Die Karibik ist nicht ohne. Urplötzlich treibt eine Wetterfront vom Nordatlantik mit ihren Sturmböen den eleganten Viermaster vor sich her. Mit einer solchen Wucht, dass die Spitze des Hauptmastes aufgeregt imaginäre Figuren an den pergamentfarbenen Abendhimmel zeichnet. Und zugleich die über dem westlichen Horizont funkelnde Venus in leichtfüßiger Nervosität zwischen den prall gefüllten Segelbäuchen hin und her tänzelt. Gibt so das hoch gelobte karibische Urlaubsparadies seine Visitenkarte ab?
Doch schon am nächsten Morgen ist der Spuk vorbei. Und eine leichte Brise reicht bereits aus, um der Viermast-Barkentine „Star Flyer“ eine respektable Reisegeschwindigkeit von acht Knoten zu bescheren. Genau der richtige Zeitpunkt, um sich in das am Klüverbaum aufgespannte Netz zurückzuziehen. Und von dieser exponierten Stelle aus dem munteren Spiel der Delfine zuzuschauen, die aus der Gischt des Schiffsbugs heraus mit ihren weiten Sprüngen in tänzerischer Leichtigkeit die Gesetze der Schwerkraft aufzuheben scheinen.
Erotische Ausstrahlung
Erinnern sie in ihrer choreografisch exakten Geschmeidigkeit nicht gar an den Tanzstil des legendären Tropicana-Ballets? Jener Tanzkompanie aus Havanna, die wie keine zweite die afrokubanische Tanztradition seit nunmehr sieben Jahrzehnten weiter entwickelt und zur ästhetischen Vollendung führt. In schnell aufeinander folgenden Tanzfiguren, die in ihrer Virtuosität selbst dem Zuschauer höchste Konzentration abverlangen.
Doch an der scheitert es ohnehin nicht. Verfügen doch die Körper der Tänzerinnen und Tänzer neben ihrer federnden Elastizität zugleich über eine hohe erotische Ausstrahlung, wie sie sich aus farbenprächtigen Roben heraus entfaltet. Oder aber beim Einsatz von eher spärlicher Bekleidung, die in betörender Offenheit ihren karibischen Zauber ausstrahlt. Vergleichbar den Delphinen, die sich nun schon minutenlang von der Bugspitze antreiben lassen und auf ihre Weise lustvoll die ungebremste Leichtigkeit des Seins demonstrieren.
Seele des kubanischen Gesangs
Wie der Tanz ist natürlich auch die kubanische Musik Teil des kubanischen Lebensgefühls. Von überall her bahnt sie sich ihren Weg und ist – nicht nur am Wochenende – nahezu allgegenwärtig. Selbstbewusst und einfühlsam erschallt sie in den Bars und Restaurants, vor allem jedoch auf den Straßen und Plätzen der Städte. Als überaus mitreißend erweist sich der „Buena Vista Social Club“, in dem musikalische Veteranen mit Instrumenten und Gesang die Musik der fünfziger Jahre temperamentvoll zu neuem Leben erwecken und bei vollem körperlichen Einsatz dem begeisterten Publikum gehörig einheizen.
Bedächtiger geht es dagegen zu, wenn Musikergruppen wie das Trio „Son Tres“ bei einem Ständchen am Mittagstisch des Rum Rum Restaurants in Havanna die Ohrwürmer der kubanischen Liedkultur zelebrieren. Immer mit dem Herzen bei der Sache und nie müde werdend, den Gästen des Landes die Seele des kubanischen Gesangs zu offenbaren. Da erweist es sich beim Mitsingen zuweilen als bedauerlich, wenn bei „Guantanamera“ oder „Besame Mucho“ die eigene Stimme schon bei der ersten Strophe ins Stocken gerät.
Mojito und Daiquiri
Darüber jedoch helfen die heimischen Cockails schnell hinweg. Unübertroffen der Mojito, der wegen seiner erfrischenden Leichtigkeit bereits zum kubanischen Nationalgetränk erklärt wurde. Bestehend aus weißem Rum und gestampften Pfefferminzblättern, wurde er „erfunden“ in La Bodeguita del Medio, einer Bar in der Altstadt Havannas unweit der Kathedrale. Hier wird seine Zubereitung schon seit Hemingways Zeiten den ganzen Tag über stilgerecht und mit großem Ernst zelebriert.
