Die guten und die bösen Syrer: Ein Tänzchen rund ums Bleiberecht

Bärtige Männer, Kämpfer, Islamisten in Damaskus. Quelle X und Al Jazeera Ort und Datum der Aufnahme: Damaskus, 8.12.2024

Berlin, BRD (Weltexpress). Ungefähr eine Million syrischer Flüchtlinge leben noch in Deutschland. Und weil die Geschichte, die über Syrien erzählt wurde, so viel mit der Wirklichkeit zu tun hat, müssten jetzt, da die Lage in Syrien noch schlechter wird, eigentlich die meisten wieder zurück.

So traurig es ist, dass in Syrien die islamistischen Truppen (zumindest vorerst) gesiegt haben, so unterhaltsam dürfte das politische Theater sein, das sich in der Folge rund um die in Deutschland lebenden syrischen Flüchtlinge entspinnen dürfte. Die ersten Anzeichen sind bereits zu erkennen. Schließlich ist es insbesondere bei jenen davon, die in den letzten Tagen die Übernahme ihres Landes durch Al-Qaida-Nachfolger und deren Verbündete gefeiert haben, schwer nachzuvollziehen, warum sie in ihr derart „befreites“ Land nicht zurückkehren.

Von den 973.905 in Deutschland lebenden syrischen Staatsangehörigen hatten am 31. Dezember 2023 562.405 eine befristete Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, 96.170 aus familiären Gründen; 93.770 haben einen Antrag auf einen Aufenthaltstitel gestellt, 80.510 haben eine unbefristete Niederlassungserlaubnis, 74.830 haben einen Asylantrag gestellt, 9.035 haben eine Duldung, und der Rest hat eine befristete Aufenthaltserlaubnis oder andere Aufenthaltstitel. Seitdem sind weitere rund 50.000 Syrer nach Deutschland gekommen. 161.000 syrische Staatsbürger hatten bis Ende 2023 einen deutschen Pass erhalten.

Im Juni 2024 lebten 3,48 Millionen Flüchtlinge in Deutschland. Ein Drittel davon kommt aus der Ukraine; der Anteil der Syrer liegt bei 28 Prozent. Die Grundlage für ihren Aufenthalt ist überwiegend subsidiärer Schutz nach § 4 Absatz 1 Asylgesetz.

60 Prozent der Syrer, die in Deutschland leben, sind Araber, ein Drittel Kurden. 90 Prozent sind Muslime, unter 2 Prozent Christen und ein Prozent Jesiden. Eine Aufteilung zwischen Sunniten und Alawiten (die zur Shia gehören) wird nicht gemacht.

Und nun kommen die Probleme. Es gab zwei Begründungen, warum Syrer während des syrischen Bürgerkriegs aus Syrien flüchten mussten: weil sie vor dem IS oder vor der syrischen Regierung flohen. Der Fluchtgrund IS hatte sich bis vor kurzem erledigt; allerdings sind jetzt, als Teil des islamistischen Gemischs, das die Macht übernommen hat, auch Söldnergruppen etwa aus Tschetschenien zu sehen gewesen, die gerne die IS-Flagge im Hintergrund zeigen. Was noch einen zusätzlichen Punkt hinter die Tatsache setzt, dass der jetzt in der westlichen Presse allgemein als akzeptabel verkaufte HTS-Führer Abu Mohammed al-Dschaulani immer noch vom US-State Department mit einem Kopfgeld von 10 Millionen US-Dollar verschönt wird.

In Wirklichkeit war immer nur ein Teil der Syrer, die in Deutschland ankamen, tatsächlich Gegner der syrischen Regierung. Absurderweise waren es genau letztere, die in Deutschland besonders willkommen waren; schließlich konnte man sich mit ihnen hübsch hinter den falschen syrischen Fahnen aufstellen und Solidarität mit Syrern heucheln (eigentlich fehlt bei solchen Aussagen mittlerweile ein Warnhinweis: Vorsicht, diese Solidarität kann zur Zerstörung ihres Landes führen). Die anderen wussten aber dennoch genau, welche Geschichte man erzählen musste, um in Deutschland aufgenommen zu werden.

