Doch heute spricht man von einer der besten Produktionen der Festivalgeschichte. Zwar gingen die Auslastungszahlen auf dem See im Vergleich zum Vorjahr von 95% auf 74% zurück, doch man kann davon ausgehen, dass die aktuelle wirtschaftliche Krise hier Auswirkungen gezeigt hat, ist doch die Seebühne schon immer ein Kulturereignis, das nicht nur vom Bildungsbürgertum frequentiert wird.
’André Chénier` gehört ins Repertoire
Dennoch ist es als großen Erfolg zu werten, dass 230.000 Menschen diese Produktion gesehen haben. Dieses Jahr mussten von den 22 Aufführungen nur zwei wetterbedingt ins Haus verlegt werden. Zu hoffen bleibt, dass Giordanos Meisterwerk wieder öfters auf die Opernbühnen der Welt zu sehen sein wird. Die Rücklagen der Festspiele aus den vergangenen Jahren sind somit als gelungene Investition in diese Produktion bestens angelegt.
’Wer die Vergangenheit nicht studiert, ist gezwungen, sie zu wiederholen“, dieses berühmte Zitat benutzt Intendant David Pountney in seinem engagierten Plädoyer für die Oper ’André Chénier` im Vorwort des Programmhefts. In der Tat, das Werk besitzt auch heute noch eine berührende Aktualität, sicherlich trägt auch das durchweg gelungene Libretto von Luigi Illica viel dazu bei. Eindringlich zeigt die Oper die Entstehung der französischen Revolution, auch deren Entwicklung hin zum tragischen Untergang der anfänglich humanen Ideale. Gerade in einer Zeit, in der Europa wieder vor einem Abgrund steht, belegt Umberto Giordanos Freiheitsoper, dass die Evolution zu einer humanen Gesellschaft noch nicht stattgefunden hat. Eine atemberaubende Entwicklung aus technischer Sicht hat die Geschichte in den letzten Jahrhunderten geprägt, doch eine stärkere Humanisierung der Weltbevölkerung blieb dagegen nur ein Wunschdenken.
Die Seebühne zum Schwingen bringen
Die Bregenzer Produktion wurde diesem anspruchsvollen Werk voll gerecht, und die Seebühne gab dem Werk zudem noch einen imposanteren Rahmen als es einer Hausproduktion möglich sein kann. Dem international renommierten Regisseur Keith Warner und seinem Team gelang es eine Traumkulisse auf den See zu stellen sowie den Handlungsablauf klar zu fokussieren.
Die Oper gilt als schwer zu besetzen, für die drei Hauptrollen bedarf es Weltklassesänger. In Bregenz waren 3 Besetzungen notwendig, die alle auf höchstem künstlerischem Niveau agierten. Für das perfekte Gelingen einer Aufführung benötigt es zudem einen genialen Dirigenten.
Wie Puccini, fordert auch Giodarno immer wieder eine stark anschwellende Klangdynamik, die dann oft in hauchzarte Piani wechseln muss, ohne den Spannungsbogen zu verlieren. Neben den 9 Weltklasse-Sängern in den Hauptpartien, waren in Bregenz auch 2 großartige Dirigenten zu erleben. Ulf Schirmer, Generalmusikdirektor und Intendant der Oper Leipzig, leitete heuer die Premiere sowie die erste Aufführungsserie, der Italiener Enrico Calesso übernahm die zweite Serie. Calesso, Generalmusikdirektor der Oper Würzburg, war zudem während der gesamten Probenzeit anwesend und zur Gänze in die Produktion eingebunden, und das schon seit letztem Sommer. Neben einer aktuellen Sängerkrise, ist auch eine Dirigentenkrise zu bemängeln, Orchester und Dirigent sind der Motor einer jeden Aufführung. Nicht mehr vielen Dirigenten gelingt es ein Orchester musikalisch so zu motivieren, das es ein Haus zum Vibrieren bringen kann. Doch in Bregenz gelang es beiden Dirigenten die große Seebühne zum Schwingen zu bringen und die Sänger zu Höchstleistungen zu motivieren.
Enrico Calesso schätzt Giordanos anspruchsvolle Partitur mit ihren unglaublich vielen Facetten und Strukturen und erklärt, dass eine gelungene Einstudierung enorm viel Gespür erfordere und auf einer stetigen Entwicklungsarbeit basiere, die allerdings nicht zu intellektuell sein dürfe, wenngleich auch die starken Emotionen dieser Oper sehr gut strukturiert seien. Das Dirigat erfordere große Energie, Musikalität, Intensität und Einfühlungsvermögen.
So wurde auch eine der letzten Aufführungen unter seiner Leitung zum bewegenden Erlebnis. Auf der Bühne sangen und spielten Arnold Rawls (Chénier), María José Siri (Maddalena) und Lester Lynch (Gérard) ebenso ausdrucksstark wie die Premierenbesetzung (Héctor Sandoval, Tatiana Serjan, John Lundgren). Weder an der Mailänder Scala noch an der Metropolitan Oper wird das Werk mit einer solchen unmittelbaren Intensität sowie musikalischen Qualität momentan zu erleben sein.
Positive Bilanz
Festspielpräsident Hans-Peter Metzler sprach von einem anspruchsvollen Programm, das ein Massenpublikum erreichen konnte. „Der vergangene Sommer war künstlerisch mutig und innovativ programmiert, konsequent an allen Spielorten, inklusive der Seebühne. Damit fast 150.000 Besucher erreicht zu haben, zeugt von der hohen Strahlkraft des Festivals und dem überdurchschnittlichen großen Einsatz in allen Unternehmensbereichen.“
Die Bregenzer Festspiele 2013 finden vom 17. Juli bis 18. August statt. Mozarts ’Zauberflöte` wird dann auf der Seebühne zu sehen sein, inszeniert vom scheidenden Intendanten David Pountney. Die Wiener Symphoniker werden – wie seit dem Beginn der Festspiele – wieder als famoses ’Hausorchester` agieren.