„Ich habe ganz bewusst an Silvios Stelle diesmal Adam Nemec neben Simon Terodde gestellt“, erklärt Neuhaus nach dem Spiel. Die Cottbusser seien sehr gefährlich im Konterspiel. Deshalb wollte der Union-Trainer es nicht riskieren, den spielerisch veranlagten Brasilianer im Angriff einzusetzen, sondern wollte mit langen Pässen auf die kopfballstarken Nemec und Terodde zum Erfolg kommen. Der Erfolg gibt ihm Recht.
So mancher im wieder ausverkauften Stadion An der Alten Försterei denkt vor dem Spiel gewiss, das wird eine enge Kiste gegen die noch ungeschlagenen Gäste. Aber vielleicht ist es gerade diese Selbstsicherheit der Cottbusser, die an diesem Tag ein klein wenig den letzten Wille zum Sieg hemmt. Die etwa 2000 mitgereisten Cottbusser Fans fordern bereits vor dem Anpfiff lautstark den Auswärtssieg. Dagegen lassen die Ultras auf der Gegenseite rote und weiße Papierschlangen ins Stadion fliegen. Die Eisern-Union-Rufe brechen an den Bäumen der Wuhlheide und hallen vom Rohbau der künftigen Haupttribüne über den grünen Rasen.
Nach etwa einer Viertelstunde Geplänkel tauchen die rot-weiß gewandeten Union-Spieler immer heftiger vor dem Tor von Thorsten Kirschbaum auf. Teroddes Schuss geht knapp vorbei, und Christopher Quiring scheitert an Kirschbaum. Kurz darauf bremst Uwe Möhrle den schnellen Mann mit der Nummer zwei gerade noch so aus. Auch Schüsse von Torsten Mattuschka und Markus Karl finden nicht ihr Ziel. Im Publikum wird die Stimmung immer besser. Bier und Brezel erinnern an Oktoberfeststimmung hier im tiefen Preußen.
Die Stimmung schlägt höchste Amplituden als in der 34. Minute Mattuschka den Ball sanft in den Strafraum der Gäste serviert und den Kopf von Terodde findet. Kirschbaum sieht dabei nicht ganz so elegant aus. Während er noch traurig registriert, wie die Kugel im Netz zappelt, dreht der Torschütze bereits zum Jubellauf ab.
Bis zur Pause passiert nicht mehr viel, wenn man davon absieht, dass der zurzeit beste Ligaschütze Boubacar Sanogo sich zum ersten Mal der eisernen Deckung entziehen kann und kreuzgefährlich vor das Tor von Daniel Haas flankt. Der kann den Ball nur mit Mühe zu Mitte ablenken ihn aber im Nachfassen knapp vor dem einschussbereiten Daniel Adlung sichern.
Nach der Pause dann stürmen die Gäste mit Elan aus der Kabine, und bereits nach fünf Minuten gelingt ihnen eine herrliche Kombination über Dennis Sörensen die Adlung mit einem überlegten Schuss ins rechte Toreck abschließt. Nun sind es die Lausitzer Fans, die jubeln. Allerdings nur für fünf Minuten. Erst scheitert noch Nemec frei vor Kirschbaum, dann aber funktioniert die Taktik von Neuhaus: Ein weiter Ball aus der Abwehr findet Terodde. Der leitet ihn weiter auf den durchstartenden Quiring. Der schnelle Unioner läuft noch ein paar Schritte auf den heraus stürzenden Kirschbaum zu und hebt den Ball lässig über den Torhüter ins Netz. Die Alten Försterei scheint zu explodieren. Jetzt ist der Geist aus der Flasche.
Auf der Gästetribüne steht schwankend ein Mann mit zwei Bechern Bier in der Hand. Mit der rechten versucht er Bier in seinen Hals zu füllen. Indes der Gerstensaft läuft ihm über Brust und Bauch. Das erinnert mich an den Spruch: Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich kotzen möchte.
