„Mehr Licht!“ Niemand weiß, ob Goethes letzter Stoßseufzer in Erfüllung ging und ihm am Ende seiner Tage ein Licht von irgendwoher leuchtete, das ihm Klarheit und Wahrheit verschafft hätte. Mit seinem sehnlichen Wunsch jedoch, in die höheren Sphären eines imaginären Lichtuniversums vorzudringen, gab er unbeabsichtigt ein Thema vor, das sich erst nach ihm in künstlerischer Hinsicht wie mit einem Paukenschlag entfalten sollte. Und dies ausgerechnet auf einer Reise ins entlegene Tunis. Dorthin, wo das Licht in seiner Intensität erstmals in seiner Bedeutung für die Kunst angemessen gewürdigt wurde und dadurch zur Offenbarung werden sollte für eine ganze Künstlergeneration.
Es waren die Maler August Macke, Paul Klee und Louis Moilliet, die sich vor genau hundert Jahren von der Lichtintensität Tunesiens blenden ließen. Von der Leuchtkraft der Farben, die sie nun deutlicher als je zuvor wahrnahmen. Mit einer Ausstrahlung, die ihnen, stellvertretend für ihre Künstlerkollegen im fernen Nordeuropa, die Augen öffnete und sie zu einem künstlerischen Neuanfang animierte.
Traum in Blau und Weiß
Viele Nachahmer haben sich nach dem Ersten Weltkrieg auf ihre Spuren geheftet, um ebenfalls in der Farbintensität des Maghreb zu schwelgen. Und fanden sich wieder in dem inzwischen zu Berühmtheit gelangten Ort Sidi Bou Said in der Nähe von Tunis. Jenem Dorf, das schon ein Jahr nach dem Besuch der drei Tunis-Reisenden im Jahr 1915 als Künstlerort unter Denkmalsschutz gestellt wurde. Ein architektonischer Traum in Blau und Weiß, bestens dazu geeignet, mit dem intensiven Blau des Meeres und dem strahlenden Himmel farblich zu korrespondieren.
Daran hat sich bis heute nichts geändert. Und leicht lässt sich hundert Jahre danach eintauchen in die gelassene und zugleich inspirierende Atmosphäre, die schon damals von Macke Besitz ergriff. Als er von den höchsten Stufen der Moschee aus sich einen Überblick verschaffte über das quirlige Leben zu seinen Füßen. Und nicht zögerte, die Fassade der Moschee in einem Bild festzuhalten. Eines jener Mosaiksteinchen seiner Tunisreise, die ihn direkt in die Standardwerke der Kunstgeschichte hinauf katapultierten. Heute dient dieser Gebäudeteil als „Café de Nattes“ einem anderen Zweck und genießt mit seinem durch Pistazienkerne veredelten Pfefferminztee längst Kultstatus.
Unbewusste Vielfalt
Ähnlich geht es zu auch hinter den Kulissen von Sidi Bou Said. Zum Beispiel in der Blauen Villa, einem anheimelnden Hotel im maurischen Stil. Kunstvoll dekoriert mit blauen Kacheln, die nach der Reconquista ihren Weg von Spanien aus hierher fanden. Sie verstärken den Eindruck der Gastlichkeit, die von stilvoll gedeckten Esstischen im Speiseraum mit Blick auf die Bucht von Tunis ausgeht.
Der von der „malerischen“ Landschaft und ihrer Architektur auf die drei Tunis-Reisenden ausgehende Zauber war jedoch nur die eine Seite. Denn immerhin beeinflussten auch sie selber von Anfang an die Künstler des Landes. Dies betont die Galeristin des Ortes Aicha Gorgi mit Blick auf die großformatigen farbigen Bildflächen den jungen Malers Oussena Troudi. Besonders Paul Klee habe es die Tunesier gelehrt, ihr Land intensiver wahrzunehmen. So ist er, sicherlich auch unbewusst, in das tunesische Kulturerbe eingeflossen.
