Die Handlung ist knapp. IRA-Aktivist Davey Gillen (Brian Mulligan) wird 1981 ins nordirische Gefängnis Maze gebracht. Sein Zellenmitbewohner ist das zu vierzehnjähriger Haft verurteilte IRA-Mitglied Bobby Sands (Michel Fassbender). Die Gefangenen protestieren für die politische Autonomie Irlands mittels des “Blanket”- und “No wash”-Streiks, während dem sie Häftlingskleidung und Waschen verweigern. Für die Annerkennung als politische Häftlinge und aus Protest gegen die Misshandlungen durch das Wachpersonal tritt Sands mit anderen Häftlingen in den Hungerstreik, an dessen Folgen er nach sechsundsechzig Tagen stirbt. “Hunger” idealisiert nicht. Der britische Regisseur und Co-Drehbuchautor Steve McQueen präsentiert in Bobby Sands keinen vorbildlichen Freiheitskämpfer. “Hunger” ist die schonungslose Konfrontation mit der Entschlossenheit des Hauptcharakters. Der leise Heroismus, welcher Sands Überzeugung innewohnt, ist der Respekt des Regisseurs vor dessen geistiger Stärke und physischer Disziplin. Ebenso dokumentarisch wie das Verhalten Sands werden dessen Motive dargestellt. Man hört Sands, der während des Hungerstreiks zum Unterhausabgeordneten gewählt wurde und Sprecher seiner Mithäftlinge war, kaum reden. “Hunger” will den Zuschauer nicht auf eine Seite ziehen, sondern darstellen, was die Hauptfigur Bobby Sands antrieb. Das Herz des Films ist das in einer einzigen Einstellung gedrehte Gespräch Sands mit Pater Dominic Moran. Beide Darsteller, Michael Fassbender und Liam Cunnigham, schenken sich nichts. Jeder vermittelt ein eindringliches Porträt innerer Überzeugung. Frei von Heuchelei spricht der Geistliche Moran von der Sinnlosigkeit, welche er in dem schleichenden Selbstmord des Verurteilten sieht. Es ist der Kampf bis in den Tod, nicht der politische Widerstand selbst, von welchem der Pater Sands abzubringen versucht.
Puzzelartig enthüllt “Hunger” in Einzelszenen die Unmenschlichkeit der Wachen. Die erzwungenen Reinigungsmaßnahmen an den Gefangenen und des von diesen aus Protest verdreckten Gefängnisses führen sie nicht zum Wohl der Häftlinge durch. Das Säubern ist für die Wärter eine unangenehme Notmaßnahme, um ihre Arbeit im Gefängnis erträglich zu machen. Die Wachen ekeln sich vor den schmutzigen, riechenden Häftlingen. Gummihandschuhe tragen sie nicht als hygienische Notwendigkeit, sondern um die mitgenommenen Körper der Häftlinge nicht berühren zu müssen. Diese Abscheu vor dem kranken menschlichen Körper ist umso beklemmender, da sie sich nicht auf Ausnahmesituationen wie die Häftlingsproteste in “Hunger” beschränkt. In Altersheimen, Pflegestationen und Krankenhäusern ist sie Teil des Berufsalltags. Am deutlichsten wird dies in einer Szene, in welcher alle Verurteilten von einem bei jedem Häftling das gleiche Paar Handschuhe tragenden Wärter medizinisch zwangsuntersucht werden. Unter dem Deckmantel der Notwendigkeit versuchen die Wärter, die Zwangswaschungen so qualvoll wie möglich zu gestalten. Der Spießrutenlauf, den sie den Gefangenen einmal auferlegen, ist der einzige unverhüllte Aggressionsausbruch. Die Macht von Sands meist wortlosem Widerstand erschließt sich in der Endphase seines Hungerstreiks. Ein Wärter, den Tätowierungen als Anhänger der protestantischen terroristischen Untergrundorganisation UDA ausweisen, hilft dem abgemagerten Sands nicht beim Aufstehen. In einer trotzigen Aufwendung seiner letzten Kräfte steht Sands alleine auf. Dann wird er bewusstlos. Dieses Aufbegehren konzentriert den lebensbestimmenden Kampf Sands in einer prägnanten Szene.
Der “Hunger” des Titels umfasst mehr als das physische Gefühl. Es ist “Hunger” nach Freiheit, Anerkennung, politischer Unabhängigkeit. Mit seinem körperlichen Extremverhalten zog Bobby Sands eine Grenze zwischen sich und der repressiven Außenwelt. Er behauptete seine mentale Standhaftigkeit, welche die inhumane Haft nicht brechen konnte. Der physische “Hunger” verschwindet irgendwann, wenn man lange genug auf Nahrung verzichtet. Der Körper leidet immer noch, aber er signalisiert es nicht mehr. Das hat die Natur so eingerichtet, damit das Hungergefühl nicht verrückt macht. Beim “Hunger” nach Freiheit verhält es sich umgekehrt. Er steigert sich weiter, bis er alles andere ausblendet. Vielleicht hat die Natur dies eingerichtet, damit man Unterdrückung nicht endlos erduldet. Bobby Sands wurde von diesem “Hunger” verzehrt.
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Titel: Hunger
Genre: Drama
Land/Jahr: Großbritannien/Irland 2008
DVD-Verleihstart: 9. Juli 2009
DVD-Verkaufsstart: 20. August 2009
Regie: Steve McQueen
Drehbuch: Steve McQueen, Enda Walsh
Darsteller: Michael Fassbender, Liam Cunningham, Stuart Graham, Laine Megaw
Verleih: Ascot Elite
Laufzeit: 96 Minuten
FSK: ab 16