Berlin, Deutschland (Weltexpress). „… aber ich war schon ein junger Mann damals, junger Mann. Siebzehn Jahre. Das war vierundvierzig und fünfundvierzig, alt genug um… aber einer musste ja die Bahn fahren. … Wenige Urlauber damals. Und der Winter nahm kein Ende. Das mag komisch klingen, aber das war die glücklichste Zeit meines Lebens.“
Ein alter Mann sitzt auf einer Bank an der Westmole und schaut aufs Meer. Neben ihm der namenlose Ich-Erzähler, irgendwann heute, irgendwo an der Ostsee. In Clemens Meyers knapp 30-seitiger Erzählung „Die letzte Fahrt der Strandbahn“ endet die damals schönste Zeit des Lebens natürlich tragisch. Der neue Erzählungsband des mittlerweile vierzigjährigen Autors knüpft in vielen Geschichten an seinen vor gut zehn Jahren erschienenen Roman „Als wir träumten“ an, Leipzig und die unbehausten Helden des grauen Ostens bevölkern seine Zeilen. Die letzte Erzählung „In unserer Zeit“, fabuliert eine mögliche Entstehungsgeschichte des Störtebecker-Jugendromans Willi Bredels im Moskauer Exil. Die anderen „stillen Trabanten“ kreisen meist um den Leipziger Hauptbahnhof, reichen bis an die Stadtgrenze, einer bis auf den Balkan und ein anderer bis ans Meer. Meyers Figuren sind einsam, suchen die Nähe zu anderen Gestrandeten, zu alten Freunden oder neuen Gefährten. Der Wachmann, die Bahnreinigerin und die Bahnhofsfriseuse, der Imbiss-Koch, der Zugführer, die Osteuropäerin, die Muslima, die Argonauten, der verwechselte Enkel. Mit leicht wirkenden Sätzen und knappen Dialogen webt Meyer ein Netz, das sich sinnlich und schmerzhaft über die Szenen legt, uns einwebt in einen Kosmos, den wir zu kennen glauben. Es tut beinahe weh, die Geschichten verlassen zu müssen, so kompakt sind sie gebaut, als sauber konstruierte Miniaturromane in sich ruhend.
Der alte Mann auf der Westmole braucht einige Abende, um „sie“ zu erwähnen, das Mädchen, welches mit einem Treck aus dem Osten gekommen war und damals in seinem glücklichsten Sommer mit ihm Strandbahn fuhr, immer am Meer entlang. Irgendwann ist die Geschichte in ihrer Härte erzählt und Clemens Meyer entlässt den Leser mit Sätzen, die weiter leuchten. Dieses Buch lässt sich nicht so schnell beiseite legen.
„Wir saßen noch lange nebeneinander und blickten auf dem Strom. Er hielt wieder das metallene Feuerzeug in seiner Hand. Hatte er nicht erzählt, dass sie es ihm geschenkt hatte? Ein altes Soldatenfeuerzeug. Sie hatte es irgendwo gefunden auf ihrer Flucht, bevor sie ihn und seine Strandbahn fand und dann wie ein Irmchen, wie ein Leuchtkäfer, wieder verschwunden war.“
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Clemens Meyer, Die stillen Trabanten, Erzählungen, 270 Seiten, Verlag: S. Fischer, Frankfurt am Main 2017, ISBN: 978-3-10-397264-1, Preise: 20,00 EUR (D), 20,60 EUR (A)