später heiratete und die Tochter anerkannte. Ab 1906 scheint Thekla Neuzil, die Mutter, mit der Berufsbezeichnung „Schulleiterswitwe“ im Wiener Adressbuch auf (1926-1929: „Hauswart“, 1930-1933: „Pensionistin“). Sie wechselte häufig die Wohnung und blieb dabei in den Vorstädten, also in den Wohngebieten der „kleinen Leute“. Bis 1913 war Wally – lt. Melderegister – bei ihrer Mutter wohnhaft.
1911 oder Anfang 1912 lernte sie den um vier Jahre älteren Egon Schiele in Wien kennen. Sie war „Liebling“, Muse und Modell. Ihre „wilde Ehe“ mit ihm wird als einer der Gründe gesehen, weswegen die beiden Krumau, den Geburtsort von Schieles Mutter, wohin sie sich zurückziehen wollten, nach kurzer Zeit wieder verlassen mussten. Wally unterstützte Schiele selbstlos, als er im April 1912 in Neulengbach wegen seiner Zeichnungen und des Vorwurfs des Mißbrauchs von Minderjährigen verhaftet wurde und drei Wochen in Haft war. Sie besuchte ihn im Gefängnis, brachte ihm Malsachen und einmal eine Orange („Die eine Orange war das einzige Licht“).
Einem Gerücht zufolge war Wally Neuzil Modell von Gustav Klimt, bevor sie in Kontakt mit Schiele kam. Es ist nicht eindeutig geklärt, ob Wally Neuzil Modell für das 1916 von Gustav Klimt gemalte „Portrait Wally“ war. Immerhin war sie in der Nähe von Klimts Atelier in der Feldmühlgasse im XIII. Bezirk wohnhaft. Auf den Meldezetteln von Wally Neuzil erscheinen verschiedene Berufsbezeichnung: Private, Verkäuferin, Kassierin, Probierfräulein und „Kunstgewerbe“.
1915 entschloss sich Egon Schiele, Edith Harms zu heiraten und Wally zu verlassen. Er soll ihr bei einer letzten Aussprache in einem Café in Hietzing noch den Vorschlag gemacht haben, wenigstens einmal im Jahr einen gemeinsamen Urlaub zu machen. Weder für Wally noch für Edith war dies akzeptabel. Später (14. Nov. 1916) schrieb Egon Schiele an seine Frau Edith: Gib auf der Straße acht auf Wally. Nichts ist unmöglich. Ihr Bildnis „Wally“ malte er zusammen mit seinem eigenen Porträt im Jahr 1912.
WELTEXPRESS: Morgen, am 20, August 2010, wird die Wally zurück in Wien erwartet. Auf ihre Geschichte, wie sie auf Abwege in der Neuen Welt geriet, gehen wir noch ein. Erst einmal die Frage: Wie geht es mit ihr weiter, wie wird Wien sie empfangen und was hat das Museum auf Dauer mit ihr vor?
Heute, am 19. August, hat Wally ja auch noch Geburtstag. Sie wird also an ihrem Geburtstag in New York die Reise antreten und mit dem Flug OS088 der Lufthansa-Tochter Austrian planmäßig am Flughafen Vienna International (Schwechat) einlangen. Begleitet wird sie von zwei Mitarbeitern des Museums, dem Restaurator Manfred Siems und der Registarin Nicola Mayr. Im Flugzeug ist außerdem ein amerikanisches Filmteam, das einen Dokumentarfilm über den Fall Wally dreht.
Das Bild wird dann vom Zoll abgefertigt und von einer Kunstspedition unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen ins Depot des Museums gebracht. Normalerweise müssen sich Kunstwerke ein paar Stunden ans Klima gewöhnen, bevor sie ausgepackt werden können. Das "Bildnis Wally" und sein Gegenstück, Schieles "Selbstporträt mit Lampionfrüchten" bekommen auch neue Rahmen.
Ab Montag, 23. August ist "Wally" dann im Leopold Museum zu sehen. Wir werden am Montag das Museum bis 20 Uhr offen haben und das zum halben Eintrittspreis!
WELTEXPRESS: Also zur Geschichte: Ich konnte die Wally zusammen mit ihrem Pendant, dem Selbstbildnis von Egon Schiele noch in der großen Ausstellung im Wiener Kunstforum in den Neunziger Jahren bewundern, wo beide als Leihgabe von Rudolf Leopold hingen und gerade mit diesen beiden Bildern geworben wurde: Plakate, Taschen, alles war voller Egons und Wallys. Was ist danach passiert?
Wally war ab Oktober 1997 als Leihgabe der Leopold Museum Privatstiftung in der Ausstellung „Egon Schiele – The Leopold Collection“ im New Yorker MoMA. Nach Ende der Ausstellung wurde sie dort –zusammen mit dem Schiele-Gemälde „Tote Stadt III“ von einem Bezirksstaatsanwalt als mögliches „Diebsgut“ beschlagnahmt, was mit der Provenienz als jüdischer Besitz, der damals vielleicht nicht ordnungsgemäß verkauft wurde, zusammenhängt. Dieses Verfahren vor dem New Yorker Gericht war dann im September 1999 abgeschlossen. Während die „Tote Stadt III“ nach Wien zurückkehrte, wurde das „Bildnis Wally“ dann von der U.S. Bundesstaatsanwaltschaft beschlagnahmt und nach dem „National Stolen Property Act“ angeklagt. Es folgte ein zermürbendes, jahrelanges Verfahren der Beweiserhebung (discovery).
WELTEXPRESS: Wem gehörte nun die Wally?
