Dabei hatte der Abend, der heißeste des Jahres, ganz anders begonnen. Andreas Leisner, Dramaturg und Stellvertreter und auch bei der Regie der Zauberflöte beteiligt, hatte zwei Erlaubnisse erteilt: Das Tiroler Festspielorchester musizierte im Festspielshirt, die männlichen Besucher sollten die Jacketts ausziehen, was gerne befolgt wurde. Sagen wir es gleich: Es galt eine lebhafte, bunte, erzählerisch rasante, märchenhafte und dennoch auch tiefsinnige Zauberflöte zu bestaunen, die gesanglich, darstellerisch und von der Orchesterleistung her ein gemeinsam sehr hohes Niveau hatte.
Uns waren die Tempi etwas langsam, aber vielleicht war die Absicht, dem vielfältigen und ständig wechselnden Geschehen auf der Bühne Mozarts Musik als ruhendes Element gegenüberzustellen. Das jährlich wechselnde Tiroler Festspielorchester, dem Henrykh Fuks aus Minsk seit nunmehr zwölf Jahren als Konzertmeister Halt gibt, besitzt sehr junge Mitglieder, sehr viele sind aus Südosteuropa und unter ihnen auffällig viele Frauen. Die Sänger und Sängerinnen haben alle als Heimat die Ausbildungsstätte von Gustav Kuhn in Italien, die Accademia di Montegral, die im Kloster „Convento dell’ Angelo“ seit Oktober 2000 ein eigenes Zuhause hat. Ob dieser Gemeinsamkeit der gemeinsame Wohlklang geschuldet ist? Auf jeden Fall fiel auf, dass es eine durchweg hervorragend gesungene Aufführung war, bei der zwei Spitzen hervorstachen, die glockenhell und inniglich tönende Pamina der Anett Fritsch und Johannes Schmidt als sowohl urkomischer wie auch nachdenklich werdender Papageno, vom ersten bis zum letzten Ton eine bühnenbeherrschende Figur.
„Die Zauberflöte“, erfolgreichste Oper der Welt, ist die Lieblingsoper vieler, auch derer, die nicht ständig Opern hören und sehen. Diese Aufführung ist gut geeignet, nach Oper süchtig zu machen. Als völlig neues Handlungselement führt Gustav Kuhn eine über zwanzigköpfige Erler Kinderschar ein, die schwarz gewandet (Kostüme: Lenka Radecky) ein fast graphisches Element ergeben, wenn sie zur Ouvertüre versetzt ihre Stellplätze einnehmen. Das war so überraschend und eindrucksvoll, dass wir darob die Musik gar nicht mehr wahrnahmen, was ihr Ende fand, als mit Beginn der Opernhandlung sich diese Winzlinge wie auch Jugendlichen übereinanderwarfen und die erlegte Schlange ergaben. Nun war Papageno (Johannes Schmidt) der Held, der dem vor der Schlange ohnmächtig gewordenen Prinzen Tamino (Michael Baba) vorgab, dass er diese erlegt habe, was jedoch die drei Damen mit ihren Hütchen (Silja Schindler, Anahita Ahself, Martina Tomcic) erledigt hatten, die in so phantastischer Gewandung auftraten, dass man von ihnen kein Auge nahm, was ungerecht war, denn auch der Papageno hatte mit seinem roten, weit nach oben gebürsteten Haarschnitt und dem blauen Rock über den grünen Lederhosen mit den Fransen ab dem Knie, ein passendes Äußeres, was man erst recht erkannte, als ganz am Schluß seine Papagena (Silga Tiruma) sein augengefälliges Pendant ergab.
Die Geschichte? Die setzen wir voraus, wie Tamino von den drei Damen im Auftrag der ’sternenflammenden Königin’, deren Tochter Pamina Bildnis sieht, sich verliebt und gelobt, sie aus den Händen ihres Entführers Sarastro zu befreien, wofür ihm die Königin der Nacht in ihrer berühmten und schwierigen und hier von Cigdem Soyarslan sehr gut gesungenen Arie die Hand der Pamina verspricht. Als Zaubermittel wird ihm die Flöte überreicht und der gewitzte und bauernschlaue Papageno soll ihm mit seinem Glockenspiel helfen, wie auch die drei Knaben, die ihm den Weg weisen. Die sind verkörpert von Michiko Echigoya, Michiko Watanabe und Misaki Ono, drei Japanerinnen, die für Aussehen, Spiel und Gesang mit Recht einen Sonderapplaus erhielten.