Wobei man ja damals mit der ganzen Nummer geopolitische Absichten verfolgte. Zwei Punkte weisen sehr deutlich darauf hin, die es lohnt, immer wieder ins Gedächtnis zu rufen: Die gesamte EU hatte ihre Mittel an das UNHCR, das die Flüchtlingslager in der Türkei betreut, Anfang 2015 massiv gekürzt, weshalb die Versorgung dort zusammenbrach. Und der Beginn der großen Flüchtlingswelle nach Deutschland liegt genau fünf Tage vor der Landung russischer Flugzeuge in Hmeimin, die die ursprünglichen Pläne eines Regimewechsels deutlich störte.

Jedenfalls, der Tenor deutscher Politiker wie deutscher Medien lautete einheitlich, die Regierung Assad sei so schrecklich, dass man vor ihr fliehen müsse; und die verschiedensten islamistischen Gruppen, die vom Westen finanziert wurden, seien eine „demokratische Opposition“. Die Liste der Fälschungen und Verzerrungen ist endlos, von getürkten Giftgasangriffen bis zur PR-Truppe der „Weißhelme“ – die in den letzten Wochen reaktiviert wurden. Und ein Punkt tauchte in der deutschen Berichterstattung so gut wie nie auf: dass es nämlich ausgerechnet die Regierung Assad war, die die Sicherheit der vielen religiösen und ethnischen Minderheiten in Syrien garantierte.

Was gleich erkennbar macht, wo jetzt das Problem liegt. Auch wenn manche Politiker erklären, jetzt dürften eigentlich gar keine Syrer mehr in Deutschland Asyl beantragen dürfen, oder (ausgerechnet aus der Soros-Ecke) Migrationsforscher behaupten, jetzt gingen die Zahlen der Asylbewerber zurück.

Die Tatsache, dass es sich um eine äußerst inhomogene Gruppe handelt, hat man 2015 konsequent ignoriert; ebenso wie die hässliche Entwicklung, dass in vielen Unterkünften, in denen sich viele Syrer befanden, die Islamisten oft die Kontrolle übernahmen. Und beispielsweise Frauen nötigten, ein Kopftuch zu tragen, um sexuellen Übergriffen zu entgehen. Vielfach war es so, dass diejenigen, die vor den Islamisten aus Syrien geflohen waren, in Deutschland ein zweites Mal zu ihren Opfern wurden.

Wie auch immer, die deutsche Politik steht jetzt jedenfalls vor einem Dilemma. Denn eigentlich müssten, wenn man die Berichterstattung der deutschen Presse ernst nimmt, jetzt alle, die als Gegner der Assad-Regierung in Deutschland untergeschlüpft sind, eilig wie freudig nach Syrien zurückkehren. Und es wäre, auch das sollte einmal erwähnt werden, völlig legitim, wenn deutsche Behörden ihnen erklärten, die Grundlage für ihren subsidiären Schutz wäre entfallen. Das hätte ganz nebenbei den deutlichen Vorteil, dass es gerade der für die deutsche Gesellschaft gefährlichere Teil der Syrer ist, der dann zurück müsste.

Nur als Randbemerkung – in der deutschen Presse war in den letzten Tagen völlig kommentarlos zu lesen, dass zwei Drittel der Ukrainer in Deutschland auch nach einem Ende des Konflikts nicht mehr zurückwollten. Rechtlich gesehen ist das jedoch keine Frage des Wollens. So ist das mit dem subsidiären Schutz, der im Gegensatz zum eigentlichen Asyl eben nicht individuell ist. Aber jene, die wirklich Asyl vor der Bandera-Ukraine brauchen, hat man in Deutschland sowieso nie gewollt.

