Die Toten der „friedlichen Revolution“ in der DDR – Die Verlierer wurden nicht in Lager gesperrt, sondern ins soziale Abseits gedrängt, Unzählige in den Tod getrieben

Deutsche Demokratische Republik. Quelle: Pixabay, Foto: Michael Herrmann

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Entgegen den verbreiteten Lügen, beim Anschluss der DDR an die BRD als „friedlicher Revolution“ habe es keine Toten gegeben, sieht die Realität auch hier anders aus. 1 Die Verlierer der Geschichte wurden nicht, wie der damalige Justizminister der BRD, Kinkel erklärte, in Lager gesperrt, sondern ins soziale Abseits gedrängt. 2 Das hieß, dass Unzählige mit Berufsverbot belegt, ihre Menschenwürde mit Füßen getreten, gegen sie eine unsägliche Lügen- und Hetzkampagne geführt, Tausende von Gericht gezerrt und verurteilt wurden. Über die Zahl derer, die dem nicht stand hielten, denen die Kraft fehlte, zu widerstehen, die Hand an sich selbst legten, liegen keine Angaben vor. Einer Studie der Zeitschrift „Icarus“ der Gesellschaft für Bürger- und Menschenrecht (GBM) in Heft 3 und 4/ 2006 war zu entnehmen, dass die Zahl dieser Toten in die Zehntausende geht, wenn sie nicht gar, wie intern angenommen wurde, die Einhunderttausend erreichte. Laut „AFP“ töteten sich bereits im Jahr nach der Einverleibung der DDR in Ostdeutschland 4.294 Menschen selbst. Die Opfer waren Arbeiter und Genossenchaftsbauern, Lehrer, Ingenieure und Journalisten, Ärzte, Künstler und Wissenschaftler, von den Massenentlassungen Betroffene, obdachlos gewordene, Kinder, die die Demütigungen ihrer Eltern nicht ertrugen. Der Suizidexperte Udo Grashoff berichtete, dass von 1989 bis 1991 die Selbstmordrate in den neuen Bundesländern um rund zehn Prozent anstieg. Wie viele von den über 11.000 Menschen, die in der Bundesrepublik jährlich Selbstmord begingen, Opfer der „Wende“ waren, ist nicht bekannt.

Autoren der Studie waren u. a. der bekannte Faschismusforscher der DDR, Prof. Manfred Weißbecker, der Ökonom Prof. Harry Nick, der Pfarrer Dr. Dieter Frielinghaus, die Schauspielerin Käthe Reichel und der Rechtsanwalt Peter Michael Diestel.

Weißbecker schrieb über seinen Kollegen an der Jenenser Universität Prof. Gerhard Riege, dem als Mitglied des Bundestages in dem „hohen Haus“ blanker antikommunistischer Hass entgegenschlug. In ihm entäußerte sich ein „Ungeist, der noch Schlimmeres als Keim in sich trägt“, urteilte Gerhard Haney, einer der Kollegen Rieges. „Sie werden den Sieg über uns voll auskosten. Nur die vollständige Hinrichtung ihres Gegners gestattet es ihnen, die Geschichte umzuschreiben und von allen braunen und schwarzen Flecken zu reinigen“, schrieb Prof. Riege bevor er am 15. Februar 1992 den Freitod wählte.

Zurück zur Studie der Zeitschrift „Icarus“, die anführte, dass zu den Opfern gehörten: der Grafiker Thomas Schleusing vom Jugendmagazin „Neues Leben“, sein Kollege, der sensible Zeichner und Gestalter Christoph Ehbets, bekannt u. a. durch seine Cover beim VEB Deutsche Schallplatte. Der Vizepräsident des Deutschen Turn- und Sportbundes Franz Rydz, der Minister für Bauwesen der DDR Wolfgang Junker, der Raubtierdresseur Hanno Coldam (Heinz Matloch) der international bekannten Löwen-Gruppe des VEB Zirkus Aeros, der hervorragende Neurowissenschaftler der DDR Prof. Armin Ermisch, nach dem ein internationaler Preis für herausragende Nachwuchswissenschaftler benannt wurde. Der weltberühmte Schauspieler Wolf Kaiser, der sich seine Menschenwürde nicht nehmen ließ und dafür in den Tod ging. Als einen „ungekrönten Monarchen der Schauspielzunft“ würdigte ihn der Schauspieler Eberhard Esche in seiner Grabrede.

