Es war mehr als nur ein bloßer Namenswechsel. Es war eine Erklärung: eine Trennung von meiner Vergangenheit in der Diaspora (“Exil“ in zionistischer Redensweise), von der Trennung der Tradition meiner deutsch-jüdischen Vorfahren, von allem, was „exilisch“ war. „Exilisch“ war die schlimmste Beleidigung, die man damals jemanden an den Kopf werden konnte.
Es besagt: ich bin ein Hebräer, ein Teil des großen Abenteuers, eine neue hebräische Nation zu schaffen, die neue hebräische Kultur, den zukünftigen hebräischen Staat, der einmal entstehen sollte, wenn wir das britische Kolonial-Regime aus dem Land geworfen haben würden.
Dies war das Normalste, was wir tun konnten. Fast alle meine Freunde und Bekannten taten dies in dem Moment, in dem es möglich war.
Als der Staat gegründet wurde, wurde dies die offizielle Politik. Man konnte nicht in den diplomatischen Dienst oder einen höheren Grad in der Armee erhalten, wenn man noch einen fremdländischen Namen trug.
Und in der Tat, konnte man sich vorstellen, dass ein israelischer Botschafter in Deutschland den Namen „Berliner“ trug? Oder einen israelischen Botschafter in Polen, der Polonski heißen würde? Oder ein israelischer Ministerpräsident mit dem Namen Grün (Ben-Gurions früherer Name)? Einen Stabschef in der Armee mit Namen Kitaigorodsky (der frühere Name von Moshe Dayan?) oder einen israelischen internationalen Fußballstar mit Namen „Ochs“?
Ben-Gurion war in dieser Sache fanatisch. Es war vielleicht das einzige, in dem wir übereinstimmten.
Die Namensänderung symbolisierte eine grundlegend ideologische Haltung. Der Zionismus war auf eine totale Negation der jüdischen Diaspora gegründet, seine Lebensweise, seine Traditionen und Ausdrücke.
Der Gründungsvater des Zionismus, Theodor Herzl, jetzt offiziell hier zum „Visionär des Staates“ ernannt, stellte sich das vollständige Verschwinden der Diaspora vor. In seinem Tagebuch sah er voraus, dass nach der Gründung des „Judenstaates“ alle Juden, die es wünschten, in den Staat siedeln werden. Sie (und nur sie) würden in Zukunft Juden genannt werden. Alle andern würden sich schließlich in ihrer Gastnation assimilieren und aufhören, Juden zu sein. (Dieser Teil von Herzls Lehren ist vollkommen und absichtlich in Israel vergessen worden. Er wird weder in den Schulen gelehrt noch von den Politikern erwähnt).
In seinen Tagebüchern, die von hohem literarischem Wert sind, verbarg Herzl seine Verachtung für die Diasporajuden nicht. Einige Passagen sind positiv anti-semitisch – ein Terminus, der in Deutschland vor Herzls erfunden wurde.
Als Schüler in einer Elementarschule in Palästina wurde mir diese verächtliche Haltung gelehrt. Jedes „Exilische“ wurde verachtet wie das „jüdische Shtetl“, die jüdische Religion, jüdische Vorurteile und der Aberglauben. Wir lernten, dass „Exil-“ Juden in „Luftgeschäften“ engagiert waren in parasitäre Börsen-Geschäften, die nichts Reales produzierten, dass Juden körperliche Arbeit scheuten, dass ihre soziale Organisation eine „umgekehrte Pyramide“ sei, die wir umdrehen wollten, indem wir eine gesunde Gesellschaft von Bauern und Arbeitern aufbauen würden.
In meiner Kompanie im Irgun-Untergrund und später in der israelischen Armee gab es keinen einzigen Kipa-tragenden Kämpfer, auch wenn einige diskret eine Schirmmütze trugen. Religiöse Leute waren Objekte des Mitleids.
Die vorherrschende Doktrin war, dass Religion tatsächlich eine sinnvolle Rolle während der Jahrhunderte spielte, indem sie die Juden zusammenhielt und für das Überleben des Judentums sorgte, aber dass jetzt der hebräische Nationalismus diese Rolle übernommen hatte und die Religion überflüssig machte. Man fühlte, dass die Religion bald aussterben würde.
