Die „Tagesschau“ und der völkerrechtswidrige Angriffskrieg

Ein Fahrzeug der Israelischen Streitkräfte im Gelände. Quelle: Pixabay, Foto: Gidon Pico

Berlin, BRD (Weltexpress). Man ist ja Leid gewöhnt, wenn man einen Blick auf die Darstellung der deutschen Leitmedien wirft. Aber immer wieder mal gibt es einzelne Beispiele, die selbst in diesem Umfeld noch durch besondere Schlagseite auffallen. Wie die „Tagesschau“-Darstellung zum israelischen Einmarsch in Syrien.

Die „Analyse“, die die Tagesschau zum völkerrechtswidrigen Einmarsch Israels in Syrien liefert, könnte als Lehrbuchbeispiel für Propaganda dienen. Das ließe sich sogar grafisch darstellen – von 71 Textzeilen widmen sich gerade 14 der Benennung der Wirklichkeit. Die verbliebenen 57 Zeilen dienen nur der Rechtfertigung des israelischen Handelns.

Betrachten wir zuerst einmal die Aussagen, in denen die wirklichen Ereignisse dargestellt werden. Da ist ein Satz in der Einleitung: „Nach dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien fliegt Israel weiter Luftangriffe und rückt augenscheinlich im Nachbarland vor.“

Selbst das geht nicht, ohne schon im nächsten Satz zu lügen: „Geht es dabei nur um Verteidigung?“

Das unterstellt bereits, dass es überhaupt um Verteidigung ginge, und tut das auf eine Art und Weise, die die Behauptung der „Verteidigung“ als schon akzeptiert voraussetzt.

Im Text selbst findet sich als nächstes zwei Sätze, von denen der zweite in sich selbst bereits aufgehoben wird: „Die israelische Luftwaffe flog am Dienstag weitere Angriffe in Syrien. Berichte, wonach Truppen noch tiefer in das Landesinnere vorgedrungen seien, sogar Panzer 25 Kilometer vor Damaskus gestanden hätten, dementierte ein Armeesprecher aber.“

Ja, die Berichte gibt es. Mehrfach. Und sie lauten nicht darauf, dass die israelischen Panzer 25 Kilometer vor Damaskus gestanden hätten, sondern dass sie noch immer 20 Kilometer vor Damaskus stehen. Selbst hier schafft es die ARD-Korrespondentin Anne Armbrecht, der dieses Schmuckstück zu verdanken ist, die Tatsache erst durch die Verwendung einer falschen Zeit, die suggeriert, dass es sich in diesen Berichten um ein vorübergehendes Vordringen gehandelt hätte, abzuschwächen, um dann den Armeesprecher als Zeugen einzuführen, der diese „Behauptung“ widerlegt. Der dann in indirekter Rede weiter behaupten darf: „Israelische Truppen befänden sich lediglich in der Pufferzone am Golan und an ‚Verteidigungspunkten‘ nahe der Grenze.“

Moment, denkt man da als unbescholtener Leser, das ist immerhin ein anderes Land. Nicht einmal der Golan ist israelisches Gebiet, auch wenn er seit Jahrzehnten widerrechtlich von Israel besetzt ist. Und gegen wen oder was gedenkt Israel sich in Syrien zu „verteidigen“? Seit langem ist es Syrien, das regelmäßig von Israel angegriffen wird, vorzugsweise mit Bombenflugzeugen, und nicht Syrien, das Israel angreift.

Dann gibt es noch ein Bröckchen Wirklichkeit.

„Die entmilitarisierte Zone befindet sich zwischen Syrien und den von Israel annektierten Golanhöhen. Sie wurde nach dem Nahostkrieg vor 50 Jahren von den Vereinten Nationen eingerichtet.“

So weit, so gut. Es findet sich sogar das Wort „annektiert“. Es wird also wenigstens einen Moment lang anerkannt, dass es sich hier um einen fortgesetzten Verstoß gegen das Völkerrecht handelt. Aber nur keine falschen Hoffnungen, der nächste Satz verkrüppelt dieses Stückchen Realität sogleich wieder: „Israel hatte nach dem Sturz des syrischen Machthabers Bashar al-Assad durch Rebellen am Sonntag Truppen dorthin verlegt – laut Premierminister Benjamin Netanyahu nur eine vorübergehende Maßnahme.“

