Sie beschreibt, der Bertelsmann Konzern sei heute ein globales Medienimperium mit geschätzten 19 Milliarden Euro Umsatz weltweit und das mit ca. 1,7 Milliarden Gewinn.
Aus diesem operativen Geschäft fließen steuerbefreit 70 Millionen Euro an die Stiftung, welche 76,8% der Anteile am Konzern hält. Aus diesen „Stiftungsgeldern“ werden 300 Mitarbeiter bezahlt, ca. 60100 Projekte jährlich finanziert. Ein wichtiger Bereich (außer Bildung, egovernment, Umstrukturierung der öffentlichen Verwaltungen) ist das Gesundheitswesen, unter der Leitung der Tochter des Firmengründers Reinhard Mohn, Dr. Brigitte Mohn.
„Der Firmenpatriarch Reinhard Mohn baute seine Bertelsmannstiftung zu einem Think Tank aus, der seine Führungsmethoden wissenschaftlich begründet, an aktuelle politische Gegebenheiten anpasst und in Politik und Verwaltung herein trägt.“ (Zitat von Hersch Fischler im Buch „Bertelsmann – Ein globales Medienimperium macht Politik“, 2006). Selbstredend finde ein großer Medienkonzern wie Bertelsmann bei Politikern und politischen Spitzen der Verwaltungen schon vorauseilend aufmerksam Gehör, besonders, wenn sie ihre Konzepte und Empfehlungen wissenschaftlich aufgearbeitet präsentiert, oft in Kooperation mit namhaften wissenschaftlichen Instituten, die für zahlungskräftige Kunden wie die Bertelsmannstiftung gern Auftragsforschung betreiben. Politiker könnten eine publizistische Großmacht, die den reichweitenstärksten Privatsender RTL samt weiteren TV-Sendern und Dutzende private Radiosender in allen Bundesländern ebenso wie die Magazine Stern und Spiegel, viele weitere Publikumszeitschriften und die größten Buchverlage kontrolliere, kaum ignorieren, wenn sie Wert darauf legen, wieder gewählt zu werden. Bertelsmann sei besonders erfolgreich in Zusammenarbeit mit der rotgrünen Bundesregierung und der Entwicklung der Agenda 2010 von Gerhard Schröder, im Windschatten der linksliberalen Kritik am Springerkonzern segelnd gewesen, seinen eigenen Vorsprung als Medienkonzern ständig ausbauend. Zusätzlich arbeite die Bertelsmannstiftung auffallend häufig mit der „grünen“ Heinrich-Böll-Stiftung und der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zusammen. Inzwischen sei die Bertelsmannstiftung an allen, sich im Jahresabstand jagenden „Reformen“ der BRD kräftig beteiligt.
Die Prinzipien neuerer neoliberaler Betriebwirtschaft würden auf alle Bereiche der Gesellschaft übertragen. Dies müsse man im internationalen Kontext sehen, der ohne die Zusammenhänge internationaler Globalisierung und so genannter „neoliberaler“ Umgestaltung aller Bereiche der europäischen Gesellschaften nicht zu verstehen sei. Es finde ein flächendeckender Rollback der Errungenschaften moderner Demokratien und des „Sozialstaates“ (fast schon ein Schimpfwort heute) statt. Der Staat ziehe sich als Finanzier aus den verschiedenen „Sozialwesen“ wie der Bildung oder dem Gesundheitswesen zurück. Private Konzerne mit dem einzigen Ziel der Gewinnmaximierung würden die Felder neu besetzen. Gleichzeitig sei der Staat allerdings „Moderator“ (Bertelsmann), der konsequent mit sich selbst überschlagenden Regelungsmechanismen im Vordergrund dafür sorge, dass der Laden auch so laufe, wie sich profitorientierte Hintergrundakteure (Lobbyisten) das wünschten.
Das propagandistische Paket müsse eingängig für die Ohren und Gehirne des Bürgers mit neuen Begriffen verkauft werden, Neologismen, teils alte Begriffe in neuer spezifischer Bedeutung, – Lüder spricht von „Orwell’scher „Neusprech!“ – wie Wettbewerb, Qualität, Effizienz, Effektivität, Transparenz, eudemocracy, der selbstbestimmte Patient, die Exzellenz-Universität, Best-Practice Systeme, Benchmarking, effizienter Ressourcenverbrauch, Nachhaltigkeit, Kundenstatus der Patienten, Dienstleisterrolle der Ärzte etc. Es gebe heute eigentlich kein Statement von Politik, Kassen oder „Selbstverwaltungsorganen“ im Gesundheitswesen, in dem diese Orwellschen Neusprechvokabeln fehlen.