Aber zurück zur Frage der Syrer. Die Windungen der Grünen dürften besonders hübsch werden. Sie waren es vor allem, die sich damals, 2015, begeistert noch neben die finstersten Kopfabschneider stellten (und ja, die waren auch im Angebot, schließlich galt die syrische Regierung als verfemt, da konnte man nicht einmal nachfragen, wer Kriegsverbrechen begangen hatte). Irgendwie steckt ihnen da ein Stein im Schuh; schließlich könnte es sein, dass demnächst, gerade wegen des Siegs dieser Truppen, andere Gruppen aus Syrien an deutsche Türen klopfen, Christen und Alawiten beispielsweise; und weil man sich in dieser Partei generell für offene Grenzen für jedermann ausspricht, könnte man sie nicht zurückweisen. Allerdings würde dann auch ins Gedächtnis gerufen, dass man genau jene Gruppen gestützt hat, vor denen diese dann fliehen.

Überhaupt könnte selbst eines der Motive, die den türkischen Präsidenten Erdoğan zu seinem Angriff auf das säkulare Syrien bewegt haben, der Wunsch sein, die syrischen Flüchtlinge in der Türkei endlich wieder loswerden zu können. Man könnte Wetten darauf abschließen, wie viele Wochen er brauchen wird, um die ersten Anläufe zur Leerung der türkischen Flüchtlingslager zu starten. Auch das würde das Dilemma für die deutsche Politik weiter verschärfen. Schließlich hat Erdoğan in diesem Fall genau das getan, was der Westen, also die USA, die EU und auch die diversen Bundesregierungen, immer gewünscht haben. Weshalb es all die Jahre über Sanktionsregelungen gab, die dem syrischen Staat mehr oder weniger jede Wirtschaftsverbindung mit anderen Ländern untersagten, aber der „demokratischen Opposition“ den Anspruch auf eventuell anfallende Erträge zuerkannten.

Die Hoffnung, die Deutschen könnten sich womöglich heute nicht mehr an die Geschichten erinnern, die man ihnen vor zehn Jahren serviert hat, haben die deutschen Medien selbst fleißig zunichte gemacht, indem sie den Sieg der Islamisten hoch jubelten. Wenn jetzt also dieser Wolf, der nicht einmal einen Schafspelz trägt, sondern auf dessen Fell nur ein Schafspelz projiziert wurde, sich dann doch als Wolf erweist, wird das wirklich peinlich. Und auch hier kann man entspannt wetten: Er wird. Zugegeben, die deutsche Presselandschaft hat es geschafft, einen ganzen Genozid, den in Gaza, verschwinden zu machen – aber es leben viel mehr Syrer in Deutschland als Palästinenser. Und dank der Tatsache, dass sie eben nicht alle das sind, was man vor bald zehn Jahren so gerne einlud, nämlich Anhänger der Kopfabschneiderfraktion, wird das nicht ganz so gut funktionieren.

Abgesehen davon – auch unter den Syrern gibt es eine gehörige Komponente Opportunisten, die einfach nur in den Westen wollten, und die jetzt gerne bereit sind, sich als von den blutigen Westmarionetten verfolgt zu erklären, wie sie es zuvor von der Regierung Assad waren oder nicht waren. Was dann insbesondere deshalb heiter wird, weil es schließlich eine ganze Branche gibt, die ihren Lebensunterhalt mit Asylverfahren verdient und gerne dafür sorgen wird, sollte sich eine deutsche Regierung zu einem Ende des subsidiären Schutzes durchringen, das Ganze mit vielen Verfahren zu garnieren.

Und jetzt noch eine Prise harter Realität. Alle Fälle, in denen bisher derartige Truppen an die Macht kamen wie in den letzten Tagen in Syrien, endeten mit dem gleichen Ergebnis. Libyen und Somalia sind dafür approbate Beispiele. Ein gescheiterter Staat, in dem sich unterschiedlichste bewaffnete Gruppen um Dörfer und Straßen bekämpfen; dessen Verwaltung und dessen innere Wirtschaftsbeziehungen völlig zusammenbrechen, weil an jeder Ecke Wegelagerer lauern, und der sich entweder in eine Ausgangsbasis krimineller Geschäfte verwandelt, wie mit dem libyschen Menschenhandel, oder völlig ins Elend abstürzt, wie Somalia. In dem Moment, in dem der gemeinsame Feind verloren geht, ist nämlich Schluss mit der Freundschaft zwischen den unterschiedlichen Gruppen.

