Maria Lassnig steht immer schon für Körper und Bild, für Körperbilder und schon immer war sie auch ihr eigenes Objekt als subjektive Malerin. Aber man hat den Eindruck, daß die Neunzigjährige immer kühner den Pinsel schwingt und listig auch Referenzen an die Großen der Malerei in ihren Gemälden unterbringt, denn „Illusion von der Tierfamilie“ im ersten Ausstellungsraum ist aus der Ferne gleichermaßen eine Hommage an Körper von Picasso und an die von Francis Bacon und diese Kombination muß Maria Lassnig erst einmal einer nachmachen. Zu sehen sind anders als in den vorherigen großen Retrospektiven 1985 und 1999 hier allein 60 Gemälde aus dem letzten Jahrzehnt, ein Spätwerk sozusagen.
Ihre Dekade vom Achtzigsten zum Neunzigsten ist also berücksichtigt, wobei auffällt, daß 2007 weniger Bilder und von 2008 überhaupt keine Bilder ausgestellt sind, wenigstens haben wir keine ausgemacht. Was aber noch mehr auffällt, ist die exzessive Beschäftigung mit sich selbst, die aber nie den Eindruck der Ichbesessenheit macht, bildet doch ihr Körper und die Empfindungen, denen Maria Lassnig mit ihrer Malerei, den Formen ebenso wie den Farben, Ausdruck gibt, eher eine allgemein menschliche Folie, auf der wir uns und unsere eigenen Körpergefühle wiedererkennen. Gerade weil diese Darstellung nur die reife Malerin zeigt, einige Worte zu ihrer Vergangenheit. Daß die Kärntnerin nach 2 Jahren Ausbildung an der Wiener Akademie der bildenden Künste, diese schon 1943 wieder wegen ihrer Einordnung als ’entarteter Kunst’ verlassen mußte, ist heute eine Ehrenbezeichnung. Sie lebte und arbeitete in Paris und New York, und wurde 1980 erste weibliche Lehrende für Malerei an derselben Wiener Akademie, die sie einst rausgeschmissen hatte, übrigens die erste Kunstprofessorin im gesamten deutschsprachigen Raum. Sie war auch international erfolgreich, was die Beteiligungen an der documenta 7 (1982) und der 39. Biennale dokumentieren. Das eigentlich Erstaunliche an ihrem Künstlerleben ist, in welchem Ausmaß sie sich mit und gegen die Zeit weiterentwickelt und sich im Alter vor allem im Sujet und der Farbgebung radikalisiert und „frei“malt.
Fangen wir endlich ordentlich mit diesen herrlich unordentlichen Bildern an. 2001 malt sie „Der Astronaut fällt in den Busch“ auf 206 x 230 Zentimeter. Klar, das dichte Grün steht für Busch und der Affe ist braun und der Astronaut erinnert uns an was, aber die Erinnerung gibt dies nicht preis. Er ähnelt einem Affen, wie er da an der Pflanze hängt, während der Affe in der Geste der antiken Gelehrten nachdenkend am Boden hockt. Auf die Tiere kommt es an, und um die Tiere geht es. Oder doch nicht? Ganz eigenartig, wenn sie in „Selbst mit Vögelchen“ von 2000 gespreizt dahockt, ihr Körper nur als Umriß kenntlich, aber durch den speziell geformten Kopf erhält sie den Ausdruck dieser stämmigen mexikanischen Tonfiguren, die in der dortigen Regionalkunst diese viereckigen Köpfe verpaßt bekamen und in genau derselben Haltung massiv hocken. Das freche kleine Vögelchen dagegen, weder Geschlecht noch Art ist auszumachen, schaut diesem Menschen ins Gesicht und wird sich seinen Reim drauf machen.
Im „Selbstporträt mit Affen“ von 2001, das einem jäh bekannt vorkommt, was kein Wunder ist, denn es gehört dem Frankfurter Städel und die Stadt Frankfurt sprach ihr 2004 den renommierten Max-Beckmann-Preis zu -, nimmt das Tier Menschengröße ein, nur sozusagen einen Stock tiefer. Die kantigen Umrißlinien des Gesichts in Frontansicht werden gedoppelt, wenn das gleichgroße Affengesicht in den Händen der Malerin ruht, von ihr an ihrem Bauchnabel getragen und gehalten, mit mütterlicher Geste. Ein weltenkluger Affe blickt uns melancholisch an. In Affenmanier hat er seine Arme hinter dem Kopf verschränkt, so daß eine semantische Note ins Bild kommt: Kopf, Hände, Kopf, Hände.