Beiderseitige Inspiration
War Klee doch damals der erste Künstler, der nicht den eingeschränkten Blick der damaligen europäischen Orientalisten teilte. Denn er sah die damalige Realität mitsamt ihrer kulturellen Tradition wie sie wirklich war ohne den sonst üblichen europäischen Filter. Ebenso sollten sich, so Aicha, nun umgekehrt auch die tunesischen Künstler weiterhin unvoreingenommen von Klee inspirieren lassen. Unter dieser Voraussetzung dürfte der tunesische Kunstmarkt in absehbarer Zeit geradezu „explodieren“.
Da Klee und Macke sich ihrerseits während ihres Aufenthalts von ihrem starken Interesse an Land und Leuten antreiben ließen, führte sie ihr Weg natürlich auch nach Hammamet, jener stolzen Küstenstadt mit ihrem starken orientalischen Einschlag. Zweifellos zog es sie hinauf in die Medina mit ihren bunten Gässchen und verwinkelten Häuserzeilen. Überragt von einer wuchtigen Festungsanlage, die den Blick freigibt auf einen halbmondförmig gebogenen überlangen Sandstrand.
Farbiges Feuerwerk
Wohl wegen seiner vorzüglichen Lage entfaltete sich Hammamet zum ersten größeren touristischen Zentrum der zwanziger Jahre. Alle künstlerisch Interessierten wollten nun das nordafrikanische Land mit eigenen Augen sehen und machten sich auf den langen Weg. So auch der aus Rumänien stammende Millionär Georges Sebastian. Der konnte sich darüber hinaus auch einen Lebenstraum erfüllen in Form einer Villa im andalusisch-tunesischen Stil, die als „Villa Dar Sebastian“ sogar seinen Namen trägt.
Für ihn zweifellos ein geeigneter Ort für die zahlreichen rauschenden Feste, die der kosmopolitische Lebemann im Beisein vieler europäischer Künstler feierte. Nach Übernahme des Anwesens durch den tunesischen Staat jedoch wurde es ein namhaftes Kulturzentrum mit Wohnmöglichkeit für Künstler, die hier während der jährlichen kulturellen Festivals auf der angeschlossenen Freilichtbühne auftreten. Alles eingebettet in eine riesige Parkanlage, in der im Frühjahr die knallgelb blühenden Mimosenbäume sogar den blauen Himmel und das Meer mit ihrem farbigen Feuerwerk überstrahlen.
Kunst-Universum
Bunt geht es auch zu in Nabeul, einem quirligen Ort ganz in der Nähe. Hier ist neben dem legendären Kamelmarkt auch das Keramikhandwerk zuhause. Geschäftiges Treiben einerseits auf der geräumig angelegten Marktstraße. Daneben, versteckt in einem kleinen Gässchen, das Dar Sabri, ein Musterbeispiel gepflegten Wohnens. Ein neu ausgestaltetes Lifestyle-Universum, über das hinaus wohl nichts Stilvolleres denkbar ist, um sich dem Vergnügen des süßen Nichtstuns hinzugeben.
Dafür jedoch hätten sich Klee und Macke bei ihrer Suche nach neuen künstlerischen Impulsen sicher nur eine kurze Zeitspanne zugestehen können. So wie der nicht weit entfernt lebende Künstler Baker Ben Frej, der sich auf einem riesigen Gartengelände ein eigenes Kunst-Universum geschaffen hat. Auch er sieht sich in seinen vielfältigen Projekten inspiriert von Macke und Klee. Denn durch sie, so betont er, haben heimische Künstler wie er ein breiteres Artikulationsspektrum erhalten, das sie zu einer Zäsur in ihrem eigenen Kunstverständnis veranlasst hat.
Inspiration durch Volkskunst
Doch noch steht mit der Hauptstadt Tunis das letzte Ziel der aktuellen Tunisreise aus. Eine Stadt, für die die Revolution der vergangenen Jahre sicherlich ebenso überraschend hereinbrach wie für Klee und Macke der Erste Weltkrieg, dem letzterer schon im ersten Jahr zum Opfer fallen sollte. Auch in Tunis ist die Spurensuche nach den Künstlern erfolgreich. So im Grand Hotel de France, in dem noch heute die Zimmer so gestaltet sind wie zu Mackes Zeiten vor hundert Jahren. Ein Porträt des Künstlers im Hausflur erinnert an dessen folgenschweren Aufenthalt, bei dem auch sein berühmtes Bild von der Ez-Zitouna-Moschee entstand.