Vermutlich, wenn man die Rhetorik in der israelischen Politik kennt, vorübergehend wie die Besetzung des Gazastreifens und des Westjordanlandes. Die Einwohner dürfen sich jetzt schon auf ein Leben unter der Apartheid freuen. Abgesehen davon ist eigentlich klar, dass Israel mit einem Vorrücken in besagte „entmilitarisierte Zone“ auch gleich noch gegen Völkerrecht in Gestalt von Resolutionen des UN-Sicherheitsrats verstoßen hat. Kein Punkt, der der ARD-Korrespondentin größerer Beachtung wert scheint.

Im Gegenteil. Es gibt weiter unten genau einen Absatz, der die Frage des Völkerrechts berührt, und auch dieser wird sogleich abgeschwächt – und damit ist dann auch Schluss mit Wirklichkeit, Völkerrecht und all dem Gedöns: „Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien verurteilten das Vorgehen. Sie werfen Israel den Bruch von Völkerrecht vor. Kritik kommt auch von den Vereinten Nationen. Der UN-Syrienbeauftragte Geir Pedersen mahnt. ‚Wir sehen weiterhin israelische Bewegungen und Bombardierungen auf syrischem Gebiet‘, sagte er in Genf. ‚Das muss aufhören.‘ Nach Angaben von Israels Armee sollen mehr als 350 Ziele angegriffen worden sein.“

Raffiniert. Es wird nämlich implizit behauptet, nur Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien sähen hier einen Bruch des Völkerrechts. Die Araber halt wieder, weiß man doch, dass die Israel nicht mögen… Sicher, die Vereinigten Staaten haben bisher ebenso wie die Bundesregierung noch jeden Völkerrechtsbruch Israels hingenommen, wenn nicht gar begrüßt oder materiell überhaupt erst ermöglicht. Um von der chinesischen Reaktion zu erfahren, muss man mindestens bis zu einer türkischen Nachrichtenagentur gehen, wenn nicht gar gleich auf die Seite des chinesischen Außenministeriums selbst. Die lautet, überbracht durch Sprecherin Mao Ning, mit Blick auf den israelischen Einmarsch, China „betont, dass die Souveränität und territoriale Integrität Syriens respektiert werden muss.“

Für Anne Armbrecht muss man das vermutlich übersetzen. „Sie werfen Israel den Bruch von Völkerrecht vor.“ China. Das ist im globalen Zusammenhang doch eine andere Hausnummer als Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien, nämlich ein ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat.

Die Aussage des UN-Syrienbeauftragten wurde auch geschickt abgeschwächt. Denn „mahnen“ ist nicht „fordern“. So verpackt, fällt die deutliche Aussage „Das muss aufhören“ gar nicht mehr auf. Die Bombardierungen sind massiv, und sie geschehen nicht nur durch die israelische Armee, sondern auch durch US-Flugzeuge. Aber das ist selbstverständlich viel zu viel Wirklichkeit.

Der größte Trick besteht übrigens in der Platzierung dieses Absatzes. Stünde er am Ende des Artikels, hätte er noch einigermaßen Gewicht. Tut er aber nicht. Er steht ziemlich genau in der Mitte, eingerahmt von Aussagen des zweiten israelischen Zeugen, Eyal Zisser, Professor für Arabistik und Afrikanistik an der Universität Tel Aviv und – eine Information, die die Tagesschau gerne unterschlägt, weil sie üblicherweise Nähe zur Regierung signalisiert – Vizerektor dieser Universität.

Es gibt übrigens noch zwei weitere Israelis, die zitiert werden, Verteidigungsminister Israel Katz und Außenminister Gideon Saar. Noch so ein etwas subtilerer Trick – beim Leser haben jene Personen, deren Aussagen wörtlich zitiert werden, ein höheres Gewicht als jene, die nur in indirekter Rede auftauchen. Ganz zu schweigen von „Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien“.