Auch das dritte Bild an der linken Seite „Selbst mit Katze“ stammt aus dem Jahr 2000, sie wiederholt diese Hockhaltung, aber hier hält sie deutlich etwas in der Hand, der gelbe Fleck assoziiert ein Vögelchen. Das erklärt auch die Geste der überdimensionierten Katze in ihrem Rücken, die mit erhobener Tatze – ja, wie in Sturwwelpeters Paulinchen – etwas einfordert, woran wir jetzt sofort an das Vögelchen denken, vielleicht war es auch nur die Aufmerksamkeit durch die Sitzende, ein übers Fell streicheln oder andere Ansprache, die Katzen so direkt einfordern können. Anders als in den beiden vorherigen Bildern, wird hier zwischen Frau und Tier dialogisch erzählt. In der gleichen Haltung hält sie die Ente im Arm (2000), ihre „Froschkönigin“ aus demselben Jahr allerdings ist sexuell konnotiert. Der Grünling, etwa vierfach so groß wie ihre Hände, sitzt ihr im nackten Schoß, sie ist ihm zugewendet und gerade dabei, in mit ihren Händen zu umfassen. „Selbst mit Meerschweinchen“, 125 x 100 cm, erinnert auf einmal an die expressiven Gebärden von Rudolf Hausner. Ein starkes Bild. Haarlos waren ihre anderen Gesichter auch, aber hier sind die Augen geöffnet und gucken spitz über die Nase in unsere Richtung, der Mund halboffen und ihr aufgestützter Arm trägt das Meerschweinchen auf der Handfläche, wie einen Ball, eine Blume, etwas, das sie demonstrativ vorweist. Rätselhaft und so ein Bild, das einen länger nicht losläßt.
Endlich schlägt ein Tier zurück und es ist kein im leicht trunkenen Zustand erlebter Traum, der die Nackte, deren Kopf, Hals und Arme aus dem Wasser ragen, heimsucht. Unter der Wasseroberfläche, die etwa Vierfünftel des sehr großen Gemäldes einnimmt, ist der Fisch real, ein besonders schönes Exemplar, der voll Appetit ihr ins Bein beißt. „Die Lebensqualität“ nennt Maria Lassnig ihr Bild von 2001 als Darstellung ihrer selbst. Ist damit das fast geleerte Weinglas in ihrer Linken gemeint oder das Schwimmen oder geht es um die des Fisches? Und während man sich als Betrachter Geschichten erzählt, zu denen diese Bilder auffordern, passiert wieder das Gleiche. Die Augen leicht zugekniffen und schon liegt links am Meeresgrund – wir sind also in der Nähe des Ufers – ein versunkenes Schiff, durch die Perspektive ganz klein und rechts ragen die Kathedralen und Türme einer versunkenen Stadt auf.
In „Die gelbe Hand“ von 2000 geht ihr dieser Körperteil verloren. Zwar kann sie den linken Arm noch umfassen, aber die Hand ist eins geworden mit dem gelben Hintergrund. Verlust auf der einen Seite, aber Gewinn auf der anderen. Sie hat ein verdoppeltes Gesicht, einmal im Profil nach rechts und gleichzeitig eines als Dreiviertelporträt. Ihre Aura sieht man auch, denn das Gelb wird bei den Körperumrißlinien dicht und konturierend. „Frettchen“ von 2005 ist stilistisch völlig anders. Kühn durchzieht eine Diagonale das gelbgrundige Gemälde. Das ist ein Mensch, denn das Bein mit Fuß zeigt es, während die Figur weiter oben Buchten und Kannten erhält, die wir von Schiele kennen und die doch den längst bekannten Schädel der Malerin zeigen. Das Frettchen, das wie ein Eichhörnchen aussieht, starrt uns aufgestört an. Die Ruhestellung der menschlichen Figur und die Konzentration auf das Frettchen, geben dem Bild eine Faszination und die Gewißheit, daß dieses Gemälde sich mit sich selbst in Übereinstimmung befindet.
Ausstellung: Bis 17.05.2009
Katalog: „Maria Lassnig. Das neunte Jahrzehnt, hrsg. von Wolfgang Drechsler, MUMOK und Verlag Walter König, Köln 2009