Nicht nur SED-Mitglieder waren unter den Opfern. Unter ihnen befanden sich die Jugendbildungsreferentin der Evangelischen Akademie Meißen, Anne-Kathrin Krusche, und der frühere Abgeordnete der sächsischen CDU Herbert Schicke, der Arbeitsmediziner und Vorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Bezirksverordnetenversammlung Berlin-Lichtenberg, Dr. Rudolf Mucke, der weder der SED noch der FDJ angehört hatte. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) hatte 1976 Anwerbungsversuche wegen „dekonspirativen Verhaltens“ aufgegeben. Die „Ehrenkommission“ der Berliner Charité hielt seine Weiterbeschäftigung  dennoch für „unzumutbar“. Dem Hochschullehrer Hans Schmidt, dessen hohes theoretisches und international anerkanntes Wissen die Wirtschaftsuniversität Wien würdigte, wurde – wie unzähligen anderen DDR-Wissenschaftlern – „wegen mangelnden Bedarfs und mangelnder fachlicher Qualifikation“ gekündigt. Als sein „Henker“ agierte der Nazikriegsverbrecher Prof. Wilhelm Krelle, den es nach dem Anschluss der DDR  als Gründungsdekan des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften an die Humboldt-Universität Berlin (HUB) gespült hatte. Diesem als SS-Sturmbannführer in Griechenland an Kriegsverbrechen beteiligten, mit dem Großen Bundesverdienstkreuz der BRD ausgezeichneten Prof, Krelle, verlieh die Präsidentschaft der HUB auch noch die Ehrendoktorwürde. Prof. Krelle erklärte öffentlich, er werde „Dr. Schmidt unter allen Umständen von der Humboldt-Universität entfernen.“ Nach einem vierjährigen zermürbenden und entwürdigenden Rechtsstreit um seinen Arbeitsplatz, der für den Schwerbehinderten nicht ohne gesundheitliche Folgen blieb, nahm sich Dr. Schmidt am 8. Mai 1996 durch einen Sprung aus dem 13. Stockwerk seiner Hochhauswohnung das Leben. Prof. Krelle verstarb im Juni 2004 wohlpensioniert im Alter von 88 Jahren als einer der unzähligen für ihre Teilnahme an faschistischen Kriegsverbrechen in der BRD nicht zur Verantwortung gezogenen Naziaktivisten. Die Leitung der HUB widmete ihm ein „ehrendes Gedenken“.

In der Studie wird, wie bereits (Fußnote 1) geschildert,angeführt, wie im Januar 1992 in den frühen Morgenstunden Polizisten die Wohnung des Ehepaares Fuchs in der Grunaer Straße 12 in Dresden besetzten und Otto Fuchs verhafteten. Seine Frau Martha, eine Jüdin, die KZ-Häftling gewesen war, erlitt einen schweren Nervenzusammenbruch. Die furchtbaren Erlebnisse der Nazizeit wurden lebendig. Sie glaubte, Faschisten drängten – wie nach 1933 – wieder an die Macht. Mit einem schweren Schock wurde sie ins Krankenhaus eingeliefert. Die Leipziger Staatsanwaltschaft erhob gegen Otto Fuchs Anklage wegen Rechtsbeugung und Mord. Er war 1950 in den Waldheim-Prozessen gegen Kriegsverbrecher und Naziaktivisten Vorsitzender Richter gewesen. Man warf ihm vor, er habe Unschuldige zum Tode verurteilt. Mit Hilfe seines Anwalts kam er für kurze  Zeit aus der Untersuchungshaft frei. Um den Richtern nicht die hämische Genugtuung an „seiner langsamen und qualvollen prozessualen Hinrichtung“ zu ermöglichen, beschlossen er und seine Frau aus dem Leben zu scheiden. Im Abschiedsbrief hieß es: „Meine Frau würde eine Trennung von mir nicht überstehen. Ich versichere Ihnen, dass wir in meiner Strafkammer nur Kriegsverbrecher verurteilt haben und ich bin mir sicher, dass wir uns über kein Urteil schämen müssen. Alle Zeichen deuten aber darauf hin, alles ins Gegenteil zu verkehren und in einem Schauprozess mich zum Verbrecher zu stempeln. (…) Heute, nach einer langen Periode der Naziverbrechen, fühlen sich doch alle – und sind sie auch noch so schwer belastet – als völlig unschuldige Menschen. Die Verdrängung ging und geht ja so weit, dass Auschwitz als Lüge hingestellt wird.“ Am 13. Februar um 23.15 Uhr sprangen Otto und Martha Fuchs vom Balkon ihrer Wohnung aus dem siebten Stock in den Tod.

Im Prozess gegen den mitangeklagten 87jährigen Otto Jürgens musste das Tribunal die Mordanklage fallen lassen, Schließlich wurde ein reines Gesinnungsurteil verhängt und der Angeklagte zu zwei Jahren Haft auf Bewährung, 6.000 DM Geldstrafe und zur Übernahme der Verfahrenskosten verurteilt. In seinem Schlusswort sagte Otto Jürgens, der bereits 1933 von der Gestapo verhaftet und gefoltert worden war: „Die Naziverbrecher, die in Waldheim abgeurteilt wurden, hatten ihre Strafe mehr als verdient.“

Anmerkungen:

Nachzulesen in „Die Stunde der Opportunisten“, Schriftenreihe „Konsequent“ der DKP Berlin, Heft 1/2020, S. 40 – 43; Neuauflage bei Amazon, Berlin 2023, S.85-93.

1 Der Beitrag knüpft an dem Schicksal des Ehepaares Fuchs an, das von der Konterrevolution in der DDR nach dem Anschluss an die BRD in den Freitod getrieben wurde. Siehe „Eines der barbarischisten Verbrechen Hitlerdeutschlands. Italien gedenkt der Opfer des SS-Massakers in Sant’Anna di Stazzema. „ Als Präsident der BRD stellte sich ein Joachim Gauck schützend vor die Mörder“, der Autor in „Weltexpress“, 11.August 2024.

2 Kinkel am 23. September 1991 auf dem 15. Deutschen Richtertag. In „Deutsche Richterzeitung, Nr. 1/1992.

Vorheriger ArtikelNord-Stream-Attentäter: Befinden wir uns nun im Krieg mit der Ukraine?
Nächster Artikel»Tischgesellschaften« mit wechselnden Gästen und Getränken in den Opelvillen oder Ein „Glas Wein in geselliger Runde im Wintergarten“ am Main in Rüsselsheim