Die letzte große Veröffentlichung zur Gesundheitspolitik der Stiftung (2007 unter www.Bertelsmannstiftung.de) besage auf 86 Seiten folgendes: Patienten, Ärzte und Bürger bräuchten eine allumfassende Transparenz im Gesundheitswesen. Durch flächendeckenden Zwang zum Qualitätsmanagement (zufällig wird noch das von Bertelsmann entwickelte QM System EPA als das einzig sinnvolle propagiert) können die „Leistungserbringer im Gesundheitswesen wie im Restaurant Qualitätssterne erringen“. Dass es hierbei nur um betriebliche „Ablaufoptimierung“ und nicht um wirkliche Qualität für Patienten handele, da man weite Teile der Medizin eben nicht wie ein „Stückgut“ (Bruns) in einem Wirtschaftbetrieb messen könne, werde geflissentlich verschwiegen.
Der entscheidende Hintergrund der Veröffentlichung: Die Patientenströme sollen neu gelenkt werden. Die Privatisierung kommunaler Kliniken mache rasche Fortschritte. Konzerne wie Rhön, Helios und Asklepios kauften flächendeckend auf und strukturieren um. Da 2009 die Bezahlung der Krankenhäuser 100 %ig auf DRG (Fallpauschalen) umgestellt wird, müssen sich alle Kliniken händeringend Einweiser sichern. Das gehe schlecht über die bisherigen Stromlenker, die ambulanten Arztpraxen, die ihre Empfehlungen bisher noch aufgrund langjähriger Erfahrungen mit den umliegenden Krankenhäusern aussprechen und dabei unabhängig von finanziellen Erwägungen sind. Das müsse sich ändern, sagen sich die Stiftungsleute. Patienten wird empfohlen, in Zukunft nicht mehr den Hausarzt fragen, sondern lieber gleich ins Internet, wie viele Qualisterne das Krankenhaus habe. Unnötig zu erwähnen, dass im Anschluss an die Veröffentlichung dieser „Studie“ im Sommer 2007 gleich in allen Zeitungen stand, dass es jetzt Qualitätssterne für Praxen und Kliniken geben müsse (Zeitschrift „Stern“ und viele andere).
Lüder führt weiter aus, der ambulante Medizinsektor werde als profitable Anlagesphäre für das Privatkonzernkapital entdeckt und dabei stören alte traditionelle Einrichtungen wie die ambulanten Arztpraxen. Also, werden Gesetze erlassen, wie das „Wettbewerbsstärkungsgesetz“ 2007 und das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz, die die Verhältnisse so ändern, dass die Sicherstellung gleich an die Kassen übergehen kann (Kassel, Oktober 2007), die selbständigen Arztpraxen pleite gehen oder an Privatklinik MVZs angegliedert werden. Mit angestellten Ärzten regele im Rahmen dieser Politik sich alles viel besser.
Die ärztliche Schweigepflicht stelle traditionell ein massives Hindernis der Datentransparenz dar, so daß ein weiterer Schritt die Schaffung totaler „Transparenz“ über Ärzte und Patienten ist in einer bundesweiten Telematikplattform, als „gläserner Patient“ von Datenschützern, Patienten und Ärzten, die ihren Einfluß bedroht sehen, gefürchtet und vielfach abgelehnt. Die Daten müssen zu den Kassen, zu den privaten Kliniken, zu den IT Konzernen. Um diese zu beruhigen, verschanzt sich die Industrielobby hinter Argumenten, die sich fortschrittlich und modern anhören und zu diesem Zweck muss der allseits informierte, selbstbestimmte, immer fitte, (nie kranke und schwache) Patient, der all sein Krankheitsgeschehen beraten von den Technokraten selbst managt, herhalten
Die Datentransparenz soll wiederum von der „elektronischen Gesundheitskarte“ hergestellt werden. Da dieses weltgrößte IT-Projekt nicht schnell genug von der Stelle komme, muss kräftig „Akzeptanzmarketing“ betrieben werden. Für diesen Zweck wurde die „D21 Lenkungsgruppe“ gegründet, in der wieder alles sitzt, was Rang und Namen in Industrie, Politik und Gesellschaft hat, um Akzeptanz von Ärzten und Patienten zu fördern.