Alles Gute und Gesunde war hebräisch – die hebräische Gemeinschaft. Hebräische Landwirtschaft. Der hebräische Kibbuz, und die „erste hebräische Stadt“ (Tel Aviv). Die hebräisch militärischen Untergrundorganisationen, der zukünftige hebräische Staat. Jüdisch gehörte zu den „exilischen“ Dingen wie Religion, Tradition und Sinnloses wie dies.
Erst als gegen Ende des 2.Weltkriegs das volle Ausmaß des Holocausts bekannt wurde, verwandelte sich diese Haltung in tiefe Reue. Es gab ein Gefühl von Schuld, man habe für unsere verfolgten Verwandten nicht genug getan. Das Shtetl mutete jetzt wie das Leuchten von Kindheitserinnerungen, die Leute begannen, sich nach dem warmen jüdischen Heim, sich nach der idyllischen jüdischen Existenz zu sehnen.
Selbst dann weigerte sich Ben-Gurion, die Idee zu akzeptieren, dass Juden außerhalb Israels leben könnten. Er weigerte sich, sich mit zionistischen Führern zu treffen, die im Ausland lebten. Erst als der neue Staat in schwierige wirtschaftliche Nöte geriet und verzweifelt jüdisches Geld benötigt wurde, war er einverstanden, in die US zu reisen und dort die jüdische Führung zu bitten, Israel zu Hilfe zu kommen.
Seit damals hat das Judentum ein riesiges Comeback erlebt. Die kleine Gruppe von religiösen Juden, die sich dem Zionismus von Anfang an angeschlossen hatte, ist jetzt eine große und mächtige „national-religiöse“ Bewegung, der Kern der Siedler und der extremen Rechte, eine zentrale Partei in der gegenwärtige Regierung.
Die anti-zionistische „Gott fürchtende“ („Haredim“) Orthodoxe Gemeinde ist sogar eine noch größere Kraft. Obgleich alle ihre wichtigen Rabbiner zu jener Zeit Herzl und seine Unterstützer verurteilt und verflucht hatten, nützen sie jetzt ihren Einfluss, um immense Summen Geld vom Staat zu erpressen. Ihr Hauptziel ist es, ein getrenntes religiöses Schulsystem zu erhalten, in denen ihre Kinder nichts anders lernen als die heiligen Schriften. Sie hindern ihre jungen Männer daran, zum Militär eingezogen zu werden, um so zu vermeiden, dass sie in Kontakt mit normalen Jugendlichen kommen, besonders mit Mädchen. Sie leben in einem Ghetto.
Vorkurzem berichtete ein alarmierender Fernseh-Dokumentarfilm mit Zitatenvon Demographen, dass in etwa 30 Jahren die Haredim die Mehrheit der jüdischen Bürger in Israel sein würden – auf Grund ihrer enormen Geburtsrate. Dies würde Israel in etwas Ähnliches wie das heutige Saudi Arabien oder den Iran verwandeln. Schon jetzt werden gewisse Städte und Stadtteile in Israel von den Orthodoxen beherrscht, sind an Sonnabenden für jede Art von Verkehr gesperrt. Tragen Frauen in der heißen Sommerhitze kurze Ärmel wie alle nicht orthodoxen Frauen – so werden sie angespuckt und manchmal auch geschlagen. EL AL fliegt am Shabbat nicht, noch gibt es irgendwelche Busse oder Züge im ganzen Land.
Mit einer orthodoxen Mehrheit im Staat würde dies die allgemeine Regel werden. Kein Verkehr an Samstagen, keine offenen Läden an religiösen Feiertagen, keine nicht-koscheren Mahlzeiten in den Läden und in Restaurants (noch gibt es viele), keine weltlichen Gesetze, keine Gesetze, die man umgehen könnte. Verbotene gemischte Ehen zwischen Juden und Nichtjuden, ein strenger moralischer Kodex, der von der Polizei durchgesetzt würde.
Die säkulare Bevölkerung – jetzt in der Mehrheit! – würde wahrscheinlich aus solch einem Lande in grünere jüdische Weiden fliehen z.B. New York oder Berlin.
All dies konnte man in dieser Woche im israelischen TV sehen.
