„Starke Frauen in extremen Situationen“, so hatte der Berlinale-Direktor Dieter Kosslick versprochen und ein politisches und gesellschaftlich relevantes Festival sollte es wieder sein – und es wurde vollends eingelöst. Es gab Themen zu Identifikationsfindungen, zu Missbrauch, zu Freiheit und Unterdrückung, zur Selbstbestimmung, zu schwierigen Beziehungskonstellationen, gesellschaftskritische Werke und Einblicke in noch unbekannte Kulturen. Und Filme, die experimentell waren und auf die Suche gegangen sind, nach Neuem noch unerschlossenem.
Die Berlinale-Jury hat diese Filme im Wettbewerb gewürdigt und ist dabei ausgesprochen stimmig und ausgewogen vorgegangen – wenn auch andere Filme, wie es immer so bei Wettbewerben ist, auch Preise verdient hätten. Aber es ist nicht unbedingt der Preis der Filme auszeichnet und möglicherweise auch nicht immer angemessen, künstlerische Werke, die so unterschiedlich sind und aus so verschiedenen Perspektiven, Vorstellungen und Ansätze bestehen, miteinander konkurrieren zu lassen. Aber das ist nun mal das Spiel auf einem Festival und das hat auch seinen Reiz. Dennoch steht jedes Werk für sich und hat seine eigene Botschaft und eigene künstlerische Handschrift – die sich gewürdigt wissen kann, wenn nicht durch einen Preis, dann sowieso durch das Publikum, das sich in einer besonderen Weise von einem Film angesprochen und berührt fühlt. Denn die Berlinale ist vor allem immer noch ein Publikumsfestival.
Die Berlinale-Jury hat die politische Relevanz eines künstlerischen Werkes besonders ausgezeichnet und damit der Berlinale, als einem politischen Festival, alle Ehre gemacht. Den goldenen Bären erhielt der Film, „Taxi“ von dem iranischen Regisseur Jafar Panahi, der den Preis nicht entgegen nehmen konnte, weil er in seinem Land mit einem Berufs- und Ausreiseverbot belegt wurde. Die Jury setzt damit, in politisch unruhigen Zeiten, ein Zeichen für Kunst – und Meinungsfreiheit und gegen politische Unterdrückung. In der Erzählung fährt der Filmemacher Taxi und lässt seine Fahrgäste, die Probleme des Heimatlandes diskutieren – auf leichte Weise wird ein Einblick in die iranische Gesellschaft geboten.
Sehr verdient wurden Charlotte Rampling und Tom Courtenay in dem Film „45 Years“ von Andrew Haigh, jeweils mit dem Silbernen Bären für die beste darstellerische Leistung ausgezeichnet – und sind damit wohl das erste Filmehepaar, das gemeinsam einen Preis bekommt. In minimalistischer Darstellung und mit feinnuancierten Gesten und Blicken verkörpert Charlotte Rampling die Erschütterung einer Ehefrau, die von der Vergangenheit ihres Mannes eingeholt wird. Die Veränderung einer langjährigen Ehe durch eine tiefe Krise und die allmähliche Verwandlung der Figuren werden von den beiden großen Künstlern Courtenay und Rampling in einem wunderbar aufeinander eingestellten Zusammenspiel höchst beeindruckend dargestellt.
In den Film „Ixcanul“von Jayro Bustamante, um zwei Maya-Frauen, gab es Einblicke in eine zwischen Tradition und Moderne schwankende Gesellschaft in Guatemala – der überhaupt erste Film aus Guatemala bei der Berlinale bekam für seine authentisch erzählte Geschichte den Silbernen Bären – für einen Spielfilm der neue Perspektiven eröffnet. Gleich zwei Regiepreise wurden vergeben an Werke aus Osteuropa, einmal für „Body“ von der Regisseurin Malgorzata Szumowska aus Polen, über Magersucht und Spiritalismus und für „Aferim!“, eine Mischung aus einer parabelhafte Erzählung und einem Western, indem sich der Regisseur Radu Jude einem wichtigen Kapitel in der rumänischen Geschichte nähert.
Auch das ebenfalls sehr stark vertretene Latein- und Mittelamerika, erhielt, neben „Ixcanul“, noch zwei weitere Silberne Bären, neben der beherzten Kirchenkritik von Pablo Larrains Drama „El Club“ aus Chile, der mit dem Grossen Preis der Jury ausgezeichnet wurde, bekam der einzige Dokumentarfilm im Wettbewerb „Der Perlmuttknopf“ von dem chilenischen Regisseur Patricio Guzmán, in dem er dem Wasser ein Stimme verleiht, seine Würdigung in Form eines Silbernen Bärens für das beste Drehbuch.
Die schwindelerregende Kameraleistung des norwegischen Kameramannes Sturla Brandth Grovlen wurde in dem, rasant-dichten, in einzigem Take gedrehten, deutschen Beitrag von Sebastian Schipper, „Victoria“ geehrt, genauso wie die Kamera von Evgeniy Privin und Sergey Mikhalchuk, in „Under Elektric Clouds“ vom Regisseur Alexey German jr. aus Rußland, der in einer surrealen Welt in beeindruckenden Bildkompositionen von dem Seelenzustand seines Landes erzählt.
So hat die Jury das Kunststück vollbracht, die thematische und künstlerische Vielfalt des Wettbewerbs, fast ausgewogen abzubilden und viele Länder auf der ganzen Welt und verschiedenartige künstlerisch wertvolle Filme zu ehren. Auch wenn man sich für das ein oder anderen Werk noch einen Preis gewünscht hätte, ist nur zu hoffen, dass es möglichst viele von den guten Filme des Festivals, auch aus den anderen Sektionen wie Panorama und dem Forum (u.a.), ins Kino schaffen, um einem noch breiteren Publikum ans Herz gelegt werden zu können.
Denn wir wissen – Kino kann Poesie sein und Herzen und Köpfe bewegen.