Doch auch der Daiquiri hatte es Hemingway angetan: fein geriebenes Eis in einem kelchförmigen Glas, getränkt mit Hochprozentigem. In diesem Fall war es die Bar La Floridita im Zentrum von Havanna, in dem er beim Genuss seines Lieblingsgetränks die Zeit verbrachte. Noch heute lehnt er als Bronzefigur lässig an der Bar und scheint sich mit heiterem Gesichtsausdruck in illustrer Runde an die einstigen genussvollen Stunden zu erinnern.
Der Kuss des Delphins
Stets auf der Suche nach den schönsten Stränden, ist die „Star Flyer“ inzwischen vor der Insel Cayo Largo vor Anker gegangen. Direkt gegenüber von Playa Sirena, einem, wie es heißt, der Spitzenstrände in der gesamten Karibik. Und in der Tat lädt ein kühler Sandstrand aus feinem Korallenstaub zum Sonnenbad ein. Und regt zugleich dazu an, sich in die flach am Ufer auslaufende Brandung zu stürzen. Schnorchler können etwas weiter entfernt am Riff sogar die bunte Unterwasserwelt bewundern.
Doch die lässt sich auf eigenwillige Weise auch in einer kleinen Bucht im Strandbereich entdecken. Hier zeigen sich muntere Delphine bereit, mit neugierigen und wagemutigen Gästen ausgelassen herumzutollen. Ihre Balancierkunst bringt es sogar fertig, eine im Wasser liegende Person mit koordiniertem Nasendruck auf beide Füße senkrecht über die Wasseroberfläche zu erheben. Eine artistische Höchstleistung, gefolgt von einem kühlen Kuss, zu dem sich Mensch und Tier in unvergesslicher Pose einen Augenblick lang vereinen.
Paradies für Oldtimer
Zur Lebenskultur der Kubaner, das wird bei den Anlandungen deutlich, gehört natürlich auch die Architektur. Jene prachtvollen Kolonialbauten aus spanischer Zeit oder die im letzten Jahrhundert errichteten Fassaden, die den Stadtkernen zumeist einen musealen Charakter verleihen. Teilweise zu Ruinenlandschaften verfallen, beginnen diese erst langsam, sich von der sozialistischen Vernachlässigung der letzten fünfzig Jahre zu erholen. Als Musterbeispiel für gelungene Altstadt-Sanierung gilt das einstmals superreiche Trinidad an der kubanischen Südküste, dem mit seinem gepflegten Erscheinungsbild inzwischen der Status eines UNESCO-Weltkulturerbes zuerkannt wurde.
Hier, wie fast überall im Land, sind die Oldtimer ein Gradmesser dafür, wie die Zeit seit den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts in manchen Lebensbereichen stehen geblieben ist. Es gibt sie in einer unerwarteten Fülle und zudem oftmals in einem bewundernswerten Zustand, sodass man aus dem Staunen nicht herauskommt. Beflügelnd wirkt bereits die Taxifahrt vom Hafen hinüber zur Altstadt von Trinidad in einem ansehnlichen Chevrolet des Baujahres 1956. Oder die Rückfahrt in einem Opel Kapitän, ebenfalls aus den fünfziger Jahren, dem jedoch das hohe Alter bereits anzumerken ist.
Oberschenkel einer Kubanerin?
Zur Leichtigkeit des Seins gehört natürlich auch die Zigarrenkultur, die den kubanischen Lebensstil bereichert. Inszenieren sich die Revolutionshelden Fidel Castro und „Comandante“ Che Guevara nicht sogar als Models, wenn sie unübersehbar von Hauswänden, Plakaten und Buchdeckeln sinnenfreudig dreinschauen und dabei ihre mit Honig und Rum getränkte Zigarre rauchen?