Eine Gesetzesvorlage, die jetzt in der Knesset diskutiert wird, würde die gegenwärtige Doktrin von Israels „jüdischem und demokratischem Staat“ umwandeln und durch eine Doktrin ersetzen, dass Israel der „Nationalstaat des jüdischen Volkes sei.“
Dies wird als die Erfüllung des Zionismus dargestellt, ist aber tatsächlich die völlige Umkehrung des Zionismus. Der Prozess hat eine Wendung um 360 Grad gemacht und kommt dort wieder an, von wo er ausgegangen war. Anstelle des Ghettos im Shtetl ist Israel selbst ein großes Ghetto geworden – ohne gefragt zu werden. Statt die Diaspora zu negieren, ist die ganze Diaspora zu einem Teil Israels geworden. Der Staat würde nicht mehr seinen Bürgern gehören (den Hebräern und den Arabern), sondern nur den Juden in Los Angeles und in Moskau.
Die ganze Idee ist natürlich lächerlich. Doch man definiert das Weltjudentum so: die Juden seien grundsätzlich eine ethnisch-religiöse weltweite Gemeinde, die seit 2500 Jahren existiert hat – ohne die Notwendigkeit ein Heimatland nötig zu haben. Selbst in der Zeit der hasmonäischen Könige, lebten die meisten Juden außerhalb Palästinas. Ihre abstrakte Verbindung mit Erez Israel ist wie die Verbindung von Muslimen, die in Indonesien und Mali leben, und für die Mekka – ein heiliger Ort ist, der in Gebeten erwähnt wird und eine Pilgerstätte ist, aber nicht als souveräne r irdischer Besitz angesehen wird, um dort zu wohnen. In der Tat war es nach jüdischem Gesetz verboten, en masse ins Heilige Land zu ziehen.
Israelischer Nationalismus ist andrerseits mit einem physischen Heimatland mit nationaler Souveränität verwurzelt und an eine Bürgerschaft gebunden – eine fremde Vorstellung für eine Religion.
Die frühen Zionisten waren durch Umstände gezwungen, die beiden entgegen gesetzten Konzepte zu verbinden. Es gab ja keine jüdische Nation; Palästina gehörte einem anderen Volk. Auf Grund dieser Notwendigkeit erkannten sie die Fiktion an, dass bei andern Völkern Nation und Religion nicht dasselbe seien. Ihren Anspruch auf das Land zu rechtfertigen, behaupten Gläubige und Atheisten – und tun es noch – dass Gott, der Allmächtige, in einem Deal vor 3500 Jahren das Land den Juden verheißen habe. Die israelische Regierung verlangt jetzt, um Frieden zu machen, dass die Palästinenser offiziell diese Formel anerkennen-(Israel sei der National-Staat des jüdischen Volkes) Wenn sie sich weigern, bedeutet das, dass sie uns vernichten wollen wie Hitler, und deshalb wollen wir mit ihnen keinen Frieden machen.
Für mich ist das absurd. Ich möchte, dass die Palästinenser den Staat Israel anerkennen einfach(und als Gegengabe für unsere Anerkennung eines Staates Palästina) Es ist nicht ihr Geschäft, wie sich Israel selbst definiert.(So wie es auch nicht unsere Sache ist, wie der palästinensische Staat sich selbst definiert.)
Es ist an uns – und nur an uns – zu entscheiden, ob unser Staat jüdisch oder israelisch sein wird.
Hier kommen wir auf die Namen zurück
In letzter Zeit nahmen wenig neue Leute hebräische Namen an. Die meisten behalten ihren deutschen, russischen oder arabischen Namen. Ich sehe das als einen Rückgang, ein Zurückgehen in das Ghetto an.
Als ich in dieser Woche vom Armee-Sender-im Land interviewt wurde, (seltsamerweise der liberalste Teil im Land), griffen mich meine jungen Interviewer an, dass ich an dieser Meinung fest halte. Sie sehen das halb erzwungene Namenwechseln, was in den frühen Tagen Israels praktiziert wurde, als Akt der Unterdrückung an, als Verletzung der Privatsphäre, ja, fast als eine Vergewaltigung. Die meisten Israelis sind heute zufrieden mit dem Namen ihrer vorausgegangenen polnischen, russischen, marokkanischen und irakischen Namensträger. Es ist ihnen nicht bewusst, dass diese Namen die Re-Judaisierung Israels symbolisiert.
Anmerkungen:
Vorstehender Artikel von Uri Avnery wurde aus dem Englischen von Ellen Rohlfs übersetzt. Die Übersetzung wurde vom Verfasser autorisiert. Die Erstveröffentlichung erfolgte unter www.uri-avnery.de nach dortigen Angaben am 08.11.2013. Alle Rechte beim Autor.