Die eigentliche aufsehenerregende Regieidee ist die Teilung der Rolle des Sarastro in einen männlichem, meist im Rollstuhl sitzenden und singenden Part (Pavel Shmulevich) und einen weiblichen, als Rollstuhlführerin begleitend, sprechend im roten Gewand (Brigitte Karner). Sinn dieser Teilung soll sein, das weibliche Element in dieser als Freimaurerei angelegten philosophischen Figur zu betonen, was ertragbar ist, aber für uns keinen höheren Erkenntniswert erhielt. Diese Aufführung ist in unseren Augen so bunt, so mit Phantasie verzierten Personen handlungsreich, daß es auf zusätzliche Regieeinfälle und Details gar nicht mehr ankommt und man höchstens damit zu tun hat, dem Handlungsfaden auch folgen zu können. Das gilt auch für die Prüfungen des Tamino, die dieser gemeinsam mit Pamina, der ihr Tamino auch sehr gut gefällt, bewältigt, obwohl sie – wie alle Frauen – sein Schweigegebot für das Ende seiner Liebe hält und kurzzeitig das Leben lassen will. Am gemeinsamen Lieben und Leben als Paar im Sonnenreich im Kreis der „Eingeweihten“ kann auch die einzige Gegenfigur und der mit der Königin der Nacht das Böse vertretende Monostatos (Wolfram Wittekind) nichts ändern. Diese oft als Karikatur eines Sklaventreibers gegebene Rolle, wird hier in seiner Dualität gezeigt, was das Kostüm im versetzten Hell-Dunkel längsgestreift wiedergibt. Ende gut, alles gut.
Auf die eigentlich zündende Regieidee kamen wir noch nicht zu sprechen. Wer die schmale Bühne des Passionshauses Erl kennt, wo alle sechs Jahre die Passion gespielt wird, weiß, wie schwierig dort Opern aufzuführen sind. Normalerweise staffelt sich das Orchester rückwärts in die Hausbiegung hinein und gibt die schmale Bühne zum Spielen frei. Diesmal ist diese noch schmaler, denn das Orchester rückt in die Mitte und wird im Stück zum umspielten Ort, denn auch hinter ihm wird nun die Höhe zum Ort der Freimaurer und Sarastro und Sarastra besitzen einen guten Überblick über Orchester, Bühne und Zuschauerraum, einem der Idee des Stückes angemessene Örtlichkeit (Bühne: Siegfried E. Mayer). So wird auf allen Seiten gespielt. Die Haupthandlung findet vorne statt, an den Seiten ergeben sich Nebenlinien und die Erhöhung im hinteren Teil. Das geht so weit, daß auf einmal Tamino mitten im Orchester steht – sogar mitten im Publikum – und singt, was völlig natürlich erscheint. So eine Aufführung haben wir noch nie gesehen und dieses Miteinander von Sängern und Orchester war uns das eigentliche Ereignis. Zeit, den Chor zu erwähnen, den die Chorakademie in Zusammenarbeit mit der Capella Minsk, kongenial dem musikalischen Ablauf einfügte. Dem souverän agierenden Gustav Kuhn ist wieder einmal eine musikalische und darstellerische Delikatesse gelungen.
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Folgevorstellung: am 24. Juli 2010
P.S.: Die Aufführungen der Tiroler Festspiele Erl sind sämtlich auf CD erschienen. www.col-legno.com
Gustav Kuhn verantwortet nun vom 17. bis 26. September 2010 auch noch die Festspiele in Toblach/Dobbiaco, wo Gustav Mahler sein letztes Komponierhäusl hatte und die 9. Symphonie sowie Das Lied von der Erde verfasste, die jedes Jahr diese Festspiele einleiten und ausläuten. www.festspiele-suedtirol.it
Erl ist ein kleiner, langgestreckter Ort in der Nähe Kufsteins. Um so angenehmer, wenn man dort direkt Unterkunft findet und zu Fuß nur zwei Minuten zum Festspielhaus braucht, wie es uns mit „Der blauen Quelle“ geht, wo man nicht nur ruhig nächtigen, sondern auch sehr gut speisen kann. www.blauequelle.at