Die wichtigste Spur jedoch führt in das Haus der regen Künstlerin Sadika Keskes. Als Kuratorin der Ausstellung „Paul Klee und der tunesische Teppich“ hat Sadika über die Jahre hinweg tunesische Kelime bis in die Zeit der Tunisreise vor hundert Jahren gesammelt. Mit denen erbringt sie den Beweis, wie sehr sich Paul Klee damals von Formen und Farmen der Volkskunst inspirieren ließ, die auf 130 Farbnuancen zurückgreifen kann.
Gesellschaftlicher Auftrag
Ihre eigene Ursprungskunst jedoch ist die Glasbläserei, die sie in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts wieder aus der Versenkung hervorgeholt hat. Die Hitze des Ofens macht während ihrer kurzen Demonstration ihren Besuchern zu schaffen. Doch Sadika gelingt es, mit gezielten Handgriffen aus dem geschmolzenen Quarzsand wahre Wunderwerke zu erschaffen. Unter anderem in den Farbnuancen Braun-Beige, derselben Kombination, die auch Paul Klee in seinen Architekturstudien zu der berühmten Moschee in Kairouan verwendet hat.
Im Gespräch jedoch erklärt Sadika, dass sie über den künstlerischen Bereich hinaus auch noch einen gesellschaftlichen Auftrag wahrnehme. Denn mit der Revolution sei ihr klar geworden, wie viele Frauen es in der tunesischen Provinz gebe, die ohne Mindeststandards an sozialer Sicherheit auskommen müssten. Diese versucht sie nun durch gezielte Aktionen in den demokratischen Neugestaltungsprozess des Landes mit einzubeziehen.
Tunisreise mit Folgen
So in einem Dorf ganz im Zentrum des Landes, wo auf ihre Anregung hin nicht nur politische Bewusstseinsprozesse in Gang gekommen sind. Vielmehr werden hier neuerdings auch Teppiche hergestellt, die mit Hilfe der Anregungen durch Paul Klee zurück führen genau zu der Volkskunst, die in der Vorstellungswelt der Frauen noch in Bruchstücken verankert ist. In der Tat: Eine Tunisreise vor hundert Jahren mit weit reichenden Folgen bis tief hinein in die Gegenwart.
Reiseinformationen „Tunesien“:
Anreise: Tunisair ab Frankfurt und München, www.tunisair.com.tu; Germanwings ab Köln, www.germanwings.com
Einreise: Kein Visum. Es genügt ein noch 6 Monate gültiger Reisepass. Für Pauschaltouristen gilt ein gültiger Personalausweis.
Reisezeit: Ganzjährig. Hauptsaison im Sommer von April bis Oktober.
Reiseveranstalter: FTI, Angebote entlang der gesamten Küste; Zielflughäfen Tunis, Djerba, Enfidha; vor Ort buchbare Ausflüge nach Kairouan, Tozeur u.a.
Unterkunft: Hammamet-Yasmine: Iberostar Chich Khan, +216 72249 400, www.iberostar.com/hammamet/iberostar-chich-khan; Tunis:Mövenpick Hotel Gammarth Tunis, Tel. +216 71741 444,
Hotel.gammarth.sales@moevenpick.com; La Marsa: Dar El Marsa, Tel. +216 71728 000, www.darelmarsa.com; Sidi Bou Said: La Villa Bleue, +216 71742 000, www.lavillableuesodibousaid.com
Auskunft: Fremdenverkehrsamt Tunesien: Bockenheimer Anlage 2, 60322 Frankfurt, Tel. 069-133835-o; Fax. -22; info@tunesien.info; www.tunesien.info
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Unterstützerhinweis:
Die Recherche wurde unterstützt vom Tunesischen Fremdenverkehrsamt.