So ganz haben wir nicht verstanden, warum das Vermächtnis der 1995 Verstorbenen erst im Jahr 2009 in Basler Museum ankam, aber es ist noch verwickelter, denn normalerweise hat niemand mal gerade so über 200 Druckgraphiken von einem Künstler zu Hause vergraben. Auch hier gibt es einen Zusammenhang. Die Blätter stammen nämlich ursprünglich aus der Sammlung des in Dresden ansässigen Industriellen Kurt Kirchbach (1891-1967), der seit den Zwanziger Jahren Gemälde, Skulpturen und Arbeiten auf Papier von zeitgenössischen Künstlern, insbesondere des Expressionismus sowie bedeutende avantgardistische Photographien zusammengetragen hat. Da schließt sich natürlich die Frage an, wie er diese über den Faschismus hinüberretten konnte. Aber das ist eine andere Geschichte. Heute geht es um Corinth.
Muß man das immer wieder sagen, daß er, der Franz Heinrich Louis Corinth hieß, sich später Lovis nannte, 1858 in Tapiau, dem nördlichen Ostpreußen geboren wurde, der Landstrich, der heute Rußland ist. Er studierte in Königsberg, auch schon an der Kunstakademie, ließ sich dann aber in München beim Genremaler Franz von Defregger ausbilden, was ihm nicht genug war, er ging nach Antwerpen, nach Paris, wo er Schüler des Salonmalers Adolphe William Bouguereau wurde, der früher ob seines weißen Fleisches der bevorzugten mythologischen Damengestalten leicht als Kitsch bezeichnet wurde, derzeit aber reüssiert. Corinth wurde nie ein französischer Impressionist, sondern gilt mit Max Liebermann und Max als Dreigestirn des deutschen Impressionismus, der schon expressionistische Anklänge hat und in diesen übergeht.
So interessant sein Lebensweg und seine sich stark verändernde Akzeptanz in Deutschland sind, wollen wir uns jetzt auf die Ausstellung konzentrieren. Dort begrüßt uns sein Selbstbildnis, wobei wir feststellen, wie sehr viel mehr uns der Ausdruck Bildnis bedeutet, denn Porträt, wovon wir heute immer sprechen. Aber sich ein Bild machen, liegt im Begriff des Bildnisses viel näher. Dieses hier ist ein spätes Selbstbildnis von 1919, wo uns der Künstler mit vielen schwarzen Schraffuren übersät entnervt anschaut. Irgendwie mutlos, aber direkt in die Augen.
Aus der schwarzweißen Blätterreihe tanzt ein großes Gemälde von 1924. Ach was, dem Kunstmuseum gehört dieses bekannte großformatige Bild, das den deutschen Reichspräsidenten Friedrich Ebert zeigt. Es wurde, steht geschrieben, 1937 (aha!) „mit Beiträgen der Gewerkschaften und des Erziehungsdepartements Basel-Stadt erworben. Doch, man sieht hier, wieviel spätere DDR-Maler auch von ihm und seiner Malweise für Repräsentatives lernten. Nichts Steifes, Formelles haftet dem Ölbild an, das blaustichig wirkt, weil Blau und Grau die einzigen Farben sind, von der Unfarbe Weiß des Hemdes mit hohem Kragen und den blitzenden Manschetten und dem Einstecktuch abgesehen. Ebert, der kein schöner Mann ist, auch nicht auf diesem Gemälde, der Kopf sitzt fast halslos auf und die aufgeblasenen Backen ergeben ein froschähnliches Gesicht – aber er steht hier mit der Würde des Amtes, die man nicht verkörpern kann, wenn man nicht als Mensch diese Würde ausdrücken kann, was er tut. Er blickt uns direkt in die Augen, die Linke in der Tasche des doppelreihigen und zugeknöpften Jacketts und die Rechte lässig mit dem Daumen in die Tasche eingehängt. Nun kann man sich entscheiden, weiter im Gang zu wandeln.
Wir aber betreten den 1. Saal, was richtig war, denn jetzt beginnt es chronologisch, wie die Ausstellung auch aufgebaut ist. „Die Tänzerinnen“ von 1894 auf dünnem Transparentpapier zeigen, wie der Jugendstil sich durchsetzt und der Jünglingsakt daneben läßt an Beckmann denken. „Sterbender Krieger“ von 1914 zeigt die künstlerische Auseinandersetzung mit dem männlichen Körper, während beide Geschlechter in mythologischen Themen wie „Theseus und Ariadne“ (toll!) oder Frauenraub erscheinen oder in biblischer Gestalt wie „Susanna im Bade“, 1914 nach einem Gemälde von 1909. „Io mit der Wolke“ läßt gar an Egon Schiele denken, nicht von der Machart, aber vom Sujet her.
Zur selben Zeit, 1914, zeichnet und sticht er verschiedene weibliche Akte, manchmal sieht es aus, als versuche er, eine Haltung, einen Strich zu optimieren, Versuche also. Das technische Können Corinths ist stark! Das transportieren die Blätter gleich mit und damit auch, daß es sinnvoll und lohnend ist, solche Ausstellung zu machen. Auch „Der Ringer“ von 1922 ist ein eindrucksvoller Versuch, die Kraft des Körpers auf das Blatt zu zwingen. Es gelingt. Es kommen noch weitere Papierarbeiten, die Corinth wiederum von anderer Seite zeigen und auch am Holzschnitt versucht er sich, der eine völlig andere ästhetische Wirkung erzeugt, wo uns aber die vielen weißen Kerben stören, die das wunderbare Verhältnis von Licht und Schatten stören. Es kommen die Kindersachen, die Tiere, an so vielem hat sich Corinth versucht und tatsächlich gibt es nichts, was ihm mißlingt. Zum Schluß muß man dann sogar an Dürers Zeichenkunst denken, wenn er 1916 „Weidensträucher“ fertigt, wo man nur noch bewegte Linie sieht, so einfach und so schön.
Bis 6. Februar 2011
***
Begleitheft: Dies Heft kann man sich mitnehmen und sollte es auch tun, denn erst hier erschließt sich der Anlaß der Ausstellung, für die man nun wiederum das Begleitheft dann nicht braucht, wenn man den Blättern, in der Regel Lithographie und Kaltnadelradierung, tief in die Augen blickt. Das ist tatsächlich so. Blickt man nur lange genug hinein ins Bild, blickt es zurück und man weiß, ob hier der Meister Stellungen probierte, ob er Versuche lancierte oder ob er eine gültige Vorfassung hatte oder sogar einen Stich nach einem vorherigen Gemälde machte.