Etwa ab Mitte der 1920er Jahre gehörte das Bild der jüdischen Kunsthändlerin Lea Bondi (später Bondi Jaray) in Wien. Nach dem Einmarsch der Deutschen Truppen in Wien 1938 (dem sog. „Anschluss“) verkaufte sie ihre Galerie dem Salzburger Kunsthändler Friedrich Welz und ging nach London, wo sie bis 1969 lebte. Bei dieser Gelegenheit hat sie Welz offensichtlich dazu gedrängt, ihm auch das Bildnis Wally zu übergeben. Welz – der übrigens Mitglied der NSDAP war – hat das Bild dann der Salzburger Landesgalerie übertragen. 1945 wird das „Bildnis Wally“ von den amerikanischen Truppen in Salzburg sichergestellt. Danach wird das Bild – mit Hilfe des Wiener Bundesdenkmalamts – an die Erben eines anderen jüdischen Sammlers, Dr. Heinrich Rieger, restituiert. Die Erben Riegers verkauften es 1950 an die Österreichische Galerie Belvedere. 1954 hat es Rudolf Leopold im Tausch vom Belvedere erworben und bei Gründung der Leopold Museum Privatstiftung 1994 in diese eingebracht. Kritisch wird von den Klägern gesehen, dass Lea Bondi Jaray 1953 Rudolf Leopold von ihrem angeblichen Anspruch erzählt hat.
WELTEXPRESS: Die Beschlagnahmung war vor zwölf Jahren. Was ist seither passiert? Was haben Sie unternommen und woran scheiterte eine Rückkehr der Wally in die Sammlung bisher?
Die Rückkehr des Bildes scheiterte letztlich an der Entscheidung der Amerikaner, dass das Gemälde ein unentbehrliches Beweisstück wäre und an der Dauer der gerichtlichen Auseinandersetzung, denn natürlich haben wir geklagt und dann einen „Kompromiss“ erkauft. Es ist ein Akt der bisher keine Parallele hat, dass ein Kunstwerk für über 10 Jahre der Öffentlichkeit vorenthalten wird.
WELTEXPRESS: Und was passierte in Amerika am 20. Juli 2010, die als „Einigung“ durch die Presse ging?
Das Leopold Museum hat Anfang 2010 begonnen, über eine vergleichsweise Beendigung des Rechtsstreits zu verhandeln. Das war auch Prof. Leopold sehr wichtig, der noch davon wusste, dass es eine Einigung geben wird und Wally nach Wien und in die Sammlung zurückkommt.
WELTEXPRESS: Was ist der Inhalt der Vereinbarung, soweit sie die Öffentlichkeit erfahren kann?
Das Leopold Museum bezahlt an die Erben nach Lea Bondi den Betrag von 19 Millionen US.$ (14,8 Mio. €). Dafür verzichten sie auf alle Ansprüche. Die Vereinigten Staaten von Amerika verpflichten sich, die Klage abzuweisen. Das Museum finanziert den Betrag mit einem Zwischenkredit bei Raiffeisen Landesbank Wien/Niederösterreich. Als Sicherstellung dafür wurden fünf Gouachen von Egon Schiele verpfändet. Dass der Streit um Wally in Wien höchste Priorität hat, ist klar.
WELTEXPRESS: Aber welchen Stellenwert nimmt die Auseinandersetzung in den USA ein?
Das ist von hier schwer zu beurteilen. Es dürfte aber klar sein, dass der „Fall Wally“ nicht als taugliches Muster für die Lösung von solchen Streitfragen dienen dürfte.
WELTEXPRESS: Warum sind Sie nach New York geflogen?
Um das Bild zu übernehmen. Wie Sie wissen, wurde es drei Wochen im „Museum for Jewish Heritage“ in New York ausgestellt und es war eine Ehre, als Leihgeber dort zu sein.
WELTEXPRESS: Wann kann das Bild im Museum Leopold wieder von allen Besuchern besichtigt werden? Was haben Sie für die Zukunft mit ihr vor?
Das Bild wird ab Montag, 23. August hier im Museum dauerhaft zu sehen sein. Wir bereiten eine Sonderpräsentation vor, mit der wir an das Schicksal der Person Wally Neuzil und an die bewegte Geschichte des Bildes erinnern werden.
Verständlich, dass auch uns berührt, dass der Zeitpunkt des Streitendes und der Rückkehr der Wally nach Wien so unmittelbar nach dem überraschenden Tod des Gründers der Sammlung, Rudolf Leopold, erfolgt, zu dem wir Ihnen, dem Museum und der Familie unser aufrichtiges Beileid aussprechen. Wir haben mehrfach erleben dürfen, wie Rudolf Leopold seine Bilder liebte, wie er mit glänzenden Augen uns von Schönheiten oder Neuigkeiten berichtete. Wieviel hatte er von der Einigung noch mitbekommen oder sicher zutreffender: welchen Anteil hat er an der Rückkehr?
Prof. Leopold war an den Verhandlungen beteiligt und hat den Vergleich mit Energie angestrebt. Er hat auch selbst festgelegt, welche Werke notfalls aus der Stiftung ausgeschieden und verkauft werden, um den Vergleich zu finanzieren.
WELTEXPRESS: Wie geht es nun mit dem Museum insgesamt weiter?
Das Leopold Museum bleibt als Privatstiftung bestehen. Es sind keine großen Änderungen zu erwarten. Lediglich die Zahl der Stiftungsräte hat sich nun von acht auf sieben verkleinert. Im Herbst wird die Position des „Museologischen Direktors“ ausgeschrieben werden.
WELTEXPRESS: Peter Weinhäupl, vielen Dank für das Gespräch und viel Glück mit Wally!