Berlin, Deutschland (Weltexpress). Am 18. Mai 1990 wurde zwischen der DDR und der BRD in einem Staatsvertrag beschlossen, am 1. Juli 1990 eine Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zu bilden. Der allgemein dafür verwandte Begriff Währungsunion griff jedoch zu kurz. Die DDR verlor nicht nur ihre Währungshoheit, sondern ebenso ihre Geschäftsfähigkeit über die Wirtschaft einschließlich ihres Außenhandels und aller damit zusammenhängenden Verwaltungsfragen. So übernahm die Treuhandanstalt 7.894 Volkseigene Betriebe mit vier Millionen Beschäftigten, etwa 40 Prozent aller Arbeitskräfte, sowie eine mehr als die Hälfte der DDR umfassende Grundfläche. Dazu gehörten auch Kraftwerke und Bergbauunternehmen, ausgedehnte Ländereien mit land- und forstwirtschaftlichen Betrieben sowie Hotels und Gaststätten bis hin zu Zirkusbetrieben. Praktisch war die Treuhandanstalt damit für den Großteil der DDR-Wirtschaft zuständig. Es war faktisch der wirtschaftlich und währungspolitisch vorweggenommene staatliche Anschluss an die BRD. Der Staatsvertrag legte fest, dass die DM am 1. Juli Zahlungsmittel in der DDR wurde. Nach einem gestaffelten Umtauschkurs wurden den DDR-Bürgern ab 60 Jahre bis zu 6.000, Erwachsenen darunter bis zu 4.000 und Kindern bis 14 Jahren bis zu 2.000 DDR-Mark 1:1 in DM umgetauscht. Darüber liegende Sparguthaben wurden 2:1 abgewertet. Das bedeutete, dass die Regierung der BRD den „Brüdern und Schwestern“, wie die DDR-Bürger immer genannt worden waren, mehrheitlich die Hälfte ihrer Ersparnisse raubte.
Das Bekanntwerden dieser im Staatsvertrag beschlossenen Maßnahmen führte bereits im Vorfeld seines Inkrafttretens in der PDS zu kritischen Auseinandersetzungen darüber, dass die Führung dem zu wenig oder auch keinen Widerstand entgegengesetzt hatte und zwang Gregor Gysi auf der Sitzung des Parteivorstandes Mitte Juni, sich dazu zu äußern. Hier einige Gesichtspunkte des widersprüchlichen Mischmasch von einigen Eingeständnissen, des Relativierens einiger unmittelbar nach der „Wende“ verkündeter Alternativen und in der Substanz an ihrem Festhalten. So versuchte Gysi selbst jetzt Ursachen dieses mit der Währungsunion zu erwartenden Überstülpens des kapitalistischen Systems auf die DDR zu beziehen, in der kein Sozialismus, noch nicht einmal deformierter geherrscht habe, sondern einfach nur „Nichtkapitalismus“. Er musste nun zugeben, dass jetzt „Kapitalismus pur“ komme, beharrte gleichzeitig darauf, dass, um aus den Fehlern der DDR zu lernen, „wir einen guten Schuss bürgerlichen Parlamentarismus gebrauchen“ und eine effizientere Wirtschaft und „marktwirtschaftliche Elemente“. Er erneuerte das Angebot an die SPD, unter „sozialistischen Vorzeichen“ könne „ein Zusammengehen mit der SPD natürlich ausgesprochen positive Elemente haben“. Zu diesen zählte er ausdrücklich ihren Hang zur „Effizienz der Wirtschaft, ihren Hang zur Demokratie“. Dann beschwichtigend an die Kritiker, einen „Frieden mit dem Kapital“, wie ihn die Sozialdemokratie (das bezog sich auf die Geschichte) gemacht habe, werde die PDS nicht machen. Aber, so entschuldigte er, auch in der DDR sei ja „der erste Versuch einer nicht kapitalistischen Gesellschaft gescheitert, um im nächsten Satz zu loben, dass „der Kapitalismus funktioniert (der Nichtkapitalismus in der DDR eben nicht), dieser „Effizienz“ und eine „relative Demokratiefähigkeit entwickelt“ habe“. Einen Gipfel der Demagogie erklomm er in seiner Rede, über die das „ND“ auf einer ganzen Seite berichtete, in Bezug auf die Währungsunion vor den längst beschlossenen Anschluss an die BRD zu warnen. Das Ganze setzte das frühere Zentralorgan der SED, das inzwischen zu dem der PDS mutiert war, unter die Überschrift „PDS steht in fundamentaler Kritik zum Kapitalismus“. Die Ausgabe erschien zwei Tage vor dem Inkrafttreten der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, am 28. Juni 1990
Das vorgeblich kritische Nachdenken war bald vergessen. Mitte November 1990 – der Anschluss an die BRD war sechs Wochen alt, die volkseigenen Betriebe wurden platt gemacht, Zehntausenden hatten ihre Arbeitsplätze verloren. Wissenschaftler wurden abgewickelt (wie die Entlassungen bei ihnen genannt wurden), mit Brötchen für fünf Pfennige das Stück war Schluss, die Mieten war auf das sechs- bis achtfache angestiegen – stand die Frage, gab es nun einen kritischen Rückblick, Erkenntnisse, dass es anders gelaufen war, als man es erhofft hatte? Nichts dergleichen. Hans Modrow hielt weiter an der „demokratischen Umwälzung des Herbstes 1989“ fest. Dass er nichts unternommen hatte, um den Sturm auf das „Stasi-Hauptquartier“ zu verhindern hielt er weiter für richtig. Dass die Polizei gegen Hausbesetzer in der ,Mainzer Strasse in Berlin-Friedrichshain brutal vorging (die Zeitungen sprachen von „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“) verurteilte er nicht etwa, sondern meinte nur, das hätte „durch zielstrebiges, gedultiges Bemühen um Dialog“ vermieden werden können. Zwar räumte er ein, dass sich wieder mehr DDR-Bürgerinnen und –Bürger bestimmter „positiver Faktoren“ erinnern, führte aber an „Erfahrungen der DDR“ lediglich an, es habe „keine öffentliche, starke Opposition“ gegeben. Kein Wort dazu, dass er als Ehrenvorsitzender der PDS, wie auch sein Parteichef Gysi nichts unternommen hatte, die Menschen auf der Strasse gegen diesen Anschluss zu mobilisieren. Der allgemeine Tenor war, so schlimm wird es schon nicht kommen.
Anmerkungen:
Der Autor schrieb zum Thema „Die Stunde der Opportunisten. Gregor Gysi griff 1989/90 die Liquidierung der italienischen PCI als Modell für seine PDS auf, Schriftenreihe „Konsequent“ der DKP Berlin, 1/2020, Neuauflage bei Amazon, 2023
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