Im Gegensatz zu diesem Spielbegleiter lassen sich die Männer von Energie-Trainer Rudi Bommer auf dem Rasen nicht lumpen. Das Spiel wogt hin und her. Haas muss einen Flatterball von Nikolas Farina prallen lassen, Stuff haut ihn dafür weg. Dann wieder ist es Mattuschka, der auf der anderen Seite knapp am langen Torpfosten vorbeizieht. In der 70. Minute bricht Sanogo durch. Fabian Schönheim kann nur noch von hinten stören. Das gelingt nicht sauber. Der Stürmer fällt wie eine ein Baum. Der Schiedsrichter zeigt Rot und auf den Punkt. Sanogo steht wieder und schnappt sich den Ball. Mattuschka schleicht an Haas ran und flüstert ihm ins Ohr: „Der schießt meist nach links unten.“ Jedenfalls verrät dies der Torhüter später. Guter Tipp. Sanogo schießt – links unten und Haas lenkt das Spielgerät neben das Tor.
Das wäre der Knackpunkt der Partie gewesen, beteuert nach dem Sieg Uwe Neuhaus. Die Hausherren, nun zwar einer weniger, lassen sich nicht beirren und spielen wie gewohnt weiter. Allerding ohne Terodde. Für den Stürmer wechselt der Trainer Maurice Trapp ein, der den des Feldes verwiesenen Schönheim nun ersetzen soll.
Zwei Minuten später ist alles wieder ausgeglichen. Nicht der Torstand, sondern die Spielerzahl. In Höhe der Ersatzbank der Cottbusser zeigt der Fahnenmann an der Seitenlinie Einwurf für Union an. Das gefällt dem Cottbusser Adlung aus irgendeinem Grunde nicht. Er geht auf den Schiedsrichter-Assistenten zu und sagt ihm was. Der ruft Aytekin herbei, der sofort Rot zückt. „Ich weiß nicht was Adlung gesagt hat“, meint nach dem Spiel Christian Beeck, Energies Sportdirektor, „aber es scheint dem Schiedsrichter nicht gefallen zu haben.“
Das war vielleicht der zweite Knackpunkt im Spiel der Gäste. Aber wer sich wegen eines Einwurfs in der eigenen Hälfte so aufregt, dem kann ein Denkzettel vielleicht ganz gut tun. Den Unionern konnte das nur Recht sein. Während Bommer zwei neue Stürmer bringt, setzt Neuhaus auf Sicherheit. Für Nemec kommt Daniel Göhlert. Dann ist es auch für Silvio so weit. Der ausgepumpte Quiring geht dafür raus. Silvio kann den Ball behaupten – und hat große Übersicht. Cottbus versucht nun alles. Aber Silvio bekommt den Ball, sieht Björn Jopek starten und bedient ihn maßgerecht. Der lässt Kirschbaum mit einer leichten Körpertäuschung ins Leere gehen und schiebt zur endgültigen Entscheidung ein.
Was nun folgt ist ein Tanz nach Balltreter-Art zum Gesang tausender heiserer Kehlen. Die Reporter hören dann noch solche Sätze wie von Bommer: „Wir wollten nach dem Ausgleich Union überrennen.“ Beeck: „Wir waren zu gierig. Und liefen so in Unions Konter.“ Oder der von den Fans als Matchwinner gefeierte Haas: „Die Mannschaft ist der Sieger.“ Ein Mann im Publikum weiß schon als das 2:1 fiel: „Die wollen heute nichts anderes als gewinnen.“ Auch Uwe Neuhaus meint: „Wir haben uns dann in das Spiel hinein gebissen.“ Das ist es: Der letzte Biss ist entscheidend.
Als ich mich dem Bahnhof Wuhlheide nähere, verschwindet Silvio in meinem Rückspiegel zwischen den Bäumen. Ob es eigentlich schon Pilze gibt im Wald, frage ich mich.