Der Werbetext fasst Sharons (Beyoncé Knowles) Leben präzise zusammen. Den “perfekten Ehemann” Derek (Idris Elba), einen erfolgreichen Geschäftsmann. Das “perfekte Haus”, ein schickes Anwesen und das “perfekte Kind”. Ja, unvollkommene Babies sind ein Gräuel. Aber Idealmenschen wie Derek und Sharon haben einen süßen Bilderbuchwonnepropen. Alles könnte so schön sein, hätte Derek nur Shakespeare gelesen. So aber kennt er Regisseur Steven Shills Einleitungszitat nicht und zeigt seiner neue Sekretärin Lisa (Ali Larter) trotz deren offensiver Annährungsversuche die kalte Schulter. Fatal. Die hübsche Blondine ist titelgebend “besessen” von ihrem Vorgesetzten. Damit wäre man in dem ersten der zwei Teile, in welche “Obsessed “ zerfällt. Um diesen zu verstehen, muss man etwas ausholen, bis in die frühen Achtziger. Spätestens in dieser Dekade bekamen die Männer in Amerika Angst. Berufstätige Frauen waren nach dem Zweiten Weltkrieg nicht zurück an den Herd gekehrt, sondern setzten sich in der Berufswelt fest. Die sexuelle Freiheit der Hippieära gaben sie nicht auf. Beides vereinte sich zu einer neuen männermordenden Spezies: der erotischen Karrierefrau.
Sie saß zumindest auf amerikanischen Kinoleinwänden nicht daheim, sondern im Chefsessel. Ihre männlichen Angestellten – nein, nicht Vorgesetzten, soweit war es gekommen – verfolgte sie mit sexueller Unersättlichkeit. Sigourney Weaver schmiedete noch vom Krankenbett aus in “Die Waffen der Frauen” Intrigen, Glenn Close verfolgte „ihn“ nach Büroschluss in “Fatal Attraction”. In “Enthüllung” zog Michael Douglas gegen seine zudringliche Vorgesetzte vor Gericht. Verängstigt windet sich der breitschultrige Derek, als Lisa ihn bei der Betriebsfeier anmacht oder sich ihm verführerisch in seinem Auto an den Hals wirft. Die heiße Sekretärin will Bürosex? Der Alptraum jedes Mannes! Ob die absurde Annahme von Drehbuchautor David Loughery oder Beyoncé Knowles stammt, bleibt im Dunkeln. Dabei inszeniert “Obsessed” Lisa von Anfang an als sexuelle Bedrohung.
Erschreckender als die selbstbewusste Schöne ist der ungenierte Sexismus des Psychokrimis. Bei der ersten Begegnung Dereks und Lisas im Aufzug schielt er auf ihre Beine, später beobachtet er mit seinem Kollegen, wie sie ihren Schuh richtet. Die sexistischen Kommentare der beiden Männer über Lisa erscheinen als beiläufige Scherze. Gleichzeitig wird Lisa als sexuell aggressiv konnotiert. Kehrte man die Geschlechterrollen um, würde eine Chefin von einem liebeskranken Angestellten verfolgt, wäre die Handlung nicht einmal für eine Komödie brisant genug. So aber reicht sie zum Thrillerstoff. Lisas keusches Zurechtrücken ihres Rockes wird als Flirtmanöver gewertet. Die Männer glotzen, die Schuldige ist die Frau, welche die Blicke provoziert. Dabei ist Lisa weder unpassend noch aufreizend gekleidet. Sie sieht einfach gut aus, doch dies nicht zu verbergen, interpretiert “Obsessed” als Grenzüberschreitung. Letzter macht sich Lisa auf mehreren Ebenen schuldig. Als Untergeordnete macht sie ihren Vorgesetzten an und als Frau wird sie aktiv, statt passiv zu bleiben. Außerdem ist Lisa weiß, Derek und Sharon hingegen schwarz. Gemischte Paare sind den Machern so suspekt wie Schwule. Dereks homosexueller Assistent wird zeitweise zum Verbündeten Lisas in ihren Nachforschungen über Derek und verrät, dass er auch auf den schönen Chef steht. Mann ist im Büro doppelt bedroht! Berufliche Fähigkeit ist bei Frauen ein Alarmzeichen: “Are You always this efficient?”, fragt Derek Lisa angesichts ihrer Sekretärinnenarbeit. Dass Sharon ihren Studienabschluss nachholen will, passt Derek nicht. Sie sei doch Mutter, erinnert er sie. Normale Frauen sind in “Obsessed” inkompetent, wie die Polizeiangestellte, welche später gegen Lisa ermittelt. Das ist nötig, nachdem sich Lisas Annährungen zur Verfolgungsobsession ausweiten.
Nun beginnt die zweite Hälfte des müden Krimis, ein Damenkrieg zwischen Lisa und Sharon. Hier holt Beyoncé Knowles an Leinwandzeit nach, was sie bisher versäumte: “Obsessed” von ihrer Schauspielkarriere. Als Sharon lehrt sie Lisa, dass der Zorn einer eifersüchtigen Frau den einer verschmähten übertrifft. Noch gewaltiger ist der Zorn nach Shills sexistischem Machwerk. Den dürften angesichts des spannungslosen Thrillers nicht nur Frauen empfinden.
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Titel: Obsessed
Genre: Thriller
Land/Jahr: USA 2009
Kinosstart: 11. Juni 2009
Regie: Steve Shill
Drehbuch: David Loughery
Darsteller: Idris Elba, Ali Larter, Beyoncé Knowles, Bruce McGill, Jerry O ´Connell
Verleih: Sony Pictures
Laufzeit: 108 Minuten
FSK: Ab 12