Das Endergebnis dürfte sein, dass die nächste Runde Flüchtlinge sich auf den Weg macht. Und damit es besondere Freude bereitet, wird damit die Anwesenheit der säkularen Seite des syrischen Bürgerkriegs in Deutschland gestärkt, und es könnte etwas passieren, was immer besondere Freude bereitet (und was es beispielsweise im Verhältnis zwischen Türken und Kurden in Deutschland bereits ansatzweise gab): Der Krieg wird nach Deutschland importiert. Und, darauf kann man schon angesichts des Durchschnittsalters beider Seiten wetten, er wird dann auch in Deutschland ausgetragen werden. Sollte sich das mit den drohenden Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Islamistenfraktionen bestätigen, sogar in geradezu erschreckender Vielfalt.

Was sich nur auf zwei Wegen vermeiden ließe. Der erste wäre, die nun tatsächlich Verfolgten gar nicht erst einzulassen. Und der zweite wäre, die bisher in Deutschland untergebrachten Assad-Gegner zurück nach Syrien zu expedieren. So, wie Deutschland derzeit mit Asylanträgen aus Gaza umgeht, wo den Menschen tatsächlich an jeder Ecke die Bomben auf den Kopf fallen und das Essen ausgeht, nämlich gar nicht, könnte man selbstverständlich auch mit den Opfern der Islamistenherrschaft umgehen. Das wäre sicher die leichtere Übung, als die 2015 importierten Islamisten wieder nach Hause zu schicken.

Allerdings, jedes Manöver, jetzt so zu tun, als gäbe es gar keinen Grund dafür, den subsidiären Schutz aufzuheben, aktiviert die nächste Tretmine in der deutschen Gesellschaft. Man könnte es sich vorstellen, dass im Zuge der gerade aufflammenden Debatte das Argument auftauchen wird, die seien doch schon so gut integriert in der deutschen Gesellschaft, man müsse ihnen eigentlich ein dauerhaftes Bleiberecht erteilen, selbst wenn der Grund für den subsidiären Schutz entfällt.

Dann fällt der Blick sofort auf die Ukrainer, denn das hieße am Ende, es würde hingenommen, wenn sie in Deutschland zu bleiben wünschen. Man hat sich ja all die Jahre schon darum gedrückt, zu differenzieren, und Leute aus Lwow genauso aufgenommen wie jene, die wirklich in der Nähe von Kämpfen gelebt hatten. Aufgenommen und mit Privilegien ausgestattet, von denen selbst die Syrer nur träumen konnten, wie sofortige Aufnahme ins Bürgergeld, ohne Vermögensprüfung.

Nun, wenn man einen Anreiz schaffen will, dass wirklich viele Deutsche die Ukrainer so bald irgend möglich wieder loswerden wollen, dann wäre das die Erklärung, man könne eben dies mit den Syrern nicht, weil sie doch nun schon so lange da seien. Wie auch immer man die Geschichte dreht und wendet, entschärfen ließe sich das Ganze nur auf eine einzige Weise: indem man den Deutschen reinen Wein einschenkt, was man all die Jahre so gegen Syrien gefördert hat. Man mag sich vielleicht in Berlin derzeit darüber freuen, dass das so innig geliebte völkermordende Israel einen Gegner weniger hat. Aber ein Syrien, das zu einem zweiten Libyen wird, wird auch an Deutschland nicht spurlos vorbeigehen. Und geopolitisch genehme Lügen, wie dass Israel ganz und gar keinen Völkermord begehe, in der Ukraine keine Nazis sind und die syrischen Kopfabschneider allesamt gute Demokraten, platzen immer irgendwann. Und bis dahin fordern sie einen Preis. Der leider nicht nur in dem absurden Theater bestehen wird, das die deutsche Politik zum Thema der syrischen Flüchtlinge bis Ende Februar noch liefern wird.

Anmerkung:

Vorstehender Beitrag von Dagmar Henn wurde unter dem Titel „Die guten und die bösen Syrer: Ein Tänzchen rund ums Bleiberecht“ am 10.12.2024 in „RT DE“ erstveröffentlicht. Die Seiten von „RT“ sind über den Tor-Browser zu empfangen.

Siehe auch die Beiträge

im WELTEXPRESS.

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