Lüder nennt auch einige führende Köpfe dieser „Kreativszene“ wie Herrn Lauterbach, Hauptberater der Gesundheitspolitik der SPD, vorher Leiter des Instituts für Gesundheitswesen in Köln, im Aufsichtsrat der Rhön-Kliniken, direkt neben Frau Dr. Brigitte Mohn sitzend, wie.auch Prof. Dr. Eckart Fiedler, bis vor kurzem Chef der Barmer Ersatzkasse. Er ist Vorstandsvorsitzender der Stiftung Praxissiegel der Bertelsmannstiftung. Diese Stiftung soll Qualität im Gesundheitswesen schaffen. Zusammen mit Klaus Theo Schröder (Gesundheitsministerium) habe er vor kurzem die Ergebnisse einer Studie über zertifizierte Arztpraxen (6.7.2007, Website Bertelsmannstiftung) veröffentlicht.
„Der nach außen sichtbare Einsatz für Qualität erhöht das Vertrauen der Patienten und damit auch den Therapieerfolg. Außerdem werden die Arbeitsprozesse effizienter. Dadurch steigt die Arbeitszufriedenheit und der wirtschaftliche Erfolg der Praxen verbessert sich. Letztlich erhöhe eine verbesserte Qualität medizinischer Versorgung die Effizienz im Gesamtsystem.“ Unnötig zu sagen, dass er und Schröder dann gleich noch Werbung für das von Bertelsmann entwickelte QM System EPA machen. Prof. Fiedler arbeite als Dozent für das Kölner Institut für Gesundheitsökonomie und klinische Epidemiologie (IGKE) in Köln, dessen Direktor Karl Lauterbauch (beurlaubt wegen des Bundestagsmandats) durch Gutachten für Kassen und Politik großen Einfluss darauf genommen hat, dass Disease-Management-Programme in der BRD eingeführt und die Notwendigkeit der Abschaffung wohnortnaher Facharztpraxen propagiert wurde.
Leider sei die traurige Wirklichkeit eine andere, und strafe die Wirklichkeit im Gesundheitswesen die Bertelsmann-Doktrin Lügen. Die Gesundheitsversorgung der Patienten verschlechtere sich nach ihrer Beobachtung als „Basisversorgerin“ täglich. Wegen Fallpauschalenbezahlung und Profitmaximierungsdoktrin werden Patienten viel zu früh entlassen. Ärzte seien keine Ärzte mehr sondern Codierer für den Bürokratiewahnsinn. Und gesprochen wird mit den Patienten im Krankenhaus fast gar nicht mehr. In Scharen verlassen junge Ärzte unser Land, gleichzeitig steigen Frustration und Burnout in ambulanten Arztpraxen täglich an.
Der Zwang zum „ablaufprozessmaximierenden Qualitätsmanagement“ und zur „Listenmedizin“, von den so genannten „Selbstverwaltungsorganen“ in der Kassenärztlichen Bundesvereinigung getreulich umgesetzt, zerstöre die Motivation vieler Ärzte und belaste die Versorgung. Wegen finanzieller Aushöhlung der Grundversorgung verschlechtere sich die real stattfindende Versorgung. Wartezeiten steigen an und die kränksten Patienten pendeln wegen allseits bugdetierter Zwänge von Arzt zu Arzt und zur Klinik, oft ohne wirklich Hilfe zu bekommen.
In diese Jobverteilung seien inzwischen auch ehemalige Patientenvertreter einbezogen. Thomas Isenberg habe neun Jahre lang den Fachbereich Gesundheit und Ernährung beim Bundesverband der Verbraucherzentralen geleitet und sei nun Programm Manager bei der Stiftung Gesundheit der Bertelsmann Stiftung, auf strategischem Posten sozusagen (Deutsches Ärzteblatt vom 6.8.2007). „Es passte einfach“, so Isenberg als Begründung im Deutschen Ärzteblatt.
Die Bertelsmann Tochter Arvato habe den Auftrag für die Digitalisierung der Fotos von 17 Millionen AOK-Versicherten für die neuen elektronischen Gesundheitskarten im nächsten Jahr bekommen, ein sehr anspruchsvolles Projekt, wie das Vorstandsmitglied der AOK Anne Strobel beim letzten IT-Kongress betonte. Arvato erwirtschafte auch vor diesem Auftrag schon einen großen Anteil des Bertelsmann-Umsatzes.
Frau Liz Mohn, die Frau des Firmenpatriarchen Reinhard Mohn habe auch Karriere gemacht. Als einziges weibliches Mitglied des „Clubs of Rome“ habe sie am 25.9.2007 in einer Rede über die „Anforderungen an die Führungsrolle der Zukunft“ sprechen dürfen. Außerdem habe sie einen „Vortrag über die Globalisierung zum Wohle der Allgemeinheit“ gehalten. Hier schließen sich laut Lüder alle Kreise.
Dr. Silke Lüder ist niedergelassene Allgemeinmedizinerin in Hamburg.
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