Jesus Iglesias, seit drei Jahren selbstständiger Chef des Restaurants La Giraldilla nahe dem Hafenkanal von Havanna, kann es ihnen nicht verdenken. War er doch selbst vor seinem beruflichen Neubeginn in der Tabakindustrie von Pinar del Rio an der Westspitze der Insel tätig. Er weiß genau, wie Leichtigkeit, Aroma und Strenge in einer guten Zigarre verteilt sein sollten. Vielleicht sogar „gerollt auf dem Oberschenkel einer Kubanerin“? Jesus zeigt sich belustigt über diese häufig geäußerte Frage, will diese erotische Variante der Herstellung für den Hausgebrauch jedoch nicht ausschließen.
Kubanisches Lebensgefühl
Die kubanische Leichtigkeit des Seins überträgt sich auch auf das Bordleben der „Star Flyer“. Sie ermutigt, am Vordermast über eine Leiter hinaufzusteigen zum Ausguck, um von dort den Blick über das belebte Sonnendeck oder die Inseln am Horizont schweifen zu lassen – und dabei wie eine Möwe hoch über der Wasseroberfläche zu schweben. Oder es sich an der Tropical Bar bei kunstfertig zubereiteten Cocktails gut gehen zu lassen.
Denn schon geht das Abenteuer in den karibischen Gewässern an Kubas Küste seinem Ende entgegen. Und niemand an Bord möchte vorschnell Abschied nehmen von dem kubanischen Lebensgefühl, das hier wohltuend um sich greift. Ausgehend besonders von der jungen Generation, in der die Hoffnung auf eine freiere Gesellschaft und einen höheren Lebensstandard ab und zu auch für Außenstehende spürbar aufflackert.
Nähe zum Meer
Schon liegt die Hafenstadt Cienfuegos an der Südküste Kubas als Endpunkt der Kreuzfahrt in greifbarer Nähe. Eine Stadt, die in ihrem Zentrum mit einem unerwartet gepflegten Äußeren aufwartet. Hier am Ziel der Reise wird abschließend deutlich, dass man nirgendwo dem Meer so nahe ist wie unter weißen Segeln. Unter ihnen lassen sich zudem verstecke Regionen der karibischen Inselwelt erschließen, die für die Giganten der Kreuzfahrtindustrie unerreichbar bleiben.
Reiseinformationen „Star Flyer“ Kuba
Anreise: Mit dem Flugzeug ab Frankfurt (zum möglichen Vorprogramm) direkt nach Havanna; von dort mit Bus oder Taxi zur Einschiffung nach Cienfuegos.
Einreise: Erforderlich sind ein noch mindestens 6 Monate gültiger Reisepass sowie eine „Touristenkarte“, die schon bei der Buchung erworben werden sollte. Ebenso der Nachweis eines für Kuba gültigen Krankenversicherungsschutzes.
Reisezeit: Die „Star Flyer“ verkehrt im Sommerhalbjahr im Mittelmeer, ab November in der Karibik.
Reiseroute: Havanna (ev. Vorprogramm) – Cienfuegos – Playa Ancon, Trinidad – Cayman Brac – Georgetown, Grand Cayman – Cayo Largo – Cayo Rico – Cienfuegos
Schiffsatmosphäre: Die „Star Flyer“ als luxuriöser Nachbau der großen Segler des 19./20. Jahrhunderts ruft die Tradition jener Tage wieder wach und bringt sie in Einklang mit der eleganten Atmosphäre einer Megayacht.
Kabinen: Fast durchweg Außenkabinen, ausgestattet mit Farbfernseher, Telefon, Safe sowie komfortablem Bad
Buchung und Auskunft: Empfehlenswert über den Reiseveranstalter „Star Clippers Kreuzfahrten GmbH“, Konrad-Adenauer-Straße 4, 30853 Langenhagen, Tel. geb.frei 00800-78272547 oder 0511-7266590, Fax 0511-72665920, info@star-clippers.de, www.star-clippers.de oder die Reisebüros Ihres Vertrauens.
Literatur: Wolfgang Ziegler, Cuba, Michael Müller Verlag – individuell reisen, 3. Auf. 2014, ISBN 978-3-89953-826-7, Euro 26,90
* * *
Unterstützungshinweis:
Die Recherche wurde unterstützt von Star Clippers Kreuzfahrten GmbH.