Zisser jedoch gehört die Show. Er hat allen Raum, um die israelische Sicht darzustellen, und es gibt seitens Frau Armbrecht nicht einmal den Versuch, eine andere Sichtweise daneben zu stellen. Im Gegenteil. Zisser selbst greift zu propagandistischen Tricks, und noch die zaghaftesten Mittel, sich vom zitierten Sprecher zu distanzieren, werden von Frau Armbrecht nicht ergriffen. Wie war das noch einmal mit den Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks?

„Der Politikwissenschaftler Zisser aus Tel Aviv sieht in dem Vorgehen auch eine Konsequenz aus dem Trauma des 7. Oktober. Israels Armee und die Regierung seien damals überrascht worden. Nun wolle niemand ein Risiko eingehen. Die Besetzung der Pufferzone sei dahingehend ein ‚logischer Schritt‘, meint er – ‚etwas, das Israel ein Gefühl von Sicherheit gibt.'“

Ja, kann man irgendwie nicht richtig böse sein, oder, wenn das arme verfolgte Israel, das nach der Ermordung von über 40.000 palästinensischen Zivilisten und noch ein paar Tausend libanesischen, nach einer ganzen, atemberaubenden Orgie genozidaler Gewalt immer noch nicht sein „Trauma des 7. Oktober“ bewältigen konnte. Und mal eben in ein Nachbarland einzumarschieren, ist ein „logischer Schritt“… Eine Darstellung, die vor dem Hintergrund, dass die russische Sonderoperation in der Ukraine, der immerhin jahrelange Bombardierungen des Donbass, ein von der Ukraine gebrochener völkerrechtlicher Vertrag und ein Beistandspakt mit den Donbassrepubliken zu Grunde lagen, ständig ein „unprovizierter völkerrechtswidriger Angriff“ genannt wird, einen besonderen Charme gewinnt.

Zugegeben, die öffentlich-rechtlichen Medien haben in Deutschland schon lange einen Schlag weg, was Israel angeht. Aber früher wurde eine Gegenposition zumindest noch angemessen dargestellt, auch wenn am Schluss immer der Schlenker kam, der aus den Verbrechern die Guten machte. Aber dieses Stück hätte sich die ARD gleich vom Pressedienst der israelischen Armee schreiben lassen können. Für so etwas eine Korrespondentin in Tel Aviv zu unterhalten, ist reine Geldverschwendung.

Immerhin, eines verrät dieser Text, ganz nebenbei. Niemand in Deutschland muss sich Hoffnungen machen, dass nach dem Genozid in Gaza (der, inzwischen kaum noch bemerkt, ungebrochen weitergeht, Bombardierungen von Zeltlagern eingeschlossen) und dem Überfall auf den Libanon zumindest bei einem Einmarsch in Syrien Schluss sei und das deutsche politisch-mediale Amalgam es doch für angebracht hielte, irgendwo einen Schlussstrich zu ziehen. Den wird es nicht geben. Nicht einmal, wenn Israel halb Syrien besetzte und danach – wie es Politiker wie Bezalel Smotrich schon angekündigt haben – anschließend mit israelischen Siedlungen bestückte.

Auch dafür dürfte die ARD wieder Entschuldigungen liefern.

Anmerkung:

Vorstehender Beitrag von Dagmar Henn wurde unter dem Titel „Die ‚Tagesschau‘ und der völkerrechtswidrige Angriffskrieg“ am 12.12.2024 in „RT DE“ erstveröffentlicht. Die Seiten von „RT“ sind über den Tor-Browser zu empfangen.

Siehe auch die Beiträge

im WELTEXPRESS.

Anzeige:

Reisen aller Art, aber nicht von der Stange, sondern maßgeschneidert und mit Persönlichkeiten – auch Reisen durch die BRD –, bietet Retroreisen an. Bei Retroreisen wird kein Etikettenschwindel betrieben, sondern die Begriffe Sustainability, Fair Travel und Slow Food werden großgeschrieben.

Vorheriger ArtikelWashington feiert Al-Qaida-Sieg in Syrien
Nächster ArtikelGlosse: Vom Umfeld zur Umwelt oder Vom Wachregiment Feliks Dzierzynski zum Umweltminister im Frei- und Bundesstaat Thüringen